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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 29 (??. Juli 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0053
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19a~

. JUGEND -

Nr. 29

Plötzlich fuhr sie aus: „Aber Du hast
ja keinen Rock?"

„Ach ja, den von der Frouleichnamspro-
,Zession. Die Lina nimmt auch den ihrigen."

Sie lachte. „Aber Marie, der ist Dir
ja viel zu kurz jetzt!"

„Ach es sind drei Säume daran, die
kann man herunterlassen. Die Lina läßt
sie auch herunter."

„Hm hm," nickte sie und lief hinaus
auf den Korridor zum Kleiderschrank, sic
machte immer alles eilig. Der Mullrock
war zerknittert und grauweiß.

„Man muß ihn natürlich waschen und
schön stärken. ,Wo Gänseblümchen stand/"

Die liebe kleine Mutter that nun wirk-
lich ihrem Töchterchen zu Liebe etwas,
>vas man gewöhnlich nur einem Söhucheu
zu Liebe thut. Sie vertuschte. Es wurde
gesündigt hinter dem Rücken des strengeren
Vaters. Ilnd eines Abends — die kleinen
Kinder schliefen, die größeren mußten im
Nebenzimmer ihre Schulaufgaben machen
— stand ich herzklopfend vor der Mutter.

Die rothe Taille saß mir vorzüglich.
Der ziemlich tiefe Halsausschnitt war mit
lichtblauer Rüsche garnirt; ebenso die kurzen
Aermel. Der Mullrock war schön gestärkt
und hatte unten ein Volant. „Ist halt
immer noch ein bißl kurz," sie betrachtete
meine Füße, die mit weißen durchbrochenen
Baumwollstrümpfen und schwarzen Schuhen
bekleidet waren. „Na, die sind wenigstens
nett," sagte sie befriedigt.

Ich wollte durchaus Glacehandschuhe
haben, aber die Mutter besorgte mir Filet-
handschuhe. „Die sind echter," bchauptete
sie. Ich hatte nämlich die Absicht, eine
Rokokodame vorzustellen. Filethandschuhe
waren entschieden billiger, deshalb sagte
sie so. Die Mutter war immer so schlau.

Das Haar war von Mutters geschickten
Händen hoch frisirt und gepudert
und mit drei rothcu Rosen aus dem
„Museum" geschmückt. Ich wollte
ein kleines, rothes Perlkettchen um
den Hals legen, aber die Mutter
rieth zu einem schwarzen Sammet-
bändchen. „Das ist echter."

Und so stand ich fertig da, herrlich!

„Ein bischen blaß," meinte die
Mutter, „ach, die dumme Bleichsucht,
na, Du wirst schon roch werden, vom
Tanzen —■ kannst Du denn tanzen?"
kragte sie plötzlich.

„Ja. Die Lina hat mirs gezeigt." Und
sie zupfte an mir herum.

„Ein Schäfermädchen weidete
Zwei Lämmchen an der Hand,

An einer Flur am Genfersee,

Wo Gänseblümchen stand."

Jetzt den Mantel um, und ich stürzte
hinein ins volle Menschenleben. Es war
in der äußeren Dachauerstraße, in einem
kleinen Wirthshaus. Die Lina hatte mich
abgeholt. Unterwegs erzählte sie mir auf-
geregt, daß ihr Bruder Ludwig als Rokoko-
herr maskirt sei und daß er meinen Ca-
valier vorstellen werde. . . Ich war natür-
lich sehr glücklich darüber und gab diesem
Gefühl so gut ich konnte Ausdruck. Biel
reden konnte ich nicht, ich hatte zu sehr
Herzklopfen. Wir stolperten eine schwach
beleuchtete Treppe hinauf und traten in
einen mäßig großen Saal. War die schlechte
Beleuchtung die Ursache, oder meine Auf-
regung, ich sah anfangs nichts, als eine
wimmelnde, buntgeputzte Menge, in einen
leichten Nebel gehiillt. Aber ich fühlte,
fühlte — lauter Glück, lauter Seligkeit!

„Siehst Du Marie, das ist also die
daule volee l" flüsterte mir meine Freundin
zu. „ Fast lauter Künstler, Akademiker und
die Schwestern davon und auch Cousinen,
und so, manchmal einige —"

Ich antwortete nicht, sondern schaute
nur, schaute mit staunenden Augen.

„Siehst Du, das ist der Kaltcnmoser, der
Bleiche dort, und das ist der Eberle und
daneben derLossow. Der heißt Stubenrauch
und der kleine dort, der spanische Ritter,
Oberländer. Viele Namen nannte sie, aber
ich konnte mir nur einige merken. „Ach lauter
wunderbare, selige Menschen!" dachte ich.

Später beruhigten sich meine Gefühle
etwas und ich bemerkte, daß ich mit Ludwig
Correggio, dem Bruder meiner Freundin

Lina, tanzte. Das war damals ein lieber,
blonder junger Mensch. Maler natürlich.
Ich setzte mich dann mit ihm und Lina
und deren Schwester au einen der Tische,
die an den Wänden entlang standen. Es
wurde da Bier getrunken, Brod, Käse und
Würste gegessen. Bei einigen sah man
auch Kalbsbraten und Kuchen. Ich aß
natürlich eine Wurst, denn ich hatte nur
achtzehn Kreuzer bei mir. Daun tanzte
ich in einem fort, wußte selten mit wem,
nie genau, was ich tanzte, aber mit Leiden-
schaft that ich's und mit Wonne im Herzen.

Während der Pause trat der kleine Maler
au mich heran, den mir die Lina als Ober-
länder bezeichnet hatte. Er hielt ein großes
Bouquet in der Hand, und sagte einige
Worte, die ich nicht verstand, daun über-
reichte er mir das Bouquet. Ich knixte und
sah meine Freundin fragend au.

„Du bist die Ballkönigin," fliisterte sie.

„Ich? - Wieso?" ‘

„Ach, weil Du eben zum erstenmal da bist
und weil Du so nett aussiehst in Deinem
Costüm, obwohl es ja gar nicht echt ist."

Zu gleicher Zeit flüsterte mir Ludwig
Correggio auf der anderen Seite etwas zu,
was weniger objektiv klang, was ich aber
auch sehr hübsch fand.

Als wir die Treppe hinunter gingen nach
dem letzten Galopp, den der Klavierspieler
dreingegeben hatte, stand der Wirth an der
Thüre: „Aha, die Kinderschule ist aus.
Auf Wiedersehen meine Herrschaften."

Meine Mutter machte Augen, als ich
ihr das Bouquet vorwies.

„Du? Ballkönigin?" Es klang fast mit-
leidig. „Und das nennt sich haute vol£e?
Ach Du lieber Gott!"

Dann hatte sie Thränen in den Augen.
Weiß Gott, was sich eine Mutter manch-
mal alles denkt. Sie murmelte abgerissene
Sätzchen, während sic mir aus mci-
nem zerknitterten Putz half.

„So arm! Ja wenn wir nicht so
viele Kinder hätten! — Da solltest
Du anders aussehcn!" Dann mit
heiterer, veränderter Stimme: „Aber
Du warst lustig?"

„Ach, furchtbar!"

„Na, dann ist's ja gut."

Das war das erste und eiuzigemal,
daß ich Ballköuigin wurde. Später
hatte ich nie mehr weder die Ge-
legenheit noch die Mittel dazu. —

Theater-Schüttelreime

Der kennt den Fluch der bösen That,
Der Gunst von Balletösen bat.

Die „Stars“ sich Gold und Rosen Holen
Sehr häufig jetzt in Hosenrollen.

Auch Misses kannst Du finden hier
Vorn stehen sechs und hinten vier.

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Fritz Scholl: Theater-Schüttelreime
 
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