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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 4.1899, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52 (23. Dezember 1899)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3779#0441
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Lin ssestzug

(mit Zeichnung von A. Schmidham wer)

Träum' ich? Blickt mein Auge trüber?
Hebelt mir's? was wälzt sich dort?
prachtgestaltcn zieh'n vorüber,

Herr'n und Frau'n aus Süd und Nord.
Leih' mir Deinen Operngucker,

Lieber Onkel, bitte, schnell!

Sieh, dort geht der arme Schlucker
Toggenburg mit Wilhelm Tell;

Auch Don Larlos ist gekommen,

Hinter dem „Johanna geht",

Sie verkündigt sehr beklommen,

Daß Ihr nie sie wiederscht.

Und der wohlbekannte Rnabe
An der (Quelle folgt ihr dicht,

Moor der Alte und sein Rabe
Hermann fehlen gleichfalls nicht.

2luch Delorges kommt, der Ritter,

Aus dem Raubthierhaus direkt,

Und vor seinem Zorngcwitter
prallt zurück das Volk erschreck.
Damen wirft der Ungestüme
Seinen Handschuh in's Gesicht,

Und dann kommt ein todtcr Mime,

Dem man keine Rränze flicht;

Ibycus und auch die Strolche,

Die ihn meuchlings hingestreckt,

Und der Möros mit dem Dolche,

Den er im Gewand versteckt,

Und des Lindwurms Ueberwinder,

Der sogar sich selbst bezwang,

Männer, Weiber, Greise, Rinder,

Preisen ihn mit Sang und Rlang.

Hach dem Geist, dem Berges-Alten,

Der das scheue wild beschirmt,

Rommen 2l!terthums-Gestalten
Massenhaft hcrangestürmt.

Hur Rassandra blieb wie immer
In Apollos Lorbeerhain.

(Desto besser, ihr Gewimmer
würde doch nur störend sein.)

Hestor kommt, der alte Zecher,

Der drei Menschenalter sah,

Und der Taucher mit dem Becher
Reiht sich an — etcetera.

Hero naht dort mit Leandern,

Hector naht mit dem Achill,

Und die Stuart, welche wandern
Mit den Wolken eiligst will;

Louise mit der Limonade,
wallenstein mit Oxenstjern,

Fridolin fährt auf dem Rade
Mit der Gräfin von Savern.

Hinter ihnen aber geht der
Mohr, der seine Pflicht gethan,
wie gewöhnlich etwas später
Rommt auch hier Graf Isolan.

Und so weiter, Ritter, Rönige,

Ganz zuletzt ein armer Mann —

2lch, das ist er ja, derjenige,

„Dem geholfen werden kann."

Ihm ein kleines Trinkgeld spendend
Frag ich: „Bester, was bezweckt
Dieser Zug, so reich und blendend?"
Eiligst in die Tasche steckt
Er das Geld. „In bunter Reihe,"

Sprach er, „hat aus Schillers Welt
Sich zu einem Tag voll weihe
Dieser Festzug eingestellt.

Alle, die wir hier als Gäste
Schreiten hin in 2uil) und Glied,
Grüßen heut' zum Jubelfeste
Uns'res Meisters Gl o ck c n-L i c dl"
„Wohl, so will ich Euch begleiten,

Ich gehör' zu Eurem Bund!"

Rief ich. Reiner kann's bestreiten,

Denn ich heiße Bohemund

Sot? ZWcrs Denkmal in ZluttgM

oder

Die gebildete Tochter

Hicht allein bei I. w. Goethen,

Auch bei Schiller ist von Hörhen,

Daß man recht belesen sei
In den biograph'schen Sachen,

Die allein verständlich machen
Sein erhab'nes Ronterfei.

So war neulich ich in Stuttgart,
wo ich anfangs ganz kaput ward,

Als ich Schillers Monument
Fand umstellt von Rörben, Säcken,
D'rinnen Aepfel, Birnen stecken,

Rurz — was man als Obstmarkt kennt.

Doch es schritt an meiner Seite,

Daß sie durch's Gewühl mich leite,
Meine Tochter Adelgund.

Diese weiß, was je gewesen,
weil sie ungemein belesen,

Und so that sie auf den Mund:

„Bleibe, Vater, nur gelassen
Vor den großen Aepfclmassen,

D'raus Du siehest lcuchtthurmhaft
Schillers edles Standbild ragen,
war doch einst in Lcbenstagen
Apfelduft ihm Leidenschaft.

Selbst vor Aepfeln, welche faulen,

That er keineswegs sich graulen,
Obgleich den Dramatiker
Faule Aepfel sonst nicht freuen.

Schiller braucht' sie nicht zu scheuen,
Denn nie ward der Sieg ihm schwer.

Stets nach Aepfeln hat's geduftet,
wenn an Dramen er geschuftet
Spät bis Mitternacht am Pult.

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Arpad Schmidhammer

Ih." mit Aepfeln hier umgeben,

Die er so geliebt im Leben,

Ist d'rum nur taktvoller R?ult."

Als mein Mädchen so gesprochen,
während wir die 2lepfcl rochen
Und das Monument besahn,
ward ich ledig jener Bürde
Und begriff der Bildung würde:

Wissen ist kein leerer Wahn!

J. B. Straubinger,

Schneidermeister und Hausbesitzer aus Tuttlingen.

Aus dem lyrischen

TageöuD des Leutnants von 8crsewiß

Zur Jahrhundertfeier der „Jlocke"

Jerne bei Feier! — „Ilocke" mit Lust
O-uarta einst vorjetraIci,:

Sämmtliche Verse am Schnürchen jewußt «
Alle Bewerber jcschlagen!

Heute mir freilich schwerlich noch *

Ilänzend wie damals jelingen. ^

Aber sehr Vieles behalten doch:

Hich aus Iedächtniß zu bringen!

Beispielsweis Strophe von jold'ner Zeit:
„Auge sieht Himmelsleiter,

Herze rein schwelgen in Seligkeit,
Sehnsucht" — na, un so weiter-

Dann auch mir immer jefallcn sehr
Stelle vom „Ewig-Blinden!"

Dichter beschimpft d'rum als reaktionär —
Ich janz un jar nich finden.

Friedenscharaktcr im Stoff mal d'rin,

L ed bischen zahm d'rum jerathen.

Sonst aber Dichter von Mannessinn,
Schneidig un kraftjeladen I

Fest überzeugt auch, wenn Lebensjang
Schillers so früh nich vernichtet,

Hätte zu „Ilocke" später Pendant:
„Lied von Ra non e" jedichrct!

war entschieden der Mann dafür!

Darin als Mensch un poete
Janz erheblich sympathischer mir,
Strammer, forscher als Ioethe!

Schade, daß unterblieben is!

Immer riesig bedauert!

Hätte der Suttnern doch janz jewiß
Friedcnsmilch jründlich versauert!

Ilcichviel! Um deutsche Manneskraft
Ew'ges Verdienst sich errungen!

Dankbar d'rum Ilas heut voll Rebensaft
Dichter der „Ilocke" jeschwungenl
Register
Leutnant v. Versewitz: Aus dem lyrischen Tagebuch des Leutnants von Versewitz
Bohemund: Ein Festzug
J. B. Straubinger: Vor Schillers Denkmal in Stuttgart
Arpad Schmidhammer: Zeichnung zum Gedicht "Ein Festzug"
 
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