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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 31 (30. Juli 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0078
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19ÖÖ

JUGEND

Nr. 31

In des Abends letztem TuttKeln
Reit’ leb durch mein Tranltenland,
nächtiges Gewitterdunkeln
Säumt der Waldgebirge Rand?

wind und Wolken ziehen weiter, Robert Engels (München)

Und ich zieh den Wolken nach,

Und man kennt im Land den Reiter?
wolveram von Gschinbach.

Qof. Victor Scheffel. „Zmu Aventiure")

ein zweites Paar Brillen anzuschaffen, damit er
seinen Zug am Exerzierfelde leichter finde. Der
Kadett lächelte mit leiser Ironie nach Philosophen-
art. Nun hat ein Kadett während seiner Dienst-
leistung nicht zu lächeln, wenn er nicht gefragt
Ivird. Ironisch aber schon gar nicht. Der Oberst
beugte sich auf seinem Falben vor: „Was sind
Sie denn in Zivil?" fragte er.

„Kandidat der Philosophie, Herr Oberst",
sagte er saust.

„So?" sagte der Oberst, und am nächsten
Tage rief er zur Erheiterung des Offiziers-
korps, über den ganzen Exerzierplatz: „Sie
Philosoph" . . . Ein Oberst kann auch ironisch
sein, wenn er will. Aber ein Oberst bleibt
nicht bei der Ironie stehen. Sie ist eine zu
feine Waffe und eignet sich für den dienstlichen
Verkehr nicht. Darum, als der angerufene
Kadett in die Nähe kam, fügte er der ironischen
Anrede: „Sie Philosoph!" die Worte hinzu „Sie
sind ein Esel!" und dann erklärte er ihm warum.
Der Kadett hörte mit dankbarem Interesse zu.

Nun mag man sagen, >vas inan will, es ist
immer eine unangenehme Sache, die Tochter

eines Mannes zu lieben, der einen nach drei-
tägiger Bekanntschaft vor mehreren Leuten einen
Esel heißt. Wenn dieser Mann aber ein Oberst ist
und man selbst ihm fll§' armer Kadett gegenüber
steht, so wird der Gedanke einer Brautwerbung
grotesk. Das erkannte auch der Philosoph,
tröstete sich mit Schopenhaner's Entsagungs-
philosophie, resignirte und dachte an des Obersten
Tochter zurück wie an ein blondes und sehr
fernes Märchen.

Sie aber hatte Schopenhauer nicht gelesen.
Sic war nicht sür's Resigniren. Dieser junge
Manu gefiel ihr. Er war der Erste, der ihr
gefiel. Sie gefiel ihm sicher auch, also warum
sollten sie sich nicht heirathen? Das ist die ge-
sunde Logik einer Achtzehnjährigen, die nichts
von Philosophie weiß und das Herz an: rechten
Fleck trägt.

So fragte sie au einem der nächsten Tage, als
der Oberst nach dem Essen die Zeitung vornahm:

„Wie macht sich der Kadett, der am Sonntag
bei uns war?"

„Wer?" fragte der Oberst mißtrauisch. „Ah der!
Der Philosoph!" Er grinste vor Sarkasmus.

Hierauf gab er eine kurze Charakteristik von
den Fähigkeiten des jungen Mannes.. Er nannte
ihn nicht wieder einen Esel. Er liebte es nicht,
.sich zu wiederholen. Wozu auch. Die Zoologie
umfaßt ein so weites Gebiet. ; Der Oberst war
ein Mann von gründlicher naturwissenschaftlicher
Bildung. Er schloß mit den einfachen Worten:
„Er ist ein Kameel."

Die blonde Tochter stand auf, neigte das Haupt
und ging mit leise?: Schritten auf ihr Zimmer.
Der Obersh schaute ihr behaglich nach. Er hatte
etwas gewittert. Aber die Hauptsache ist: Nichts
aufkonrmen lassen! Das war auch sein Princip im
Dienste. Er tvar ein Pädagog, der Oberst. Und
er that sich auch etwas zu Gute darauf.

Des Obersten Tochter nahm ihr blaues
Sammtkleid, einen blauen Hut, einen weißen
Schleier, zog die Handschuhe an und wartete am
Fenster ihres Zimmers, das ans den Kasernhof
hinausging, bis sie . den vielgequälten philo-
sophischen Kadetten die-Kaserne verlassen sah.
Dann ging sie aus, ohne mit einer ihrer schone??
Wimper?? zu zucken, ohne einen Augenblick zu
zauderi?.

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Robert Engels: Zeichnung ohne Titel
 
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