Nr. 2 8
JUGEND
1900
noch die Taillenverschleiernng des moder-
nistrten Empire, noch der Styl Ludwig
des Sechzehnten vermochten sich durckv
zusetzen.
Zum Ausdruck der hochmodernen
Idee, daß der unbekleidete Körper allein
die Schönheit repräsentirt, kann man
alle bisherigen Moden nicht gebrauchen,
bei denen die Bekleidung Zweck war.
Die Schneider greifen ja doch jedes Schlag-
wort einer Zeit auf ihre merkwürdige
Meise auf; deshalb mußte es bei der
so gut gefundenen Form bleiben, die
jenen überflüssigen Stoffwulst, von dein
die Industrie leben muß, ausschließlich
um den uuiersten Thcil der Beine ver-
legt. Allerdings auch auf den Kopf,
als Gegengewicht.
Das ist einmal eine Dutmode! Rei-
zend, inan muß es zugeben. Schöneres,
Leichteres und Kleidsameres hat noch
nie auf Damcnköpfen balancirt, als diese
phantastischen Riesengebilde aus Tüll
und buntem, weichem Stroh zusammen-
gefaltet, voll Blumen und Früchten.
Selbst wenn Letztere in etwas gar zu
üppiger Fülle angebracht werden, bleibt
das Bild eines auf dein Kopfe getra-
genen Bbftkorbcs lieblich und weiblich
genug. Uebrigeus scheint die Agitation
zu Gunsten der armen ausgcbalgten
Vögel diese Früchte zu zeitigen. Line
Anzahl Elegants will sich nämlich zu»
sammeuthuu, u»r jenen Damcir den
Gruß zu verweigern, die naturalisirte
Vögel und sonstigen Federschmuck auf
den kjüten tragen. Der Vogel Strauß,
der sich so gutmüthig bei lcbeudigcui
Leibe rupfen läßt, weil er weiß, daß er
persönlich zu groß und zu häßlich für
einen lfutvogel ist, wird dafür besonders
geehrt. Noch nie waren Straußfedertt
so theuer und so gesucht, wie heute für
die schwarzen Ricseuhüte. Uebrigeus
mag deui guten Strauß das Ansreißen
seiner großen Federkiele gerade auch nicht
am Wohlsten thun.
Die vernünftigste Seite der ganzen
sogenannten „französischen" Klciduugs-
weife besteht derzeit in der Vorliebe für
transparente schwarze Toiletten, über-
haupt für Kostbarkeiten tu Schwarz,
wie denn eine minimale Beigabe von
Schwarz, etwa ein Stückchen strohhalm-
breites Sammtband, fast aii keiner Toi-
lette fehlen darf.
Neben allen Excentricitäten besteht
nun jene kjaupttracht unseres ganzen
gutgekleideten Geschlechtes, die inan
weiter nicht zu beschreiben braucht, weil
jeder sic seit Jahren kennt und die das
bewunderungswürdig vernünftigste ist,
was den Frauen jemals geboten war:
das Alltags-, Reise- und U>river-
sal-S portkleid, Rock, Jäckchen,
Weste und Bloufe mit dem geschlechts-
losen put. Selbst wenn sie zu Pferde
steigt, braucht die Dame nur den Rock
zu wechseln, die Extramaskcrade für
jede Art Lcibcsübnug gilt für lächerlich,
der Sport soll als alleinige ernste Haupt-
sache angesehen werden. Das der Männer-
tracht gleichwerthige Lostüiiic gilt
überall und für Jede, und unter-
scheidet sich, wie beim Manne, nur
durch die Gediegenheit, wenn dabei
auch alle sonstigen Toilettentriks der
schönen jungen Herren abgclauscht
werden, bis zum unverfälschten Sack-
überzieher, so liegt dies in der
Natur der Sache.
Erfreulich ist das Ucberwicgcn
der frischfarbigen Blousen und des
graziösen, garuiturloseu Matrosen-
hutes, der durch den Schleier so emi-
nent weiblich wirken kann. Dieses
masculin-feminine ist eben der kraft-
vollste neue Hauptgedanke der Zeit.
Aber alle Gleichbercchtigungskomö-
die ist zu Eilde, in dein Augeiiblick,
wo das Weib wieder in die gestickte
Schlangenhaut aus Spitzen hincin-
lriecht. Da zeigt sie sich in ihrer wah-
ren Gestalt, fühlt sich als
Herrscherin der Welt, würde
der Mann sagen. Mir aber
wissen, daß sie dann ein ar-
mes, unmündiges, ewig vor
Deraugemeut zitterndes Ge-
schöpf wird, das nicht einmal
eine Kleidertasche hat, das
Schnupftuch in den linkcii
Acriucl stecken und ein männ-
liches Wesen mit Taschen für
sich zahlen lassen muß.
Lin Allerbestes hat uns allerdings
die Frauenbewegung gebracht, ein Mie-
der, welches beit Magen freiläßt, den
Körper tit keinerlei unnatürliche Lage
preßt. Nur ein junger weiblicher Arzt,
der zugleich elegant ist, konnte auf den
Gedanken kommen. Darum führt aber
auch das recht theure, aus drei Theilen,
Leibchen, Gürtel uiid Leibbinde bestehende
Ding den stolzen und zeitgemäßen Titel:
Doctorcsse.
Natalie Bruck-Auffcnberg
- isst
Hans Heise (Paris)
/fas «inent Brief von der Weltausstellung
. . Ja, liebe Bertha, ich kann Dir sagen: trotzdem ich jetzt erst
eine Woche hier in Parts weile, bin ich mit Pariser Verhältnissen be-
reits recht vertrant ... Mit bestem Gross Dein treuer Gatte Eduard."
von 5cn Gbotritcn
Die Todtenglockcn läuteten, als ich
.nit einer Dame, deren Bekanntschaft
ich unterwegs gemacht hatte, in Nen-
strelitz einfuhr.
„Ach, da läuten sic gewiß schon für
meine gute Emma Lemke I" rief die Dame
und brach in Thränen aus.
Emma Lemke I na, da konnte ich sie
beruhigen. Etwas spöttisch zog ich meine
Uhr hervor und hielt sie ihr hin. ES
war '1412.
„Trösten Sie sich!" sagte ich. „Diese
Glocken läuten nicht für das Fraulein
Lemke. Die Stunde von 11—12 ist den
adligen Todten Vorbehalten. Für die
Todtcn, die sich nicht „von" schreiben,
läntct's von 10—11. Nur die Raths-
gesellschaft macht eine Ausnahme. Die
hofberechtigten Leichen haben auch An-
spruch auf die adligen Glocken."
Die also belehrte Dame trocknete be-
schämt ihre anmaßenden Thränen.
Martha Asmus
JUGEND
1900
noch die Taillenverschleiernng des moder-
nistrten Empire, noch der Styl Ludwig
des Sechzehnten vermochten sich durckv
zusetzen.
Zum Ausdruck der hochmodernen
Idee, daß der unbekleidete Körper allein
die Schönheit repräsentirt, kann man
alle bisherigen Moden nicht gebrauchen,
bei denen die Bekleidung Zweck war.
Die Schneider greifen ja doch jedes Schlag-
wort einer Zeit auf ihre merkwürdige
Meise auf; deshalb mußte es bei der
so gut gefundenen Form bleiben, die
jenen überflüssigen Stoffwulst, von dein
die Industrie leben muß, ausschließlich
um den uuiersten Thcil der Beine ver-
legt. Allerdings auch auf den Kopf,
als Gegengewicht.
Das ist einmal eine Dutmode! Rei-
zend, inan muß es zugeben. Schöneres,
Leichteres und Kleidsameres hat noch
nie auf Damcnköpfen balancirt, als diese
phantastischen Riesengebilde aus Tüll
und buntem, weichem Stroh zusammen-
gefaltet, voll Blumen und Früchten.
Selbst wenn Letztere in etwas gar zu
üppiger Fülle angebracht werden, bleibt
das Bild eines auf dein Kopfe getra-
genen Bbftkorbcs lieblich und weiblich
genug. Uebrigeus scheint die Agitation
zu Gunsten der armen ausgcbalgten
Vögel diese Früchte zu zeitigen. Line
Anzahl Elegants will sich nämlich zu»
sammeuthuu, u»r jenen Damcir den
Gruß zu verweigern, die naturalisirte
Vögel und sonstigen Federschmuck auf
den kjüten tragen. Der Vogel Strauß,
der sich so gutmüthig bei lcbeudigcui
Leibe rupfen läßt, weil er weiß, daß er
persönlich zu groß und zu häßlich für
einen lfutvogel ist, wird dafür besonders
geehrt. Noch nie waren Straußfedertt
so theuer und so gesucht, wie heute für
die schwarzen Ricseuhüte. Uebrigeus
mag deui guten Strauß das Ansreißen
seiner großen Federkiele gerade auch nicht
am Wohlsten thun.
Die vernünftigste Seite der ganzen
sogenannten „französischen" Klciduugs-
weife besteht derzeit in der Vorliebe für
transparente schwarze Toiletten, über-
haupt für Kostbarkeiten tu Schwarz,
wie denn eine minimale Beigabe von
Schwarz, etwa ein Stückchen strohhalm-
breites Sammtband, fast aii keiner Toi-
lette fehlen darf.
Neben allen Excentricitäten besteht
nun jene kjaupttracht unseres ganzen
gutgekleideten Geschlechtes, die inan
weiter nicht zu beschreiben braucht, weil
jeder sic seit Jahren kennt und die das
bewunderungswürdig vernünftigste ist,
was den Frauen jemals geboten war:
das Alltags-, Reise- und U>river-
sal-S portkleid, Rock, Jäckchen,
Weste und Bloufe mit dem geschlechts-
losen put. Selbst wenn sie zu Pferde
steigt, braucht die Dame nur den Rock
zu wechseln, die Extramaskcrade für
jede Art Lcibcsübnug gilt für lächerlich,
der Sport soll als alleinige ernste Haupt-
sache angesehen werden. Das der Männer-
tracht gleichwerthige Lostüiiic gilt
überall und für Jede, und unter-
scheidet sich, wie beim Manne, nur
durch die Gediegenheit, wenn dabei
auch alle sonstigen Toilettentriks der
schönen jungen Herren abgclauscht
werden, bis zum unverfälschten Sack-
überzieher, so liegt dies in der
Natur der Sache.
Erfreulich ist das Ucberwicgcn
der frischfarbigen Blousen und des
graziösen, garuiturloseu Matrosen-
hutes, der durch den Schleier so emi-
nent weiblich wirken kann. Dieses
masculin-feminine ist eben der kraft-
vollste neue Hauptgedanke der Zeit.
Aber alle Gleichbercchtigungskomö-
die ist zu Eilde, in dein Augeiiblick,
wo das Weib wieder in die gestickte
Schlangenhaut aus Spitzen hincin-
lriecht. Da zeigt sie sich in ihrer wah-
ren Gestalt, fühlt sich als
Herrscherin der Welt, würde
der Mann sagen. Mir aber
wissen, daß sie dann ein ar-
mes, unmündiges, ewig vor
Deraugemeut zitterndes Ge-
schöpf wird, das nicht einmal
eine Kleidertasche hat, das
Schnupftuch in den linkcii
Acriucl stecken und ein männ-
liches Wesen mit Taschen für
sich zahlen lassen muß.
Lin Allerbestes hat uns allerdings
die Frauenbewegung gebracht, ein Mie-
der, welches beit Magen freiläßt, den
Körper tit keinerlei unnatürliche Lage
preßt. Nur ein junger weiblicher Arzt,
der zugleich elegant ist, konnte auf den
Gedanken kommen. Darum führt aber
auch das recht theure, aus drei Theilen,
Leibchen, Gürtel uiid Leibbinde bestehende
Ding den stolzen und zeitgemäßen Titel:
Doctorcsse.
Natalie Bruck-Auffcnberg
- isst
Hans Heise (Paris)
/fas «inent Brief von der Weltausstellung
. . Ja, liebe Bertha, ich kann Dir sagen: trotzdem ich jetzt erst
eine Woche hier in Parts weile, bin ich mit Pariser Verhältnissen be-
reits recht vertrant ... Mit bestem Gross Dein treuer Gatte Eduard."
von 5cn Gbotritcn
Die Todtenglockcn läuteten, als ich
.nit einer Dame, deren Bekanntschaft
ich unterwegs gemacht hatte, in Nen-
strelitz einfuhr.
„Ach, da läuten sic gewiß schon für
meine gute Emma Lemke I" rief die Dame
und brach in Thränen aus.
Emma Lemke I na, da konnte ich sie
beruhigen. Etwas spöttisch zog ich meine
Uhr hervor und hielt sie ihr hin. ES
war '1412.
„Trösten Sie sich!" sagte ich. „Diese
Glocken läuten nicht für das Fraulein
Lemke. Die Stunde von 11—12 ist den
adligen Todten Vorbehalten. Für die
Todtcn, die sich nicht „von" schreiben,
läntct's von 10—11. Nur die Raths-
gesellschaft macht eine Ausnahme. Die
hofberechtigten Leichen haben auch An-
spruch auf die adligen Glocken."
Die also belehrte Dame trocknete be-
schämt ihre anmaßenden Thränen.
Martha Asmus