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Nr. 52

JUGEND

1899

»

©rum prüfe, wer sich ewig ömdet, — öß sich -as Her^ 511m Herren findet!

bidus

schäften besäße, die dem deutschen Wesen so
durchaus entsprechen, wenn es nicht „mit Allein,
was wirschätzen" nah verwandt wäre. Daß die
sinnbildliche Art des Gedichtes echt deutsch ist,
bedarf keines weiteren Wortes. Echt deutsch ist
der unkirchlich-fromme Ton. wir Deutschen
sind mehr oder minder allzumal Ketzer, die
„die verlorene Kirche" Uhland's lieben. Zu
dieser Kirche gehört auch Schillers Glocke.
Deutsch ist das gewaltige Ethos des Gedichtes,
der gediegene Ernst, die edle würde des Aus-
druckes. Deutsch die Verherrlichung der „heiligen
(Dränung, der segensreichen k^inrmelstochter."
Denn das deutsche Volk ist im Grund seiner
Seele kein revolutionäres, wie die romanischen
Völker, es ist ein reformatorisches, das Freiheit
und Gesetz als nothwendige Korrelative em-
pfindet. Diese und noch manche andere Züge
seines eigensten Wesens findet der Deutsche in
dem Gedichte aufis glücklichste zu künstlerischem
Ausdruck gebracht. In Schillert Glocke klingt
die deutsche Eeele „mit Allem, was wir schätzen,
nah vcrwqndt." 2m>ert Matthä-

*

Der kleine Gast

(Zu Iung-Schillers Gedächtniß)

Im fromm-gemüthlichen Pfarrhaus zu Lorch
Die Glocke lärmt, wer kommt noch?

Horch —I

wer stürmt am Samstag zum

pfarrherrn Moser?
„Ischr's gar e Stuekerter Schlingel e loser?"

O nein! Ein blutjunges höfliches Büeble
Dritt schlank bescheiden ins ländliche

Stüeble.

Hart war die Reise durchs Remsthal herauf.
Müd hebt der Ankömmling die Augen auf,
Grüßt kindlich mit blauem Unschuldsblick,
Hebt schüchtern den Fuß zur Schwelle zurück,
Hält das bestaubte Käppchen und Ränzel

in der Hand:

„Grüeß Gott, Herr Pfarrer-

's Schwabeland

Isch weit und groß-ich komm' aus

der Ferne,

Daß ich bei Euch wohn' und Lateinisch

lerne-"

Der freundliche pfarrherr: „Na,

verschnauf erst e bitzle!
wer bist denn? Bist g'wiß 's Schiller-

Friylc?"

wie Muttcrstimmc fallt Glockenklang ein,
Der kleine Gast nickt: „Der werd' ich

wohl sein."

Unter Glockengruß bei sinkender Nacht
ward der kindliche Wandrer zu Bett

gebracht.

Im weichen Nestchcn streckt er sich aus,
Knabbert noch ein Nüßchen: „Ich bin

wie zu Haus!"

„Ja, Fritzle," der Pfarrer mit gütigem

Mund,

„Gott segne Deine Einkehr, bleib mir

brav und gesund!"

Und's Fritzle träumt von Himmelsglocken,
Von Englein, die singend auf dem

Dachfirst hocken,

Sieht nochmal das Aemsthal im

Glorienschein

Und's Mütterle. Und schläft in den

Hellen Dag hinein.

Vom hohen Staufen herüber die fröhlichen

winde

Halten Zwiesprach mit der uralten

Klosterlinde,

In deren Schatten aus der Kaisergruft
Manch ruhmreicher Name „Heil Deutsch-
land!" ruft.

Festtag ist's, der hohe Dag des Herrn.

Der Pfarrer predigt von Bethlehems Stern.

Dem Fritzle im Bett summen die feinen Ghrcn :
„Nun Hab ich den ersten Kirchgang verloren —'
wie Vorwurf summen die Glocken herein:
„Ei Büeble, willst Du ein Faulenzer sein?"

Mit „Ietz isch's an mir! was soll das

bedeuten?"

Fliegt stracks er vom Bett beim

Vatcrunscr-Läuten.

Da tritt auch schon Pfarrer Moser in's Haus:
„Heut macht' ich schneller die predigt aus,

So schleunig, daß ich das Amen vergessen,
Nie war ich so auf die Heimkehr versessen,
Vor lauter Sehnsucht nach meinem lieben Gast.
Gott segne, was Du uns bescheret hast!"

Und der pfarrherr zieht lächelnd das

Kind an die Brust:

„Ja, Fritzle, schier hält' ich meine Sach'

nit gewußt;

wenn Du einmal predigst, gib fein 2lcht,

Daß Du's besser kannst, als es der

Pfarrer macht!"

Aus Himmelshöh' helle Klänge kamen,

Als spräche Gott Vater selbst das Amen. —

tMcbael Georg Gonracl
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