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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52 (23. Dezember 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0426
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1899

. JUGEND

Nr. 52

Bekenntniß zu Friedrich Schiller

Von

Prof. Or. €beobald Ziegler (Strassburg)

W'ic Gocthefeier in Frankfurt anr Main in den August-
W tagen dieses Jahres, namentlich der gewaltige Fackelzug
am Vorabend des Festes, dem auch 7000 Arbeiter sich an-
geschlossen hatten, rief die Gedanken der Festtheilnehmer unter-
anderem auch zurück zu jenen Novembertagen des Jahres 1859,
als unser Volk, weit über die Grenzen des eigenen Landes
hinaus — soweit die deutsche Zunge klingt — den hundert-
jährigen Geburtstag Schillers festlich beging- Wie man m
Frankfurt erkannte und bethätigte, daß unter dem Zeichen
Goethes eine Versöhnung von allerlei sozialen Gegensätzen
möglich sei, ähnlich so lag die Bedeutung und der Werth jenes
Festes vor vierzig Jahren auf politischem und nationalem
Gebiet, auch damals war es ein Tag des Zusammenschlusses
und ein Tag der Hoffnung.

Eine böse Zeit lag hinter dem deutschen Volk, als es
am 10. November 1859 Schiller's Geburtstag feierte, eine der
ödesten und traurigsten Perioden im Geistesleben unserer
Nation. Politisch alles zerrissen und unklar, die auf Einheit
und Freiheit gerichteten Wünsche für lange Zeit, so schien es,
begraben und abgethan, die Ideale zerronnen, die noch vor
Kurzem das trunkene Herz geschwellt, die Worte „Vaterland
und „Freiheit' den Einen ein Verbrechen, den Andern ein
Spott und Hohn; kirchlich alles dunkel und unerfreulich, beim
auch hier hatte man sich bereitwillig in den Dienst der Re-
aktion gestellt; geistig der Materialismus die Nahrung und
das Bekenntnis; einer oberflächlichen Halbbildung^ und da-
neben das Umsichgreifen einer pessimistischen Philosophie, die
der katzenjämmerlichen Stimmung jener Tage so recht ent-
sprach; selbst die Jugend sang es Scheffel jubelnd uach, daß
bei ihr hinfort kein Prophet mehr geehrt werde. Da kam
plötzlich ein Neues, in Preußen übernahm unser nachmaliger
Kaiser Wilhelm I. die Zügel der Negierung und hoffnungs-
voll ließen sich gleich seine ersten Worte und Thaten an;
und drüben über den Alpen schickte sich das italienische Volt
an, das Joch der österreichischen Fremdherrschaft abzuschütteln
und sich zu einem einheitlichen Staat zusammen-
zuschließen, so recht ein Vorbild und eine Er-
muthiguug auch für uns. In diesem Augenblick
feierte man Schiller's Geburtstag als ein Fest
der Hoffnung und des neuerwachenden poli-
tischen und nationalen Lebens, als einen Pro-
test gegen die Reaktion und gegen den ganzen
schwunglosen Geist der Zeit und als ein Be-
kenntuiß des deutschen Volkes zum Idealismus
und damit zu allem Höchsten und Besten, was
doch noch in ihm lebte und zu Luft und Licht
empordrängte. Ein Fürst des Geistes wurde hier
gefeiert, und selbst von den Kanzeln
herab dankten Geistliche, wie Karl
Gerok, Gott dafür, daß er unserem
Volke einen solchen Mann geschenkt
habe. So steht die Schillerfeier im
November des Jahres 1859 am An-
fang einer neuen Epoche, die eine
Epoche des Willens und der That
werden sollte, die Glocken, die sie
einläuteten, läuteten zugleich unseres
Volkes große Zeit mit ein.

Was aber feierte man in Schiller?

Vor allem den größten politischen
Dichter, den das deutsche Volk gehabt
hat. Freilich politisch nicht in dem
Sinn, wie Freiligrath oder Herwegh
'es gewesen sind, die Dichter der
klingenden, klirrenden Phrase. Nur
einmal, in „Kabale und Liebe" ist
es die Gegenwart, seine Gegenwart,

Max Feldbauer (München)

Da zerret an der ©locke JBträngen
Der Jlufruhr,' dass sie heulend schallt
CCnd, nur geweiht zu Kriedensklängen,
Die Iiosung anstimmt zur ©ewalt.
Register
Theobald Ziegler: Bekenntnis zu Friedrich Schiller
Max Feldbauer: Es zerret an der Glocke Strängen
 
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