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Nr. 29

1900

hohe Tragödie bedurfte dieser. Lines
Tages sollte ich sogar einen edlen Vater
in einem Römerstück spielen.

Rathlos betrachtete ich nrich im Spie-
gel. Die Geheimnisse der Schminkkunst
waren mir damals noch nicht enthüllt.
Wie sollte ich es nun anfangen, mein
19 jähriges Bubengesichtel in das eines
alten Herrn von ca 60 Jahren zu ver-
wandeln ?

Wein Freund Schrammel erbot sich
als Rettungsengel. Großmüthig trug
er mir an, mich zu schminken. Ls war
eine mühevolle Arbeit, doch er schien
sehr zufrieden damit zu sein.

Ich blickte in den Spiegel, doch ent-
setzt prallte ich zurück. Wein Gesicht
war schwarz und roth und weiß gefleckt
und gestreift und glich mehr dem Fell
eines Zebras, als dem würdevollen Ant-
litz eines römischen Senators, den ich
darzustellen hatte.

„Ist denn das richtig?" wagte ich
zu fragen. „Jawohl," schnitt Ignaz
Schrammel jede weitere Zweifelsfrage
ab, — „so spielt man edle Väter
im Trauerspiel!"

Das Publikum schien leider andrer
Meinung. Ls einpfing nrich mit einem
palloh; ich aber zog mich beschämt in'
meine Garderobe zurück, entfernte die
Merkmale der Schranrnrel'schen Kunst-
malerei von nreinem Gesicht, — und
spielte die so lgenden Akte wie-
der jung, sehr zum Lrstaunen des
Publikums, das. sich diesen Verjüng-
ungsprozeß absolut nicht zu erklären
vermochte.

Allnrählich wurde ich mißtrauisch
gegen die Rathschläge meines Mentors
und zog es vor, dieselben lieber nicht
zu befolgen. —

Lin Lrzherzog hatte Rohitsch-Sauer-
brunn mit seiner Anwesenheit beehrt
und stattete auch unserem Theater einen
Besuch ab.

Wir gaben an jenem Abende ein
historisches Trauerspiel, das in Paris
spielte. Ich stellte darin einen jungen
Offizier dar, der zum Schluß des Stücks
den Tod des Königs zu melden hatte
mit den Worten: Der König ist todt,
— es lebe der König!

Schrammel zog mich, bevor der letzte
Akt anging, bei Seite. „Wollen Sie einen
großen Lrfolg haben heute Abend?"
Freudig bejahte ich. „Ich Hab' eine
feine Idee!" fuhr mein Freund fort.
„Statt — der König ist todt, es lebe

. JUGEND .

der König! sagen Sie zum Schluß ein-
fach: Der König ist todt, —- es lebe
der Lrzherzog! Dann setzt das Orchester
ein und spielt die Nationalhymne.

Der Lrzherzog wird sich sehr ge-
schmeichelt fühlen, — vielleicht werden
Sie später noch mal Burgtheaterdirektor
oder kriegen gar einen Orden!"

Als ich Schrammels Vorschlag läch-
elnd aber energisch abwies, war er tief
verletzt.

„Na, da müffen's halt nur Ko-
miker bleiben," schrie er mich an, „und
werden nie Burgtheaterdirektor."

And er hat Recht behalten. Ich bin
— „nur Komiker" geblieben. Doch
für ein bescheidenes Gemüth, wie ich
es bin, genügt das ja!

Serien

Lebt wohl, ihr himmlischen Soffitten,
Gemalter Dain, gemalte Slur,

Ihr „praktikabeln" Wälder, Bütten,
Du angestrichene Natur I
Du Zilbermond aus Stoff und Gaze,
Du Leinwandsee,

Ihr Sterne aus Marienglas,

Lebt wohl, ade:

Du Sommertraum aus grauen Stören,
Du wilde Pappendeckclsau.

Lachirte Srüchte, Blttthen, Beeren,

Du aufgehängte Sluth und Au,

Du Selsenblock, mit Den gefüllt,

Du Slittergold,

Du Donnerblech, das, wenn es gilt,
vulkanisch grollt;

Ihr erbsenrollenden Getane,

Du Blitz aus Kolophonium,

Du frischgenähte Siegesfahne,
Elektrisches Elysium,

Du ausgestopfte Vogelwelt,

Papier'ner Schnee,

Du aufgerolltes Aehrenfeld,

Lebt wohl, ich geh'!

Mit neuer Kraft dir bald zu leben,
verlaß ich dich nun, holder Schein;

G Sreiheit, Freiheit! Wonnebeben
Durchströmt die Brust, mein ganzes Sein!
hinaus, hinaus! G Licht und Duft!

G Dimmelszelt-

Dinaus, hinaus! G Waldeslust

Und Blüthenwelt!

Bier lasse ich mir nicht soufflieren,
was mich entflammt, erfreut, durchglüht;
Bier darf ich frei extemporiren,
wie alles, was da lebt und bliiht.
Echt, nicht gemacht, sind fern und nah
Frucht, Blüthen, Baum,

Die Menschen selber echt beinah' —

G Serientraum l wohlmuth

Wie denken Sie
über die Moral des Künstlers?

Plauderei von Ernst von lvolzogen

Scene: Das überaus üppige und geschmack-
volle Boudoir der berühmten munteren Lieb-
haberin «Baja Laska vom L-Theater in N-
Lorbeerkränze, exotische Zierstücke, Teppiche
und Felle, alles vom Thcnersten nnd^ Besten.
An einer Wand Zazas Porträt mit der Signatur
eines berühmten Künstlers. Ein Stutzflügel
von Kaps mit einer gestickten japanischen Seiden-
decke darauf. In einer Ecke beim Fenster der
kokette Schreibtisch mit Malachit-Garnitur.

Baja Laska (eine schlanke, zierliche Puppe
mit reichlichem, chartreusegelb leuchtendem Hanr-
schmnck, a 1a Secession srisirt, und einem frechen
Gesichtl, dem man seine 28 Lenze noch nicht an-
sieht, sitzt in einer sehr eleganten Spihenmatinee
vor ihrem Schreibtisch. Sic hat einen Briefbogen
bereit liegen, klopft mit dem Federhalter daraus
herum und nagt sich nachdenklich das kuß-
geschwollene Unterlippchen. Es >vill ihr aber
durchaus nichts einsallen. Mit einem Seufzer
erhebt sie sich, um auf den nächsten Klingelknopf
zu drücken. Gleich daraus erscheint

Jeanette (sprich: Schanett) (die Zofe, ein
sauberes, fast distinguirt aussehendes älteres
Mädchen in geziemender Aufmachung in der
Thüre): Gnä' Fräulein wünschen, bitt'
schön?

Basa: Geh' her, Schanett, — Du
hast ja eine Bildung, gelt? Du bist auf
der Hähern Töchternschut' g'wesen, gelt?
Jetzt gib mir a mal an guten Rath —
was schreib' ich jetzt blos?

Jeanette: Ja ich weiß doch nicht . . .
bitt' schön, worum handelt es sich denn?

Baja (tritt zum Schreibtisch und ergreift
einen dort liegenden Brief): No darum! Du
liest doch sonst alle Brief', die ich herum-
liegen laß!

Jeanette: Aber gnä'Fräulein — auf
Wort.. .

Baja: Schon recht. — Also hör' zu
— den Brief da krieg' ich von der Re-
daktion der „Extrapost": „Hochverehrtes
gnädiges Fräulein! In ben Verhandlungen
des deutschen Reichstages über die lex
Heinze ist von den Vorkämpfern dieses
gegen die Freiheit der Kunst gerichteten
Schandgesetzes in verächtlicher Weise von
der Moral der Künstler und Redakteure
gesprochen worden. Die Redaktion der
„Extrapost" nimmt hieraus Anlaß, den
hervorragendsten Dichtern, Künstlern und
Kunstschriftstellern die Frage vorzulegen,
ob es nach ihrer Meinung eine besondere
Künstlermoral gebe und wie diese etwa

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Index
Ernst Frh. v. Wolzogen: Wie denken Sie über die Moral des Künstlers?
Alois Wohlmuth: Ferien
 
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