Nr. 30
JUGEND
1900
f#rP ^
LL rr«ir — frljctw — wem!
Lhamberlain: „Lieber Bülow, ich bin leider verhindert, die erste Violine zu spielen — möchtest Du nicht mein Solo übernehmen?"
Aus dem Tagebuch
eines politischen Kannegießers
Bon Edgar Steiger
I.
Heute Nacht träumte mir, ich sei ein Chi-
nese. Als ich aber morgens vor den Spiegel
trat, sah mir ein ganz gewöhnlicher Europäer
daraus entgegen. Das heißt, unter uns ge-
sagt: die Platte hätte allenfalls zum Chinesen
ausgereicht! nur fehlte leider der Zopf. Natür-
lich nicht etwa in metaphorischem Sinne. Nein,
ich bin, Gott sei Dank, ein guter Deutscher,
und was ein guter Deutscher ist, — — doch
ich will heute in den Tagen der europäischen
Berbriideruug und der asiatischen Verwicklung
keine Staatsgeheimnisse ausplaudern. Nur das
Eine sei zu Nutz und Frommen unserer Nolks-
wirthschaftler und Kathedersozialisten ausdrück-
lich bemerkt: Trügen wir Deutschen unsere
Zöpfe sichtbar, wie die Chinesen, so würden
selbst Herr von Kardorff und Graf Mirbach für
Aufhebung der Schutzzölle auf Menschenhanre
stimmen; denn unserer Concurrenz müßte
das ganze Ausland unterliegen, China nicht
ausgeschlossen, trotz der Oberammergauer Pas-
sionsspiele oder vielmehr gerade deshalb. Oder
iver wollte leugnen, daß der schmachtlockige
Christus Laug im bayrischen Gebirg noch mehr
ans englisch augeschwärmt wird als der be-
zopfte Li-Hung-tfchang drüben am gelben Meer?
lind dabei muß sich der alte Chinese mit der
Huldigung der Männer begnügen, während sich
um den jungen Deutschen die zartesten Ladies
bemühen. Nur in Eine»! stimmen Beide über-
ein: sie lächeln um so schlauer und verschmitzter,
je mehr sie angewedelt werden, und bis heute
hat Niemand die geheimen Gedanken der Beiden
errathen. Berechnet etwa der brave Bürger-
meisterssohn von Ammergau, während ihm die
hysterische Engländerin die Hand küßt, mit pa-
triotischem Hochgefühl den klingenden GotteS-
segen, den sein Theaterspiel in's heiinathliche
Dorf lockt? O, dann sind seine Gedanken
doch wohl tausendmal unschuldiger, als die
des verschlagenen chinesischen Vicekönigs, der,
während er uüt unseren Consuln die Friedens-
pfeife raucht, insgeheim seine Landsleute zu
einer sicilianischen Vesper allergrößten Stils
anfeuert.
Doch wozu solche nnnöthige Angst? Herr
von der Goltz meint ja, daß die Chinesen ganz
harmlose Leute seien, die die paar tausend
Europäer mehr zum Spaß und aus Lange-
weile abgestochen hätten. Und Herr von der
Goltz muß es ja wissen; denn er ist oder war
ja, soviel mir bekannt, preußischer Gesandt-
schaftsattachä in Peking, und als solcher muß
er doch vom chinesischen Volkscharakter unge-
fähr so viel verstehen, wie ein gewisser Kultus-
minister von der Kunst, von der lex Heinze
und ähnlichen dehnbaren Dingen.
Wenn cs übrigens so leicht ist, die 400
Millionen Chinesen zu beruhigen, warum ist
denn nicht, an Stelle unserer Panzerdivision,
Herr von Goltz nach Taku abgednmpft? Er
hätte doch bedeutend weniger Reisegeld ge-
braucht. Und überdies hätte er den europä-
ischen Mächten die große Verlegenheit erspart,
sich über einen geeigneten Obergencral zu
einigen.
Ich habe mir diese schwierige Sache lange
überlegt, bin aber immer noch zu keinem be-
stimmten Ergebniß gelangt. Und zwar einfach
weil ich die geheimen Absichten unserer Di-
plomaten nicht kenne. Sollten diese Herren
z. B. eine widernatürliche Lust nach chinesischen
Prügeln verspüren, so brauchten sie nur in
corpore der Königin Viktoria eine Bittschrift
zu unterbreiten, daß sie ihnen für einige
Monate General Buller oder Gatacre abtrete;
denn ich bin gewiß, daß die europäische Armee
unter solcher Führung Peking niemals sehen
würde.
Aber Rußland als Vormacht? Wer kennt
nicht die fchöne Fabel, wie der Löwe , als er
mit dem Ochsen und dem Esel ans die Jagd
gegangen war, die Beute vertheilte? Die
Mandschurei ist ein fetter Bissen, und von dort
bis zur alten Kaiserstadt Mulden ist es nicht
mehr weit.
Doch ich rede ja wie das dumme Weib
mit dem Milchtopf. Noch ist ja kein Euro-
päer in Peking, wenigstens kein lebendiger.
Und ich weiß nicht, wie's kommt — aber
wenn ich den Namen Peking höre, muß ich
immer an Moskau und an die elektrische Tram-
bahn in München denken. An Moskau, weil
bei solchem Zug ins Herz eines fremden Lan-
des die Heimreise oft schwieriger ist als die
Hinfahrt. Und an die Münchner Elektrische,
weil es Dinge gibt, die nie fertig werden, so-
lange sich zwei Behörden darüber streiten.
Aber deßhalb nur nicht den Muth ver-
loren! Mit China hat es ungefähr dieselbe
Bewandtuiß, wie mit dem Münchner Wetter.
Es ist so schlecht, daß es nicht mehr schlechter
werden kann. Also muß es besser werden!
KerZart Kaüptmamiß gesammelte
Bauwerke
In Deutschland werde, glaubt und sagt man,
Nie würdig ein Poet geehrt;
Doch seht nur mal den Gerhart Hauptmann —
Und Eure Meinung ist bekehrt!
Der pflegt, wie ein Journal berichtet,
Den Bausport ohne Sorg' und Geiz —
Und fertig hat er sich gedichtet
Das vierte Landhaus auch bereits.
„vor Sonnenaufgang" ward begonnen,
Doch Anfangs ging die Sache flau
Und mühsam hat er nur gewonnen
Lin schlichtes Hans in Schreiberhau.
Dann brachten „Lrampton, der Lollege",
Und „Biberpelz", und „Weber" bald
Des Dichters Ruhm auf andre Wege —
Nun baute er im Gruncwald.
pikfein und stilvoll war vom Aeller
Zum Wetterhahn das neue Haus;
von da ab wuchs sich immer schneller
Herrn Hauptmanns Aunst und Baulust aus:
Der Maurer Muttern (stets betrunken),
Der fügte fleißig Stein auf Stein
Und auch die Glocke, die versunken,
Trug manchen schönen Batzen ein.
Und zu Agnetendorf im Riesen-
gebirge hat der Dichter Hanpt-
mann sich von dem Erlös aus diesen
Den dritten Neubau dann erlaubt!
Doch dünkte diese Berguatur ihn
In Bälde auch zu eng und dumpf;
Der gute „Fuhrmann Hcnschel" fuhr ihn
Jetzt von Triumphe zu Triumph.
Er saß in Lorbeer bis zur Nase
Auf des Parnasses höchstem Sitz
Und baute sich in dieser Phase
Das vierte Haus in Blasewitz.
wie lang? Dann wird er Anlauf nehmen
Zum fünften und zum sechsten Barr!
(wenn auch nicht g'rad aus den Tantiemen
Der Märchenposse „Schluck und Jaul" —)
Nur zu, Poet! Und baue Villen,
wo's irgend heimlich ist und schön;
Im Alpenland im grünen, stillen,
Am Rhein, am Meer und an der Rhön.
Lass' von der Neider Lamarilla
Dich stören nicht in diese»: Glück —
Bedeutet uns doch jede Villa,
Die Dir gehört, ein gutes Stück!
SH
JUGEND
1900
f#rP ^
LL rr«ir — frljctw — wem!
Lhamberlain: „Lieber Bülow, ich bin leider verhindert, die erste Violine zu spielen — möchtest Du nicht mein Solo übernehmen?"
Aus dem Tagebuch
eines politischen Kannegießers
Bon Edgar Steiger
I.
Heute Nacht träumte mir, ich sei ein Chi-
nese. Als ich aber morgens vor den Spiegel
trat, sah mir ein ganz gewöhnlicher Europäer
daraus entgegen. Das heißt, unter uns ge-
sagt: die Platte hätte allenfalls zum Chinesen
ausgereicht! nur fehlte leider der Zopf. Natür-
lich nicht etwa in metaphorischem Sinne. Nein,
ich bin, Gott sei Dank, ein guter Deutscher,
und was ein guter Deutscher ist, — — doch
ich will heute in den Tagen der europäischen
Berbriideruug und der asiatischen Verwicklung
keine Staatsgeheimnisse ausplaudern. Nur das
Eine sei zu Nutz und Frommen unserer Nolks-
wirthschaftler und Kathedersozialisten ausdrück-
lich bemerkt: Trügen wir Deutschen unsere
Zöpfe sichtbar, wie die Chinesen, so würden
selbst Herr von Kardorff und Graf Mirbach für
Aufhebung der Schutzzölle auf Menschenhanre
stimmen; denn unserer Concurrenz müßte
das ganze Ausland unterliegen, China nicht
ausgeschlossen, trotz der Oberammergauer Pas-
sionsspiele oder vielmehr gerade deshalb. Oder
iver wollte leugnen, daß der schmachtlockige
Christus Laug im bayrischen Gebirg noch mehr
ans englisch augeschwärmt wird als der be-
zopfte Li-Hung-tfchang drüben am gelben Meer?
lind dabei muß sich der alte Chinese mit der
Huldigung der Männer begnügen, während sich
um den jungen Deutschen die zartesten Ladies
bemühen. Nur in Eine»! stimmen Beide über-
ein: sie lächeln um so schlauer und verschmitzter,
je mehr sie angewedelt werden, und bis heute
hat Niemand die geheimen Gedanken der Beiden
errathen. Berechnet etwa der brave Bürger-
meisterssohn von Ammergau, während ihm die
hysterische Engländerin die Hand küßt, mit pa-
triotischem Hochgefühl den klingenden GotteS-
segen, den sein Theaterspiel in's heiinathliche
Dorf lockt? O, dann sind seine Gedanken
doch wohl tausendmal unschuldiger, als die
des verschlagenen chinesischen Vicekönigs, der,
während er uüt unseren Consuln die Friedens-
pfeife raucht, insgeheim seine Landsleute zu
einer sicilianischen Vesper allergrößten Stils
anfeuert.
Doch wozu solche nnnöthige Angst? Herr
von der Goltz meint ja, daß die Chinesen ganz
harmlose Leute seien, die die paar tausend
Europäer mehr zum Spaß und aus Lange-
weile abgestochen hätten. Und Herr von der
Goltz muß es ja wissen; denn er ist oder war
ja, soviel mir bekannt, preußischer Gesandt-
schaftsattachä in Peking, und als solcher muß
er doch vom chinesischen Volkscharakter unge-
fähr so viel verstehen, wie ein gewisser Kultus-
minister von der Kunst, von der lex Heinze
und ähnlichen dehnbaren Dingen.
Wenn cs übrigens so leicht ist, die 400
Millionen Chinesen zu beruhigen, warum ist
denn nicht, an Stelle unserer Panzerdivision,
Herr von Goltz nach Taku abgednmpft? Er
hätte doch bedeutend weniger Reisegeld ge-
braucht. Und überdies hätte er den europä-
ischen Mächten die große Verlegenheit erspart,
sich über einen geeigneten Obergencral zu
einigen.
Ich habe mir diese schwierige Sache lange
überlegt, bin aber immer noch zu keinem be-
stimmten Ergebniß gelangt. Und zwar einfach
weil ich die geheimen Absichten unserer Di-
plomaten nicht kenne. Sollten diese Herren
z. B. eine widernatürliche Lust nach chinesischen
Prügeln verspüren, so brauchten sie nur in
corpore der Königin Viktoria eine Bittschrift
zu unterbreiten, daß sie ihnen für einige
Monate General Buller oder Gatacre abtrete;
denn ich bin gewiß, daß die europäische Armee
unter solcher Führung Peking niemals sehen
würde.
Aber Rußland als Vormacht? Wer kennt
nicht die fchöne Fabel, wie der Löwe , als er
mit dem Ochsen und dem Esel ans die Jagd
gegangen war, die Beute vertheilte? Die
Mandschurei ist ein fetter Bissen, und von dort
bis zur alten Kaiserstadt Mulden ist es nicht
mehr weit.
Doch ich rede ja wie das dumme Weib
mit dem Milchtopf. Noch ist ja kein Euro-
päer in Peking, wenigstens kein lebendiger.
Und ich weiß nicht, wie's kommt — aber
wenn ich den Namen Peking höre, muß ich
immer an Moskau und an die elektrische Tram-
bahn in München denken. An Moskau, weil
bei solchem Zug ins Herz eines fremden Lan-
des die Heimreise oft schwieriger ist als die
Hinfahrt. Und an die Münchner Elektrische,
weil es Dinge gibt, die nie fertig werden, so-
lange sich zwei Behörden darüber streiten.
Aber deßhalb nur nicht den Muth ver-
loren! Mit China hat es ungefähr dieselbe
Bewandtuiß, wie mit dem Münchner Wetter.
Es ist so schlecht, daß es nicht mehr schlechter
werden kann. Also muß es besser werden!
KerZart Kaüptmamiß gesammelte
Bauwerke
In Deutschland werde, glaubt und sagt man,
Nie würdig ein Poet geehrt;
Doch seht nur mal den Gerhart Hauptmann —
Und Eure Meinung ist bekehrt!
Der pflegt, wie ein Journal berichtet,
Den Bausport ohne Sorg' und Geiz —
Und fertig hat er sich gedichtet
Das vierte Landhaus auch bereits.
„vor Sonnenaufgang" ward begonnen,
Doch Anfangs ging die Sache flau
Und mühsam hat er nur gewonnen
Lin schlichtes Hans in Schreiberhau.
Dann brachten „Lrampton, der Lollege",
Und „Biberpelz", und „Weber" bald
Des Dichters Ruhm auf andre Wege —
Nun baute er im Gruncwald.
pikfein und stilvoll war vom Aeller
Zum Wetterhahn das neue Haus;
von da ab wuchs sich immer schneller
Herrn Hauptmanns Aunst und Baulust aus:
Der Maurer Muttern (stets betrunken),
Der fügte fleißig Stein auf Stein
Und auch die Glocke, die versunken,
Trug manchen schönen Batzen ein.
Und zu Agnetendorf im Riesen-
gebirge hat der Dichter Hanpt-
mann sich von dem Erlös aus diesen
Den dritten Neubau dann erlaubt!
Doch dünkte diese Berguatur ihn
In Bälde auch zu eng und dumpf;
Der gute „Fuhrmann Hcnschel" fuhr ihn
Jetzt von Triumphe zu Triumph.
Er saß in Lorbeer bis zur Nase
Auf des Parnasses höchstem Sitz
Und baute sich in dieser Phase
Das vierte Haus in Blasewitz.
wie lang? Dann wird er Anlauf nehmen
Zum fünften und zum sechsten Barr!
(wenn auch nicht g'rad aus den Tantiemen
Der Märchenposse „Schluck und Jaul" —)
Nur zu, Poet! Und baue Villen,
wo's irgend heimlich ist und schön;
Im Alpenland im grünen, stillen,
Am Rhein, am Meer und an der Rhön.
Lass' von der Neider Lamarilla
Dich stören nicht in diese»: Glück —
Bedeutet uns doch jede Villa,
Die Dir gehört, ein gutes Stück!
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