Nr. 27 (Redaktionsschluss: 20. Juni 1900)
JUGEND
1900
Hochsommer 1900
Dies Jahr ist schier zu segensreich
Für uns, die Redaktionen,
Denn Telegramme regnet's gleich
En raasse ans allen Ionen,
Und doch ist schon der Reaumur
Dem Sieden nah und vor der Thür
Die Zeit der säuern Gurken!
Da pflegt sonst auf dem Vcean
Die Seeschlang' sich zu wiegen;
Und pünktlich stirbt der Veteran
Aus den Befreiungskriegen!
In Fiume trifft ein Haifisch ein,
Im Magen ein Matrosenbein
Und eine Schiffskanone.
Doch heuer spurt man Sommerruh
Noch nirgends im Betriebe
Und überall geht's lustig zu
Und überall gibt's hiebe:
In Afrika voll hcldenmuth
Schlägt Little Bobs die Burenbrut —
wenn Zwölf auf Einen kommen!
In jedes Parlamentes paus
Gibt's hitzige Debatten;
In Frankreich gräbt man Dreyfus aus,
Den wir vergessen hatten;
heut fällt ein Ministerium
Und Morgen eine Brücke um,
Zudem ist. Weltausstellung!
Im ©sten kommt's zum Kriege jetzt,
Weil Tsu-Tsi dort die Horden
Der Boxer auf die Weißen hetzt
Und brennen läßt und morden.
Und es geschieht, was tiic geschah:
Einträchtig fechten Deutsche da,
Franzosen, Russen, Briten!
hat freilich erst der Lhinamann
Die wohlverdienten hiebe,
wird schleunigst Paß und Mißgunst dann
Ans Eintracht und aus Liebe! —
Im Westen bringt der Boxer-Bund
Der Ezechen Besterreich auf den pund
Durch Rohheit und Skandale!
Schon saßen sie im Parlament,
Revolver in den pänden —
Es brummt und kracht und raucht und brennt
Und blitzt an allen Enden;
Die Spalten platzen uns vor Stoff —
Du lieber Gott: Dein Segen troff
Zu reichlich — eine Pause!
© brach' die stille Zeit doch an
Des Kleisters und der Scheere,
Daß alle Welt entspannen kann
Die Nerven und Gewehre!
Fehlt auch dem Blatt die Sensation,
Man kann doch in der Redaktion
Und draußen ruhig schlafen! Bellmaus
GVS'
(Nr. -Arthur Sukkivan
hatte die Gnade, in Berlin einen unserer Mit-
arbeiter zu empfangen.
„Wie kamen Sie eigentlich dazu, in Berlin
den,Mikado' zu dirigiren?" fragte dieser den
großen Briten.
„Hatte schon lange mal Lust, mir Ihren
Kaiser als Zuhörer anznseheu. Telegraphirte
ihm, sollte nach London kommen. Konnte aber
wegen Geschäften nicht abkommen. So fuhr ich
denn ttach Berlin."
„Waren Sie zufrieden mit der Aufnahme,
die Sie fanden?"
„So leidlich. . Ein bischen kühl. Nicht mal
die englische Flagge auf dem Kgl. Opernhaus!"
„Haben Sie Majestät gesprochen?"
„Ich empfing ihn nach der Vorstellung. Er
trat ein — ein wenig schüchtern. Bitte, setzen
Sie sich, sagte ich und sprach dann einige er-
muthigende Worte, lud ihn auch nach England
ein. War sichtlich gerührt."
„Hatten Sie eigentlich einen Auftrag dazu?"
Die eiserne Faust
Eh in ese: „Das Vergnügen ist ganz meinerseits!"
„I — wo? Jeder Engländer im Ausland
betrachtet sich als außerordentlichen Gesandten
und regiert ein Bissel mit."
„Wie gefällt cs Ihnen in Deutschland?"
„Gutes Volk, nur ein wenig rückständig in
politischen Dingen. Müssen ihnen einmal' ein
paar abgelegte Staatsmänner herüberschicken."
„Wie gefällt Ihnen das deutsche Militär?"
„Ganz nett — aber ein wenig steif und pe-
dantisch. Da sollten Sie unsere Kerle marschiren
sehen — da hat Jeder seinen individuellen Schritt!
Ihre Leute sind auch so nüchtern!"
„Was sagen Sie zur deutschen Musik?"
„Sie bedarf der Revision. Ihre Opernhäuser
sind durch Mozart, Beethoven und Wagner ver-
zopft. Es muß mehr Leben in die Bude. Ich
werde uächstesmal für die Berliner Oper den
Wagner ein wenig englisiren. Der Mann ver-
dirbt ja den Sängern und Musikern den Stil
für die Operette."
„Könnten Sie mir nicht ein Mittel angeben,
um Deutschland aus seiner politischen und cul-
turellen Versumpfung zu befreien?"
„Jawohl: es muß die politische und geistige
Suzeränität Englands anerkennen. Wissen Sie,
lvas Sie brauchten?"
„Nun?"
„Ein paar Kerle wie Chamberlain und
Rhodes!"
„Solche Kerle haben wir schon!"
„Wo sind sie?"
„Die sperrt man bei uns in's Zuchthaus!" sagte
unser Mitarbeiter und empfahl sich. Pips
Zeitgemäßer Druckfehler
Der Raubmörder wurde nach verzwcifel-
ter Gegenwehr von den vier Schutzleuten
überwältigt und in die Woche geschleppt.
wahre Geschichte
Ein Baby machte vom Recht seiner Jugend
Gebrauch und strampelte sich nach Kräften
bloß, das Kindermädchen kommt hinzu und ruft:
„Aber Baby — rasch deck Dich zu, sonst kommt
der lex h einze!"
An der Wiener Universität wurde kürzlich
ein ehemaliger Bäckerlehrling zum Doktor
der Philosophie promoviert. Gründ-
licher konnte er seinen Beruf wohl nicht
ändern, als indem er sich just eine so brot-
lose Disciplin aussuchte . . .
Herausgeber: Dr. GEORG KIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratenteil: G. EICHMANN, sämmtlich in München,
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
JUGEND
1900
Hochsommer 1900
Dies Jahr ist schier zu segensreich
Für uns, die Redaktionen,
Denn Telegramme regnet's gleich
En raasse ans allen Ionen,
Und doch ist schon der Reaumur
Dem Sieden nah und vor der Thür
Die Zeit der säuern Gurken!
Da pflegt sonst auf dem Vcean
Die Seeschlang' sich zu wiegen;
Und pünktlich stirbt der Veteran
Aus den Befreiungskriegen!
In Fiume trifft ein Haifisch ein,
Im Magen ein Matrosenbein
Und eine Schiffskanone.
Doch heuer spurt man Sommerruh
Noch nirgends im Betriebe
Und überall geht's lustig zu
Und überall gibt's hiebe:
In Afrika voll hcldenmuth
Schlägt Little Bobs die Burenbrut —
wenn Zwölf auf Einen kommen!
In jedes Parlamentes paus
Gibt's hitzige Debatten;
In Frankreich gräbt man Dreyfus aus,
Den wir vergessen hatten;
heut fällt ein Ministerium
Und Morgen eine Brücke um,
Zudem ist. Weltausstellung!
Im ©sten kommt's zum Kriege jetzt,
Weil Tsu-Tsi dort die Horden
Der Boxer auf die Weißen hetzt
Und brennen läßt und morden.
Und es geschieht, was tiic geschah:
Einträchtig fechten Deutsche da,
Franzosen, Russen, Briten!
hat freilich erst der Lhinamann
Die wohlverdienten hiebe,
wird schleunigst Paß und Mißgunst dann
Ans Eintracht und aus Liebe! —
Im Westen bringt der Boxer-Bund
Der Ezechen Besterreich auf den pund
Durch Rohheit und Skandale!
Schon saßen sie im Parlament,
Revolver in den pänden —
Es brummt und kracht und raucht und brennt
Und blitzt an allen Enden;
Die Spalten platzen uns vor Stoff —
Du lieber Gott: Dein Segen troff
Zu reichlich — eine Pause!
© brach' die stille Zeit doch an
Des Kleisters und der Scheere,
Daß alle Welt entspannen kann
Die Nerven und Gewehre!
Fehlt auch dem Blatt die Sensation,
Man kann doch in der Redaktion
Und draußen ruhig schlafen! Bellmaus
GVS'
(Nr. -Arthur Sukkivan
hatte die Gnade, in Berlin einen unserer Mit-
arbeiter zu empfangen.
„Wie kamen Sie eigentlich dazu, in Berlin
den,Mikado' zu dirigiren?" fragte dieser den
großen Briten.
„Hatte schon lange mal Lust, mir Ihren
Kaiser als Zuhörer anznseheu. Telegraphirte
ihm, sollte nach London kommen. Konnte aber
wegen Geschäften nicht abkommen. So fuhr ich
denn ttach Berlin."
„Waren Sie zufrieden mit der Aufnahme,
die Sie fanden?"
„So leidlich. . Ein bischen kühl. Nicht mal
die englische Flagge auf dem Kgl. Opernhaus!"
„Haben Sie Majestät gesprochen?"
„Ich empfing ihn nach der Vorstellung. Er
trat ein — ein wenig schüchtern. Bitte, setzen
Sie sich, sagte ich und sprach dann einige er-
muthigende Worte, lud ihn auch nach England
ein. War sichtlich gerührt."
„Hatten Sie eigentlich einen Auftrag dazu?"
Die eiserne Faust
Eh in ese: „Das Vergnügen ist ganz meinerseits!"
„I — wo? Jeder Engländer im Ausland
betrachtet sich als außerordentlichen Gesandten
und regiert ein Bissel mit."
„Wie gefällt cs Ihnen in Deutschland?"
„Gutes Volk, nur ein wenig rückständig in
politischen Dingen. Müssen ihnen einmal' ein
paar abgelegte Staatsmänner herüberschicken."
„Wie gefällt Ihnen das deutsche Militär?"
„Ganz nett — aber ein wenig steif und pe-
dantisch. Da sollten Sie unsere Kerle marschiren
sehen — da hat Jeder seinen individuellen Schritt!
Ihre Leute sind auch so nüchtern!"
„Was sagen Sie zur deutschen Musik?"
„Sie bedarf der Revision. Ihre Opernhäuser
sind durch Mozart, Beethoven und Wagner ver-
zopft. Es muß mehr Leben in die Bude. Ich
werde uächstesmal für die Berliner Oper den
Wagner ein wenig englisiren. Der Mann ver-
dirbt ja den Sängern und Musikern den Stil
für die Operette."
„Könnten Sie mir nicht ein Mittel angeben,
um Deutschland aus seiner politischen und cul-
turellen Versumpfung zu befreien?"
„Jawohl: es muß die politische und geistige
Suzeränität Englands anerkennen. Wissen Sie,
lvas Sie brauchten?"
„Nun?"
„Ein paar Kerle wie Chamberlain und
Rhodes!"
„Solche Kerle haben wir schon!"
„Wo sind sie?"
„Die sperrt man bei uns in's Zuchthaus!" sagte
unser Mitarbeiter und empfahl sich. Pips
Zeitgemäßer Druckfehler
Der Raubmörder wurde nach verzwcifel-
ter Gegenwehr von den vier Schutzleuten
überwältigt und in die Woche geschleppt.
wahre Geschichte
Ein Baby machte vom Recht seiner Jugend
Gebrauch und strampelte sich nach Kräften
bloß, das Kindermädchen kommt hinzu und ruft:
„Aber Baby — rasch deck Dich zu, sonst kommt
der lex h einze!"
An der Wiener Universität wurde kürzlich
ein ehemaliger Bäckerlehrling zum Doktor
der Philosophie promoviert. Gründ-
licher konnte er seinen Beruf wohl nicht
ändern, als indem er sich just eine so brot-
lose Disciplin aussuchte . . .
Herausgeber: Dr. GEORG KIRTH; verantwortlicher Redakteur: F. von OSTINI; G. HIRTH’s Kunstverlag, verantwortlich für den Inseratenteil: G. EICHMANN, sämmtlich in München,
Druck von KNORR & HIRTH, Ges. m. beschr. Haftung in München.
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.