Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 1 (Nr. 1-26)

DOI Heft:
Nr. 6 (ohne Datumsangabe)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3886#0098
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
1900

Nr. S

• JUGEND «

fallt, wie eine Schlafwandelnde, vor den Spiegel.
Und blinzelte durch die sich müde und hingebend
schließenden glücklichen Augen. Und reckte und
dehnte die feinen, langen, dünnen Glieder. Und
lachte.

Und plötzlich war es nicht mehr Walther, an
den sie dachte. Der junge Mensch hatte sich in
einen kräftigen, sehr gesunden Mann verwandelt,
der sie mit sichern Armen hielt, und sie fühlte
mit einer schaudernden Lust ihre Zartheit hin-
gegeben unter seine Stärke.

War es nicht noch herrlicher? Kein gnaden-
volles Spenden, sondern nur Empfangen und
darin wieder jung werden! Sechzehnjährig! ...
Gott im Himmel — das Alles wartete auf sie.. -
Und sie war frei!

Leicht und bewegt schritt sie im Zimmer zwi-
schen den vielen kleinen Möbeln umher, schaute
Alles an und wunderte sich, daß die Dinge noch
genau an denselben Stellen standen, wie vor
einem Jahr.

Sie begann zu singen, aus einem träumerischen
Summen wurde es lauter und immer lauter in
einem ausquellenden Jubel:

Lachen möchll ich, möchte weinen,

Ist mir's doch, als könnt's nicht sein,

Alte Wunder wieder scheinen

Mit dem Mondenglanz herein--

Warum er nur nicht kam — jetzt — in diesem
Augenblick, und sie keck eroberte? Und dabei
ganz kühl und selbstverständlich sagte: das mutz
doch so sein; hattest Du nocb irgend einen Zwei-
fel, das; ich Dich gewinnen würde?

Natürlich — er fürchtete heut die Anderen zu
finden und so kam er eben nicht, denn er wollte
nicht erst noch einmal mit ihr in das alte, öde,
geistreiche Geplänkel verfallen.

Aber das lvar doch eigentlich allzu sicher.

Denn wenn nun Walther. . . iver vermochte
zu wissen, nne sie sich entschieden hätte. Am Ende
machte sich auch der Legationsrath Hoffnungen ...

Er war ja der Einzige, der ihr eine gesell-
schaftliche Stellung bieten konnte, wie sie ihr zu-
sagte. Und so ritterlich. Immer Billets zu den
Premieren. Auch über Toiletten konnte man gut
mit ihm reden. Freilich — eine strenge Sichtung
ihres Umganges stand ihr dann bevor. Es war
ihm nie recht geivesen, das; sie mit Künstlern
und allerlei Leuten verkehrte, die nicht zur ex-
klusiven Gesellschaft gehörten. Höchstens würde
er einen flirt mit einem Offizier dulden. Und
das kaum. Senile Eifersucht, die sich hinter der
Sorge um die Form versteckte... Degoutant!

Schneider war der Einzige, der ernstlich in
Betracht kam, weil sie im Grunde ihres Herzens
Respekt vor ihm hatte und ein bischen Angst.
Aber Schneider . . . Frau Dr. Schneider —
nicht mehr Natalh von Necker. „Arztensgattin."
O weh. —

Und die Unerbittlichkeit von Julius Schneider.
(Auch Julius!) Das ahnte sie schon — im Ver-
hältnis; zu ihm war sie die Schwächere. Und er
hatte so vorsintfluthliche Begriffe von „Familie
gründen" — von dem Beruf der Frau als
Mutter.

Die Frau ist auf der Welt, um Kinder zu
gebären . .. Gebären . . . Er hatte das wirklich
einmal gesagt. Nicht als Witz.

Der Schleier, den sie in ihrer Erinnerung
über ihre ersten Ehejahre gebreitet hatte, ris;
plötzlich vor ihrer Phantasie entzwei. Sie ballte
die Hände und wurde dunkelroth vor Zorn und
murmelte mit zusammengekniffenen Lippen: Nie
wieder. Nie! Und hob die geballten Hände wie
zum Schlvur empor. Und stand wie eine Drohende
vor dem unsichtbaren Dr. Julius Schneider.

Solche grausige Dinge würde Walther Schar-
ling nicht von ihr verlangen. Ihr Mund löste
sich aus dem verbissenen Zornkrampf und lächelte
nur noch ganz wenig verächtlich. Dem kleinen

Walther wäre es ja viel interessanter, sie würde
seine Geliebte.

Einmal den Rausch des Lebens kosten!

Aber dann — ? Dieser wahnsinnig leiden-
schaftlichen zügellosen Jugend Rechte über ihr
tägliches Leben einräumen .. .

Immer und immer wieder den Liebestaumel
fingiren, die überspannte Seligkeit, die sie viel-
leicht eine halbe Stunde lang empfunden hatte... ?
Liebst Du mich auch? Liebst Du mich auch allein?
Ich vergifte diesen Dr. Julius Schneider ivie mei-
nen Hund, wenn Du ihm noch einen Blick gönnst.
Ich will nicht, das; Du Dir vom Legationsrath
Billets besorgen läßt. Ich kann es nicht ver-
tragen, wenn Du die Dramen anderer Leute an-
hörst. Bleibe zu Haus — ich lese Dir meine Verse.
Ach, diese Verse, die sie schon Silbe für Silbe
kannte — bei denen sie einschlief, wenn er sie so
schwermüthig feierlich vortrug....

Frau von Necker stand vor dem Kamin, die
Arme hingen schlaff herab, sie starrte trübe in
die Gluth.

Ach, langweilig. Eine Wahl treffen müssen
unter Menschen, die sie zum Behagen ihres
Lebens alle gleich nöthig hatte.

Warum kam denn keiner von ihnen? Schon
mißtrauten sie dieser altgewohnten Stunde —
loeil Jeder sie allein sehen wollte. Alles würde
sich verschieben. Aus den guten, guten Freunden
würden erbitterte Feinde werden.

Und so würde sie Alle verlieren ...

Eine Uhr schlug irgendwo mit Hellem, dünnem,
silbernem Klang. Frau von Necker sah in die
rothe Gluth, über der blaue Lichtreflexe zitterten.
Jetzt kam die Zeit, wo er sonst heimkehrte, er,
dessen Leben nach der Uhr geregelt war. Ihr
Mann. Wo er ruhig in's Zimmer trat, nachdem
die Anderen gegangen waren und nur die Dünste
ihrer Zigaretten zurückgelassen hatten. Er nahm
die Abendzeitung auf und setzte sich an den Ka-
min. Frau von Necker zog seinen Stuhl ein wenig
näher und lies; sich verträumt darauf nieder...

... Er legte die Zeitung auf die Kniee und
beugte sich vor und rieb fröstelnd die bleichen
vageren Gelehrten-Hände gegeneinander. Und
dann hob er den Kopf und schaute sie an mit
seinen stillen klugen Augen und fragte freund-
lich: „Hast Du Dich gut unterhalten?"

Er verlangte keine Beichte — er kümmerte
sich ja schon lange nicht mehr um ihr Thun und
Lassen. Er lies; ihr volle Freiheit. Er war nur
höflich.

Und sie hörte seine resignirte Stimme — sie
sah seinen verstehenden Blick. Ein Sehnen schlich
durch ihr ganzes Wesen nach seiner ruhigen, un-
verlangenden Gegenwart. Sie streichelte mit ihren
Fingern die Lehnen des Stuhles, wo seine Arme
zu ruhen pflegten. Unter ihren Lidern sammelten
sich Thränen und rannen in langsamen Tropfen
nieder.

Ach, lebte er noch und Alles könnte so bleiben
wie es gewesen, zu der Zeit, als sie noch nicht
frei war...

Der Dichter

Seiner Schmiede Feuer glühte gut, —
Hellen Blickes sah er in die Flammen;
Einen Barren hatty er in der Gluth. —
Und er nahm die tiefste Kraft zusammen.

Als der edle Werkeltag verschied,

Lag sein güldner Reif in blanker Helle.

In die Abendivolken schaut der Schmied.
— Leise glüht noch seine Feuer st eile.

Frida Schanz

95

Die Birke

Es stand eine Birke im Walde,
eine liebliche junge Birke. Ter
Mai hatte ihr Haupt bekränzt,
die Sonne küßte ihre weißen
Arme, der Wind wiegte sie und
die Finken sangen ihr Lieder vor.
Alles hatte sie lieb. Etwas Hüb-
scheres gab es aber auch nicht
auf der Gotteswelt!

„Was schüttelst Du Dich?"
fragte der Wind.

„Bor Lachen, vor Lachen!"
sagte die Birke, „ich schüttle mich,
wenn ich daran denke, was mir
die alte Tanne hat weis machen
wollen! Rathe einmal, was sie
gesagt hat! Es ist zu komisch,
und Du erräthst es gewiß nicht,
was später aus mir noch einmal
werden wird, wie die Tanne
sagt! — Ein Besen, ein Kehr-
besen, ein richtiger alter Besen!
— Ist das nicht zum Lachen?"

Reinhard Volker

HerösMeö

Deo Heröstwindo Tosen
(MnLrausie mich!

Die ketten Aosen
Krech ich für Dich.

Aussen und Aosen
Mar akkeo ein Traum!
(llimm die ketten (Rofbt
(Vom iveküen Kaum!

Wallher v. Rummel

Gertrud Kleinhempel (München)
Register
Walther v. Rummel: Herbstlied
Frida Schanz: Der Dichter
Gertrud Kleinhempel: Zeichnung ohne Titel
Reinhard Volker: Die Birke
 
Annotationen