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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 31 (30. Juli 1900)
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Nr. 3i

JUGEND

1900

Als der Philosoph um die Ecke bog, sah er
zu seinem Erstaunen das blonde Märchen in
einem blauen Sammtkleid direkt auf ihn zu-
kommen. Als Zivilist hätte er sie jedenfalls
angesprochen, allein durch seine Mißerfolge in
den letzten Tagen war er ein wenig eingeschüchtert.
Auch dachte er, die Tochter möchte die Ansichten
ihres Vaters in betreff seiner geistigen Qualitäten
wohl theilen. So wollte er mit einem stummen
Gruß an ihr vorbei.

Das war aber durchaus nicht ihre Absicht.
Mit einem Lächeln, das couragirte Mädchen
in entscheidenden Augenblicken finden, fragte sie,
indem sie ihren Schritt verzögerte: „Wie geht
es Ihnen?" ' '

Einen Augenblick lang stand er ihr fassungs-
los gegenüber. Im nächsten Augenblick wußte
er Alles.

„Ich danke — schlecht," sagte er lustig.

„Ich weiß," lächelte sie, indem sie einen
Augenblick stehen blieb, „Papa ist gar nicht zu-
frieden mit Ihnen. Sie müssen sich sehr zu-
sammenuchmen, sonst —"

„Sonst?" fragte er keck.

„Sonst — werden Sie schlecht beschrieben,"
lächelte sie und schloß eine Sekunde laug die
Augen. „Adieu."

Er schaute ihr nach, bis das blaue Kleid um
die nächste Ecke bog.

Am nächsten Tage, als die Vormittags-
übungen begannen, setzte er sich fest und ernst-
lich vor, sich zusammenzunehmen. Und schon
sah er sich im Geiste die
spröde Gunst des Borges
setzten Schritt für Schritt
gewinnen, schon träumte
er von einem ersten ivohl-
ivollendcn Lächeln, von
einem freundlichen Wort,
von eine« Einladung in's
Hans — da hörte er sich
mit Fanfarenstimme poM
Obersten, der auf seinem
Falben herangeschnaubt
kam, angerufcn: „Kadett
heraus!" Das war keine
srenndliche Einladung,

Der Philosoph hatte
nämlich, in seine Träu-
nicreieu von einer künf-
tigen Versöhnung ver-
sunken, seinen Zug ge-
müthlich in einen der
Teiche von mittlercrAus-
dehnnng niarschircu las-
se», wie sie da und dort
»ach einem Regen das
Ererzicrscld verschöner-
ten. Die Leute lvaren
vergnüglich ' und mit
Stcchschritten in das
Wasser gestapft, weil sie
sahen, wie der Oberst
herüber schaute, und sich
schon ans die Szene freu-
ten, die folgen würde.

Der Kadett kommandirte
rathlos „halt!" und ließ
die Leute mitten im Was-
ser stehen, die unbcweg-
lich, lute Säulen, da-
standcn, mit ernsten Ge-
sichtern , ob sie gleich
innerlich jubelten. So
sieht es ans, wenn ein
Philosoph sich beim Exer-
eircn znsammcnnimmt.

„Kadett heraus!" schrie
der Oberst noch einmal.

Der Kadett lief schon.

Das heißt: für einen
Philosophen lief er, für
einen Kadetten war es

nicht geschwind genug. Als er daher vor dem
Obersten stand und salutirte, streckte dieser
ganz ruhig die Hand aus und befahl: „Kadett
hinein!"

Er verstand nicht sogleich. Ein Blick des
Kommandanten erklärte ihm die Sache. Er war
nicht flink genug gelaufen. Er kehrte also zurück
und stellte sich bei seinem Zug auf. „Kadett her-
aus !" befahl der Oberst neuerdings und als er
wieder vor ihm stand: „Kadett hinein." llnd
dieses ergötzliche Spiel wiederholte er einigemalc,
dann erst erklärte er ihm den Zweck: „Damit
Sie laufen lernen, Herr Kadett!" Außer Ka-
detten behandelt man nur Hunde so.

Der Kadett hätte ihm am liebsten den Säbel
aus der Hand gerissen vor Wuth. Ein solcher
Mensch soll eine solche Tochter haben, und in
diese Tochter soll man verliebt sein!

Das war eint Vormittag. Am selben Nach-
mittag begegnete er der Tochter, die ausgcgangcn
war, sich ein Paar Handschuhe zu kaufen. Und
weit der Kadett just dieselbe Straße ging, so
durfte er sie ein Stückchen begleiten. Im Nu
waren die Grobheiten des Obersten vergessen.

Und so ging es auch an den folgenden Tagen.
Vormittags die Flegeleien des Vaters, Nach-
niittags die Zärtlichkeiten der Tochter. Die
Flegeleien wurden von Tag zu Tag gröber, die
Zärtlichkeiten immer seiner. Im Verlauf der
nächsten zivei Wochen wurde der Philosoph ein
vollständiger Bajazzo in der Hand des Obersten,
über den das ganze Regiment lachte, eine Art

von Regimentsnarr, wie er zum Stabe eines
jeden Regimentes gehört ebenso wie ein Hund
und ein Hornist. Das war an den Vormittagen:
Nachmittags war er ein König.

Das Töchterlein machte noch einen Versuch,
den Frieden zwischen dem Vater und dem heim-
lichen Liebhaber zu vermitteln. Sie fragte ein-
mal:

„Wird uns der Kadett nicht noch einmal be-
suchen?" Schon war er „der Kadett."

„Besuchen?" fragte der Oberst zurück mit
einem Grinsen, das fehl Gebiß bis zu den
Wcishcitszähnen entschleierte. „Besuchen soll er
mich auch noch! Ich wollt' es ihm rathcn."

„Ist er denn wirklich so ungeschickt?" er-
kundigte sie sich mit einem gezwungenen Lachen.

„Ungeschickt? Ein Heuochs ist er, ein Narr,
ein Clown, das ganze Regiment lacht über ihn."

„Wissen Sic, was Papa über Sie gesagt
hat?" fragte sic am Nachmittag ihren Liebsten,
der ihr schon beide Hände küßte.

„Ich bin nicht neugierig, mein Fräulein.
Auch hat es mir Papa tvahrscheinlich schon selbst
gesagt."

„Das ganze Regiment lacht über Sie," sagte
sie im Ton eines strengen Verweises.

„Es lacht noch nicht, aber es lächelt," ent-
gegncte er. „Ich möcht' es lachen machen —
das ganze Regiment. Weint Sie mir Helsen
wollen, bringen wir es zn Stande."

Das war ein Plan, der in seiner erbitterten
Kadettcnseele entstanden war. Er wollte sich rächen.

Es galt die Ehre der Phi-
losophie gegenüber der
rohen Geivalt des Mili-
tarismus ztc retten. Und
es galt, ein schönes Mäd-
chen zn gewinnen, das
nur durch einen Gewalt-
streich zn erobern war.
Jawohl, das ganze Re-
giment soll lachen, fragt
sich nur über wen.

Sie hatte Muth für
drei, und dann es war
das einzige Mittel. Ans
friedlichem Wege war
Papa nicht ztc haben.
Also Krieg. Krieg dem
Obersten. Sie ging da-
rauf ein.

Zlvci Tage später
wurde die Schlacht ge-
schlagen. Der Kadett be-
gann die Operationen,
indem er sich krank mel-
dete. Der Oberst, der
eine schon geivohnte Zer-
streuung auf dem Exer-
zirplatz vermißte, be-
schloß, den Philosophen,
wenn irgend möglich, da-
für einznsperren.

Aber um 10 Uhr tra-
fcir die Verbündeten zu-
sammen, nämlich der Ka-
dett und seine Blondine.
Sie gingen in eine nahe-
gelegene Konditorei, an
der das einrückende Re-
giment vorbei mußte.
Dort nahmen sic behag-
lich unter der Marquise
Platz und bestellten sich
rothes und tveißes Eis.

Als die ersten Töite
der Regimentsmusik von
weither über die sonnige
Straße erschollen, klopf-
ten einen Augenblick ihre
Herzen. Aber sogleich
lachten sie wieder und
vertieften sich in das Eis.

Fidus
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