Nr. 29
1900
. JUGEND -
G&itt etXtcr
Und was sich jüngst
ereignete,
wie man gemeldet
aus Shanghai,
Stimmt nicht. In
Peking läugnctc
Man, daß die Meld-
ung richtig sei.
Das gestern uns
Geschriebene
Aus Wci-hai-wci und
aus Tschifu
Entpuppt sich als
geriebene
Erfindung Jeder-
mann im Nu.
Rlav ist nur: der
L h i n e s e lügt,
Das ist bei ihm
uralter Brauch.
Vertraulich fei
hinzugcfügt:
Und bei den frem-
den Teufeln auch!
ISoliemuud
Illeine
Erlebnisse eines
Bühnendichters
von Ludwig Fulda
Als junger Autor be-
fand ich mich vorüber-
gehend in einer Provinz-
stadt, und da im Theater
M. Slevogt zufällig das einzige
Merk aufgeführt wurde,
das ich bisher der deutschen Bühne geschenkt
hatte, so hielt ich es für meine Berufspflicht,
der Vorstellung beizuwohnen. Ts war eine
Abonnementsvorstellung; vor mir in der Loge
faß eine dicke Abonnentin, die ebenso wenig
wie das übrige Publikum von der sensationellen
Thatsache meiner Anwesenheit eine Ahnung
hatte. Die Aufführung begann — und trotz
meiner damals noch gänzlich intakten Be-
scheidenheit fühlte ich mich mehr und mehr
zu der Üeberzeugung gedrängt, das lustigste
Lustspiel der gesammten Weltliteratur geschrie-
ben zu haben; denn die dicke Abonnentin vor
mir bog, wand und schüttelte sich ohn' Unter-
laß in geradezu beängstigenden Lachkrämpfen.
Ich habe nie wieder einen Ukcnschen so lachen
sehen. Ein Gottesgeschöpf mit so elementarer
Gewalt amüfiren zu können, dieses Bewußt-
sein erfüllte mich mit edlem Stolz und weit-
gehender innerer Befriedigung. Aber die
Nemesis sollte nicht ausbleiben. In meinem
Stück — am Schluß des dritten Aktes — be-
findet sich eine einzige ernste Scene. Kaum
hatte diese ernste Scene begonnen, da beugte
sich die dicke Abonnentin zu ihrer Nachbarin
hinüber und sagte mit dem Ton der tiefsten
und schmerzlichsten Enttäuschung: „D a s ist
doch kein Lustspiel!"
Wenn der Regisseur in einem Stück, das
er insceniren soll, auch als Hauptdarsteller
mitwirkt, das ist ebenso mißlich, wie wenn
der Kapellmeister gleichzeitig die erste Geige
spielt: während er spielt, kann er nicht diri-
giren, und während er dirigirt, kann er nicht
spielen. Der mir befreundete, treffliche Re-
gisseur X. befand sich bei der Linstudirung
eines meiner Stücke in dieser bedenklichen
Doppelstellung. Wir probirten an einer Scene,
in welcher einige Herren in lebhaftem Gespräch
Zopf und Schwert
Eigen-Liedcr unseres nach dem chinesischen
Kriegsschauplatz entsandten Spczial-
Lprikcrs
I.
was von moderner Rri'egeskunst
Er weiß, verdankt er unserer Gunst,
Des Reichs der Mitte zopfiger Sohn,
Doch schnöder Undank ist der Lohn,
wir lehrten ihn das Rcglcmang,
Den militärisch-festen Gang —
Hinein den Bauch — heraus die Brust! —
Das hat er früher nicht gewußt.
Auch wurde manches Schiff für ihn
Geliefert vom Vulkan Stettin,
Ihm selbst lag alles dieses fern,
weil der Chinese unmodern!
Er liest ja nur den Ron-fu-tsc
Und nährt sich meist von Reis und Thcc.
Als wir ihn gründlich informirt,
wie man moderne Kriege führt,
Da mordet er zum Dank dafür
Die „fremden Teufel". (Das sind wir!)
Nun sch' ich fremder Teufel klar,
Daß ich ein dummer Teufel war.
II.
Mit wachsender Beklommenheit
Muß ich mir ferner eingestchn:
lNich hindert die Verschwommenheit
Der Lage Chinas, klar zu sehn;
Denn ganz genau Berichtetes
Aus Minfing, das als wahr erschien,
Erweist sich als Erdichtetes —
So meldet man aus Tientsin.
498
rechts um einen Tisch sitzen, während ihre
Frauen, von ihnen getrennt, links eine Plau-
derecke bilden. Regisseur X., der einen jener
Herren schauspielerisch verkörperte und, nach
Vorschrift seiner Rolle, mit dcni Rücken gegen
die Damen saß, wandte sich mitten in eifriger
Unterhaltung plötzlich um und sah mit forschen-
den, mißbilligenden Blicken zu ihnen hinüber.
„Sie haben Recht, lieber X.bemerkte ich;
„die Gruppe da links gefällt mir auch noch
nicht." „Hm," antwortete er, „ich drehte
mich jetzt eigentlich nicht als Regisseur herum,
sondern als Darsteller; dieser Blick nach den
Damen, glauben Sic mir, das ist eine wirk-
same schauspielerische Nuance." Die Scene
nahm ihren Fortgang: die Frauen links be-
nutzen ihre Isolirtheit, um sich halblaut über
ihre Männer lustig zu machen. Und wieder
beschrieb F.cns Haupt plötzlich einen Halbkreis
und sah die Flüsternden mit forschenden, miß-
billigenden Blicken an. „Nein, lieber X.,"
unterbrach ich, „das geht nicht. Diesmal dür-
fen Sic sich nicht umwenden,; denn Sie sollen
ja nicht hören, was die Damen sprechen."
„Weiß ich, weiß ich," betheuerte F.; „aber
diesmal habe ich mich nicht als Darsteller,
sondern als Regisseur umgedreht."
Ich ließ ein neues Lustspiel aufführen.
In der Generalprobe saß, nicht weit von mir,
ein geschätzter Kollege und weinte heftig. Die
Hellen Thränen rannen ihm unaufhörlich über
beide Wangen herab. „Sie müssen entschul-
digen," sagte er endlich, als er meinen er-
staunten Blicken begegnete, „ich finde Ihr
Stück wirklich sehr lustig; aber ich kann nicht
anders. Ich komme nämlich eben von einer
kleinen Gperation bei meinem Augenarzt: ich
habe mir den Thränenkanal erweitern
lassen." „Dann thun Sie mir nur einen
einzigen Gefallen!" rief ich aus. „Lassen Sie
sich, wenn nächstens ein Trauerspiel von mir
aufgeführt wird, nicht vorher mit Lachgas
opcriren!"
2ei1gernässe Miener “Variante
„In deinem Lueger ist Desterreiciz!"
Tertius gaudens
Sultan Abdul Hamid beschäftigte sich
seit der Freundschaft mit Deutschland gern mit
deutscher Litteratur, wobei ihm besonders der
Mephistopheles imponierte.
Eines Tages betrachtete er in einem Kon-
stantinopler „Bilderblattl" eine Scene, wie
Russen, Engländer, Oesterreicher n. s. w. sich
mit den Chinesen herumschlugen.
„Hab ich doch meine Freude dran!" citirte
er schmunzelnd.
Ohne Lvlinder!
6lne Tkrenoclie
Iei tu ngs Meldung: In einem Hamburger
Blatt tobt unter der Rubrik „Eingesandt"
ein erbitterter Kampf wegen der Ungeheuer-
lichkeit, daß jüngere Kaufleute dort im Stroh-
hut und Sommerkleidern auf die Börse
kommen, statt in Gehrock und Lylinder.
Weint mit mir, die Ihr auch heutzutage
Noch den Anstand und die Sitte schälst!
Stimmt mit Jammern ein in meine Klage,
Seid mit mir verkrümelt und verletzt!
Rauft mit mir das Haar und schlagt die Brüste,
Klagt in Sack und Asche, trostberanbt —
Dann vernehmt, lvas neulich sich die wüste
Kanfmannsjugend Hamburgs hat erlaubt:
1900
. JUGEND -
G&itt etXtcr
Und was sich jüngst
ereignete,
wie man gemeldet
aus Shanghai,
Stimmt nicht. In
Peking läugnctc
Man, daß die Meld-
ung richtig sei.
Das gestern uns
Geschriebene
Aus Wci-hai-wci und
aus Tschifu
Entpuppt sich als
geriebene
Erfindung Jeder-
mann im Nu.
Rlav ist nur: der
L h i n e s e lügt,
Das ist bei ihm
uralter Brauch.
Vertraulich fei
hinzugcfügt:
Und bei den frem-
den Teufeln auch!
ISoliemuud
Illeine
Erlebnisse eines
Bühnendichters
von Ludwig Fulda
Als junger Autor be-
fand ich mich vorüber-
gehend in einer Provinz-
stadt, und da im Theater
M. Slevogt zufällig das einzige
Merk aufgeführt wurde,
das ich bisher der deutschen Bühne geschenkt
hatte, so hielt ich es für meine Berufspflicht,
der Vorstellung beizuwohnen. Ts war eine
Abonnementsvorstellung; vor mir in der Loge
faß eine dicke Abonnentin, die ebenso wenig
wie das übrige Publikum von der sensationellen
Thatsache meiner Anwesenheit eine Ahnung
hatte. Die Aufführung begann — und trotz
meiner damals noch gänzlich intakten Be-
scheidenheit fühlte ich mich mehr und mehr
zu der Üeberzeugung gedrängt, das lustigste
Lustspiel der gesammten Weltliteratur geschrie-
ben zu haben; denn die dicke Abonnentin vor
mir bog, wand und schüttelte sich ohn' Unter-
laß in geradezu beängstigenden Lachkrämpfen.
Ich habe nie wieder einen Ukcnschen so lachen
sehen. Ein Gottesgeschöpf mit so elementarer
Gewalt amüfiren zu können, dieses Bewußt-
sein erfüllte mich mit edlem Stolz und weit-
gehender innerer Befriedigung. Aber die
Nemesis sollte nicht ausbleiben. In meinem
Stück — am Schluß des dritten Aktes — be-
findet sich eine einzige ernste Scene. Kaum
hatte diese ernste Scene begonnen, da beugte
sich die dicke Abonnentin zu ihrer Nachbarin
hinüber und sagte mit dem Ton der tiefsten
und schmerzlichsten Enttäuschung: „D a s ist
doch kein Lustspiel!"
Wenn der Regisseur in einem Stück, das
er insceniren soll, auch als Hauptdarsteller
mitwirkt, das ist ebenso mißlich, wie wenn
der Kapellmeister gleichzeitig die erste Geige
spielt: während er spielt, kann er nicht diri-
giren, und während er dirigirt, kann er nicht
spielen. Der mir befreundete, treffliche Re-
gisseur X. befand sich bei der Linstudirung
eines meiner Stücke in dieser bedenklichen
Doppelstellung. Wir probirten an einer Scene,
in welcher einige Herren in lebhaftem Gespräch
Zopf und Schwert
Eigen-Liedcr unseres nach dem chinesischen
Kriegsschauplatz entsandten Spczial-
Lprikcrs
I.
was von moderner Rri'egeskunst
Er weiß, verdankt er unserer Gunst,
Des Reichs der Mitte zopfiger Sohn,
Doch schnöder Undank ist der Lohn,
wir lehrten ihn das Rcglcmang,
Den militärisch-festen Gang —
Hinein den Bauch — heraus die Brust! —
Das hat er früher nicht gewußt.
Auch wurde manches Schiff für ihn
Geliefert vom Vulkan Stettin,
Ihm selbst lag alles dieses fern,
weil der Chinese unmodern!
Er liest ja nur den Ron-fu-tsc
Und nährt sich meist von Reis und Thcc.
Als wir ihn gründlich informirt,
wie man moderne Kriege führt,
Da mordet er zum Dank dafür
Die „fremden Teufel". (Das sind wir!)
Nun sch' ich fremder Teufel klar,
Daß ich ein dummer Teufel war.
II.
Mit wachsender Beklommenheit
Muß ich mir ferner eingestchn:
lNich hindert die Verschwommenheit
Der Lage Chinas, klar zu sehn;
Denn ganz genau Berichtetes
Aus Minfing, das als wahr erschien,
Erweist sich als Erdichtetes —
So meldet man aus Tientsin.
498
rechts um einen Tisch sitzen, während ihre
Frauen, von ihnen getrennt, links eine Plau-
derecke bilden. Regisseur X., der einen jener
Herren schauspielerisch verkörperte und, nach
Vorschrift seiner Rolle, mit dcni Rücken gegen
die Damen saß, wandte sich mitten in eifriger
Unterhaltung plötzlich um und sah mit forschen-
den, mißbilligenden Blicken zu ihnen hinüber.
„Sie haben Recht, lieber X.bemerkte ich;
„die Gruppe da links gefällt mir auch noch
nicht." „Hm," antwortete er, „ich drehte
mich jetzt eigentlich nicht als Regisseur herum,
sondern als Darsteller; dieser Blick nach den
Damen, glauben Sic mir, das ist eine wirk-
same schauspielerische Nuance." Die Scene
nahm ihren Fortgang: die Frauen links be-
nutzen ihre Isolirtheit, um sich halblaut über
ihre Männer lustig zu machen. Und wieder
beschrieb F.cns Haupt plötzlich einen Halbkreis
und sah die Flüsternden mit forschenden, miß-
billigenden Blicken an. „Nein, lieber X.,"
unterbrach ich, „das geht nicht. Diesmal dür-
fen Sic sich nicht umwenden,; denn Sie sollen
ja nicht hören, was die Damen sprechen."
„Weiß ich, weiß ich," betheuerte F.; „aber
diesmal habe ich mich nicht als Darsteller,
sondern als Regisseur umgedreht."
Ich ließ ein neues Lustspiel aufführen.
In der Generalprobe saß, nicht weit von mir,
ein geschätzter Kollege und weinte heftig. Die
Hellen Thränen rannen ihm unaufhörlich über
beide Wangen herab. „Sie müssen entschul-
digen," sagte er endlich, als er meinen er-
staunten Blicken begegnete, „ich finde Ihr
Stück wirklich sehr lustig; aber ich kann nicht
anders. Ich komme nämlich eben von einer
kleinen Gperation bei meinem Augenarzt: ich
habe mir den Thränenkanal erweitern
lassen." „Dann thun Sie mir nur einen
einzigen Gefallen!" rief ich aus. „Lassen Sie
sich, wenn nächstens ein Trauerspiel von mir
aufgeführt wird, nicht vorher mit Lachgas
opcriren!"
2ei1gernässe Miener “Variante
„In deinem Lueger ist Desterreiciz!"
Tertius gaudens
Sultan Abdul Hamid beschäftigte sich
seit der Freundschaft mit Deutschland gern mit
deutscher Litteratur, wobei ihm besonders der
Mephistopheles imponierte.
Eines Tages betrachtete er in einem Kon-
stantinopler „Bilderblattl" eine Scene, wie
Russen, Engländer, Oesterreicher n. s. w. sich
mit den Chinesen herumschlugen.
„Hab ich doch meine Freude dran!" citirte
er schmunzelnd.
Ohne Lvlinder!
6lne Tkrenoclie
Iei tu ngs Meldung: In einem Hamburger
Blatt tobt unter der Rubrik „Eingesandt"
ein erbitterter Kampf wegen der Ungeheuer-
lichkeit, daß jüngere Kaufleute dort im Stroh-
hut und Sommerkleidern auf die Börse
kommen, statt in Gehrock und Lylinder.
Weint mit mir, die Ihr auch heutzutage
Noch den Anstand und die Sitte schälst!
Stimmt mit Jammern ein in meine Klage,
Seid mit mir verkrümelt und verletzt!
Rauft mit mir das Haar und schlagt die Brüste,
Klagt in Sack und Asche, trostberanbt —
Dann vernehmt, lvas neulich sich die wüste
Kanfmannsjugend Hamburgs hat erlaubt: