Nr. 28
1900
Männer halfen Daniel gestern ans einen Apfel-
baum. Wie er den Untenstehenden sagen wollte,
das; er wieder herunter mochte, bekam — plötz-
lich einen Anfall von Athemnoth, die Kehle war
ihm wie zugeschnürt und er starb." Die Schwarzen
tvaren von dem Witz so entzückt, daß er von da
an der wohlbestallte Verfasser von allen derartigen
Todesanzeigen für ganz Louisiana war. Das
brachte ihn ans den Gedanken, seinen Humor
gewerbsmäßig auszubeuteu und er wurde Humo-
rist. Zunächst waren es die Neger, die ihm den
nöthigen Stofs lieferten, denn er kannte sie in-
und auswendig. Der angerauchte Bankee, wie
wir unfern schwarzen Mitbürger zu nennen
pflegen, war eine Fundgrube für ihn. Was er
an Komik aus ihren Riesenmäulern herausholte,
was er aus ihren steinharten Schädeln heraus-
schlug, tute er ihre Plattfüße ausmünzte, wie er
ihre gestohlenen Hühner ausschlachtete, das war
einfach bewunderungswerth. Roch heute lebt
sein Scherz von George Washington Blackberry,
der heulend die Straße hinablief und vom Frie-
densrichter mit der Frage angehalten wurde,
was für ein Unglück denn geschehen sei? Mein
Maulesel hat mich an den Kopf geschlagen, er-
lviderte Blackberry und da laus' ich zum Thier-
arzt. Worauf der Friedens-
richter bemerkte, daß er doch
in dem Fall zu einem ordent-
lichenDoktorgehen müsse. Wie-
so? meinte Blackberry schluch-
zend, wenn der Maulesel doch
sein Bein gebrochen hat?"
„Ja, das ist von ihm," sagte
Callahan, und Alle nickten
ernsthaft, während Frau Krau-
se einen neuen Lachkrampf
tlnterdrückte und der Bäcker-
Onkel sich auf die Lippen biß.
„Auch die Geschichte von
Hannibal Simpson lebt noch,
der seiner Liebsten Hanna mit-
theilte, daß er den Sommer
über eine Stellung als Kellner
in dem hochfeinen Badeort
Narragansett Pier angenom-
men habe. Hanna wollte wissen,
wie das buchstabirt würde, da-
mit sie mal an ihn schreiben
könne. Was? fragte Hanni-
bnl mit geheucheltem Erstau-
nen, denn er wußte es selber
nicht, Du weißt nicht mal, wie
Narragansett Pier geschrieben
wird? Aber Du weißt doch
jedenfalls, wie der ebenso feine
Badeort Newport geschrieben
wird? Und als Hanna bejahte,
ineinte er: Schön, dann gehe
ich nach Newport.
Nicht minder bekannt ist
die Geschichte vom Nebukad-
nezar Jones, den sein Pastor
fragte, ob er auch nicht wieder
ein Huhn gestohlen hätte, wo-
rauf Jones bei seiner Seele
schtvor, er hätte keins gestohlen.
Aber als ihn der Pastor seg-
nete und weiter ging, bemerkte
Jones ausathmend: Gott sei
Dank, daß er nicht nach einem
Hahn gefragt hat. Er war es
auch, der die famose Abhand-
lung über die Emancipation
des Säuglings sowie die Jn-
dianerparodie „Der finstere
Floh" schrieb." Jetzt tvar es
der Onkel, der lackte. Jimmy
richtete einen melancholischen
Blick auf ihn und die übrigen
Kollegen betrachteten ihn vor-
. JUGEND >
wurfsvoll, als ivollten sie sagen: „Wie tmfcin,
bei einem Begräbniß zu lachen!"
Die entstandene Pause benutzte Jimmy, um
seinen Frack wieder vollztipumpen. Dann fuhr
er fort: „Uebrigens machte unser Freund keines-
wegs lediglich sogenannte schwarze Witze. Er war,
>vie wir wissen, auf jedem Gebiete zu Hause. Bald
halte er es dahin gebracht, daß er drei Karrikatu-
risten beschäftigte. Er selber verkaufte dann die
Zeichnungen, unter die er seine Witze so geklebt
hatte, daß er sie jederzeit wieder ablösen konnte.
Wenn der Redakteur nämlich den Witz verwarf,
so griff unser Freund einfach in die Brusttasche
und holte einen andern heraus, der bereits
gummirt war und den er, wenn er besser ge-
fiel, sofort an Stelle des ersten klebte. Denn
die Zeichnung zeigte meistens zwei Menschen,
Mann oder Weib, im Gespräch an irgend einer
Straßenecke und dazu paßte irgend ein Witz
Kein Wunder, daß unser Freund mit solchen
genialen Methoden, die tvir Alle inzwischen
adopttrt haben, Erfolg hatte. Wer weiß, ob er
nicht noch den langgesuchten achten Originalwitz
gefunden hätte, zu den sieben bereits vorhandenen,
und die ganze Witzfabrikation damit revolutionirt
hätte. Denn er trug sich wirklich mit derartigen
phänomenalen Plänen. Aber der Allbezwinger
Tod, der keinen Spaß'versteht, ließ es nicht dazu
kommen.
Und, liebe Freiitide, ein so tüchtiger Humo-
rist er war, ein so genügsamer, bescheidener
Mensch war er in seinem Privatleben. Ich, der
ich ihm von uns Allen besonders nahe stand,
so nahe, daß seine Hüte meine Hüte waren, seine
Strümpfe nieine Strümpfe, seine Schlipse meine
Schlipse, seine Hemden meine Hemden, seine
Witze-hm, wie gesagt, ich hatte Gelegen-
heit zu beobachten, wie er die größten Wider-
wärtigkeiten humorvoll hinzunehmen wußte. Vor
zwei Jahren hatte er eine Wohnung hoch oben
in der Stadt. Diese erbärmliche Bude war so
eng, daß sein Hund darin mit dem Schwänze
nur von oben nach unten wedeln konnte, und
daß jeder seiner Bekannten, der über 200 Pfund
wog, eine Entfettungskur durchmachen mußte,
wenn er ihn besuchen wollte. Und diese Bude
nannte er nie anders als „Mein Paradies." Es
waren vier sogenannte Zimmer, deren Wände
er selber angcstrichen hatte, denn der Hauswirth
weigerte sich, sie streichen zu lassen. Das kleinste
davon hatte er einem lyrischen Dichter vermiethet
und grasgrün angestrichen, damit der Dichter
immer an das satte Grün der
Natur denken konnte und die
nöthigeStimmung bekam.Ach,
liebe Freunde, mit welcher
Grazie, mit welcher sonnigen
Philosophie fand er sich mit
seinem Paradies ab. Ferne sei
es mir zu übertreiben, wie das
Humoristen so zur zweiten
Natur zu werden pflegt — aber
wenn er Abends in sein Bett
ivollte, nahm er int Hinter-
zimmer einen Anlauf und
sprang durch das Eßzimmer
direkt in sein Belt."
Der Onkel, der gleich der
Tante und Frau Krause mit
Mühe seine Heiterkeit zügelte,
schielte forschend nach beit Hu-
moristen herüber. Aber von
denen verzog keiner das Ge-
sicht. Sie sahen allesammt äu-
ßerst feierlich aus. „Absonder-
liche Menschen das!" sagte sich
der Onkel im Stillen und
schüttelte den Kops.
„War es Winter," fuhr Jim-
my mit betrübter Stimme und
srischgefülltem Frack fort, „so
lag er zusammengerollt tute
eine Raupe in seinem Bett.
Nur im Sommer konnte er
sich den Luxus leisten, sich der
ganzen Länge nach auszu-
strecken. Dann freilich sahen
seine Füße oft zum Fenster
heraus und die Lausbuben
vom Apotheker Schulz gegen-
iiber machten sich des Morgens
den Witz, nach den Füßen
unseres armen Freundes mit
ihren insernalischen Gummi-
schleudern zu schießen. Einmal
hatte ihn ein Muskito in die
Fußsohle gestochen und er be-
kam zwei Tage keinen Stiesel
an und ein ander Mal, bei
einem Gewitter, schlug um ein
Haar der Blitz in den großen
Zeh, wie er mir gestand. Das
Alles jedoch focht ihn nicht au.
Auch der lächerliche Vogelnapf,
tvie er seine Badetvanne nannte,
störte sein bewundernswerthes
seelisches Gleichgewicht nicht
<DilteIreUek eines llZaeellusbrunnens Math. Gasteiger (Dachau)
468
1900
Männer halfen Daniel gestern ans einen Apfel-
baum. Wie er den Untenstehenden sagen wollte,
das; er wieder herunter mochte, bekam — plötz-
lich einen Anfall von Athemnoth, die Kehle war
ihm wie zugeschnürt und er starb." Die Schwarzen
tvaren von dem Witz so entzückt, daß er von da
an der wohlbestallte Verfasser von allen derartigen
Todesanzeigen für ganz Louisiana war. Das
brachte ihn ans den Gedanken, seinen Humor
gewerbsmäßig auszubeuteu und er wurde Humo-
rist. Zunächst waren es die Neger, die ihm den
nöthigen Stofs lieferten, denn er kannte sie in-
und auswendig. Der angerauchte Bankee, wie
wir unfern schwarzen Mitbürger zu nennen
pflegen, war eine Fundgrube für ihn. Was er
an Komik aus ihren Riesenmäulern herausholte,
was er aus ihren steinharten Schädeln heraus-
schlug, tute er ihre Plattfüße ausmünzte, wie er
ihre gestohlenen Hühner ausschlachtete, das war
einfach bewunderungswerth. Roch heute lebt
sein Scherz von George Washington Blackberry,
der heulend die Straße hinablief und vom Frie-
densrichter mit der Frage angehalten wurde,
was für ein Unglück denn geschehen sei? Mein
Maulesel hat mich an den Kopf geschlagen, er-
lviderte Blackberry und da laus' ich zum Thier-
arzt. Worauf der Friedens-
richter bemerkte, daß er doch
in dem Fall zu einem ordent-
lichenDoktorgehen müsse. Wie-
so? meinte Blackberry schluch-
zend, wenn der Maulesel doch
sein Bein gebrochen hat?"
„Ja, das ist von ihm," sagte
Callahan, und Alle nickten
ernsthaft, während Frau Krau-
se einen neuen Lachkrampf
tlnterdrückte und der Bäcker-
Onkel sich auf die Lippen biß.
„Auch die Geschichte von
Hannibal Simpson lebt noch,
der seiner Liebsten Hanna mit-
theilte, daß er den Sommer
über eine Stellung als Kellner
in dem hochfeinen Badeort
Narragansett Pier angenom-
men habe. Hanna wollte wissen,
wie das buchstabirt würde, da-
mit sie mal an ihn schreiben
könne. Was? fragte Hanni-
bnl mit geheucheltem Erstau-
nen, denn er wußte es selber
nicht, Du weißt nicht mal, wie
Narragansett Pier geschrieben
wird? Aber Du weißt doch
jedenfalls, wie der ebenso feine
Badeort Newport geschrieben
wird? Und als Hanna bejahte,
ineinte er: Schön, dann gehe
ich nach Newport.
Nicht minder bekannt ist
die Geschichte vom Nebukad-
nezar Jones, den sein Pastor
fragte, ob er auch nicht wieder
ein Huhn gestohlen hätte, wo-
rauf Jones bei seiner Seele
schtvor, er hätte keins gestohlen.
Aber als ihn der Pastor seg-
nete und weiter ging, bemerkte
Jones ausathmend: Gott sei
Dank, daß er nicht nach einem
Hahn gefragt hat. Er war es
auch, der die famose Abhand-
lung über die Emancipation
des Säuglings sowie die Jn-
dianerparodie „Der finstere
Floh" schrieb." Jetzt tvar es
der Onkel, der lackte. Jimmy
richtete einen melancholischen
Blick auf ihn und die übrigen
Kollegen betrachteten ihn vor-
. JUGEND >
wurfsvoll, als ivollten sie sagen: „Wie tmfcin,
bei einem Begräbniß zu lachen!"
Die entstandene Pause benutzte Jimmy, um
seinen Frack wieder vollztipumpen. Dann fuhr
er fort: „Uebrigens machte unser Freund keines-
wegs lediglich sogenannte schwarze Witze. Er war,
>vie wir wissen, auf jedem Gebiete zu Hause. Bald
halte er es dahin gebracht, daß er drei Karrikatu-
risten beschäftigte. Er selber verkaufte dann die
Zeichnungen, unter die er seine Witze so geklebt
hatte, daß er sie jederzeit wieder ablösen konnte.
Wenn der Redakteur nämlich den Witz verwarf,
so griff unser Freund einfach in die Brusttasche
und holte einen andern heraus, der bereits
gummirt war und den er, wenn er besser ge-
fiel, sofort an Stelle des ersten klebte. Denn
die Zeichnung zeigte meistens zwei Menschen,
Mann oder Weib, im Gespräch an irgend einer
Straßenecke und dazu paßte irgend ein Witz
Kein Wunder, daß unser Freund mit solchen
genialen Methoden, die tvir Alle inzwischen
adopttrt haben, Erfolg hatte. Wer weiß, ob er
nicht noch den langgesuchten achten Originalwitz
gefunden hätte, zu den sieben bereits vorhandenen,
und die ganze Witzfabrikation damit revolutionirt
hätte. Denn er trug sich wirklich mit derartigen
phänomenalen Plänen. Aber der Allbezwinger
Tod, der keinen Spaß'versteht, ließ es nicht dazu
kommen.
Und, liebe Freiitide, ein so tüchtiger Humo-
rist er war, ein so genügsamer, bescheidener
Mensch war er in seinem Privatleben. Ich, der
ich ihm von uns Allen besonders nahe stand,
so nahe, daß seine Hüte meine Hüte waren, seine
Strümpfe nieine Strümpfe, seine Schlipse meine
Schlipse, seine Hemden meine Hemden, seine
Witze-hm, wie gesagt, ich hatte Gelegen-
heit zu beobachten, wie er die größten Wider-
wärtigkeiten humorvoll hinzunehmen wußte. Vor
zwei Jahren hatte er eine Wohnung hoch oben
in der Stadt. Diese erbärmliche Bude war so
eng, daß sein Hund darin mit dem Schwänze
nur von oben nach unten wedeln konnte, und
daß jeder seiner Bekannten, der über 200 Pfund
wog, eine Entfettungskur durchmachen mußte,
wenn er ihn besuchen wollte. Und diese Bude
nannte er nie anders als „Mein Paradies." Es
waren vier sogenannte Zimmer, deren Wände
er selber angcstrichen hatte, denn der Hauswirth
weigerte sich, sie streichen zu lassen. Das kleinste
davon hatte er einem lyrischen Dichter vermiethet
und grasgrün angestrichen, damit der Dichter
immer an das satte Grün der
Natur denken konnte und die
nöthigeStimmung bekam.Ach,
liebe Freunde, mit welcher
Grazie, mit welcher sonnigen
Philosophie fand er sich mit
seinem Paradies ab. Ferne sei
es mir zu übertreiben, wie das
Humoristen so zur zweiten
Natur zu werden pflegt — aber
wenn er Abends in sein Bett
ivollte, nahm er int Hinter-
zimmer einen Anlauf und
sprang durch das Eßzimmer
direkt in sein Belt."
Der Onkel, der gleich der
Tante und Frau Krause mit
Mühe seine Heiterkeit zügelte,
schielte forschend nach beit Hu-
moristen herüber. Aber von
denen verzog keiner das Ge-
sicht. Sie sahen allesammt äu-
ßerst feierlich aus. „Absonder-
liche Menschen das!" sagte sich
der Onkel im Stillen und
schüttelte den Kops.
„War es Winter," fuhr Jim-
my mit betrübter Stimme und
srischgefülltem Frack fort, „so
lag er zusammengerollt tute
eine Raupe in seinem Bett.
Nur im Sommer konnte er
sich den Luxus leisten, sich der
ganzen Länge nach auszu-
strecken. Dann freilich sahen
seine Füße oft zum Fenster
heraus und die Lausbuben
vom Apotheker Schulz gegen-
iiber machten sich des Morgens
den Witz, nach den Füßen
unseres armen Freundes mit
ihren insernalischen Gummi-
schleudern zu schießen. Einmal
hatte ihn ein Muskito in die
Fußsohle gestochen und er be-
kam zwei Tage keinen Stiesel
an und ein ander Mal, bei
einem Gewitter, schlug um ein
Haar der Blitz in den großen
Zeh, wie er mir gestand. Das
Alles jedoch focht ihn nicht au.
Auch der lächerliche Vogelnapf,
tvie er seine Badetvanne nannte,
störte sein bewundernswerthes
seelisches Gleichgewicht nicht
<DilteIreUek eines llZaeellusbrunnens Math. Gasteiger (Dachau)
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