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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

DOI issue:
Nr. 31 (30. Juli 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0081

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Nr. 31

JUGEND

1900

Obersten Toclj'er, eine junge Kaiserin in ihrer
blonden Schönheit. Ihr Mund lachte, die klei-
nen Hände bebten vor Vergnügen, die Augen
blitzten, die Jalousicen waren weit zurückge-
s hingen und ließen die langverhüllte schimmernde
Pracht in den erstaunten Frühling leuchten.

In der Kaserne angekommen, lies der Oberst,
ohne den Säbel abzulegen, wie ein lvahnsinniger
Tiger in seinem Zimmer ans und ab. Niemand
lvagte sich in seine Nähe. Nur das innthige
Töchterchen hatte den Math, ihre That zu ver-
treten. Tapfer trat sie bei ihm ein, in ihrem
Hellen Hut, den hellen Sonnenschirm in der
Hand. Tapfer ließ sie den Obersten sieben Mal
an sich vorüberrasseln.

„Nicht bös sein, Papa!" sagte sie, als er das
achte Mal an ihr vorüber kam und hing sich
an seinen Arm. Er wollte sie abschütteln, aber
da sah er, wie Thränen in ihre Augen traten.
Er blieb stehen. Da legte sie den blonden Kopf
an seine Schulter und streichelte seine alten
Wangen.

„Er lvird Dich heirathen," würgte er hervor.

Da fing sie unter Thränen zu lachen an.
„Aber Papa, das wollten wir doch nur erreichen."

Ein Kadett hatte ihn überlistet, ein Reserve-
kadett! Ein Reservekadett einen Obersten!

„Ruf' ihn mir!" brüllte er.

Der Philosoph hatte den klugen Einfall, zu
dieser Unterredung als Zivilist zu kommen. So
konnte ihm der Oberst „Herr Doktor!" sagen,
meint auch mit unterdrückter Wuth, und Alles
lief gut ab. Dann sagte der Oberst: „Morgen
kommen Sie mir zum Regimentsrapport!" Er
jagte nichts weiter — vorläufig.

Am nächsten Tage war Regimentsrapport.
Als der Oberst angerasselt kam, unterdrückten
die anwesenden Offiziere nur mühsam ein Lächeln
unter den Schnurrbärten. Aber der Oberst war
nicht zum Lachen aufgelegt, und er hätte es
keinem der Herren gerathen, zu lachen. Er war
wieder ganz Oberst, als er ans den Kadetten zu-
trat, der wieder ganz Kadett war, ganz Opfer.

Der Kadett meldete sein Erscheinen beim
Rapport über Befehl des Herrn Obersten.

Der Oberst maß sein Opfer von der Mützen-
rose bis zur Schuhspitze.

„Kopf in die Höh'!" begann er ganz harm-
los, um von Wort zu Wort eresesnäo schärfer
zu werden. „Kinn angezogen! Schultern zurück!
Kreuz hohl! Daumen ausstrecken! Rechte Fuß-
spitze auswärts. Zu viel! Zu wenig! Linke
Fußspitze einwärts! Stehen Sie „habt Acht!"
Donnerwetter!" Jetzt brüllte er, daß man ihn
bis in die Kantine am anderen Flügel hörte.
„Stehen Sie „habt Acht" vor Ihrem Obersten!"

Das war die Einleitung, „die Korrektur der
Stellung."

Dann begann er .wieder mit scheinbar sach-
licher Ruhe, aber Alle wußten, daß er am Ende
seiner Rede brüllen würde wie ein Stier. Das
ist Rapportstechnik.

„Sie haben sich gestern marode gemeldet und
sind zwei Stunden später mit einer Dame in
einer Konditorei gesehen worden. Es ist hier
ganz gleichgültig, wer diese Dame war"...
Er schaute drohend um sich. „Ich werd' Ihnen
zeigen" — jetzt kam es — „mit Damen in Kon-
ditoreien herumsitzen und die Cour schneiden statt
zu exerzieren! Wissen Sie, was das heißt?
Wissen Sie, was das ist, wenn Sie es in Kriegs-
zeiten thnn? Wissen Sie, daß das Desertion
ist!!?" Höhepunkt. Mause. Hierauf die Con-
clusion: „Ich werde Sie strafen! Exemplarisch!
Habt Acht! Stehen Sie ruhig. Dreißig Tage
Zimmerarrest. Strafantritt Morgen! Abtreten!.."

Sie glauben vielleicht, das war ein Spaß.
Aber da kennen Sie den Obersten schlecht.- Der
Kadett büßte seine dreißig Tage ab. Bon-Zeit
zu Zeit kam seine blonde Braut, brachte.ihm
Blumen in den Arrest und blieb einen Nach-
mittag bei ihm. Es waren die schönsten dreißig
Tage seines Lebens. —

Huf der Ijocbjcitsreisc

„Schah, guck nicht zum Zensier hinaus !
Wenn Jemand Dein herzig's G'sichterl
sieht, bleiben wir nicht allein."

J. Diez

Heber Degagements

von Paul Lindau

Wiaß es auch dem talentvollen Künstler mit-
unter nicht leicht wird, engagiert zu werden,
davon wissen alle unsere Schauspieler ein Lied-
chen zu si. Aber noch schwieriger ist es

bisweilen, sich seiner kontraktlichen Verpflicht-
ungen zu entledigen, „degagirt" zu werden;
und der Fall, daß ein Bühnenmitglied den
dringenden Wunsch hegt, seinen Kontrakt zu
lösen, um 'anderweitig eine künstlerisch oder
finanziell oder künstlerisch und finanziell vor-
theilhaftere Beschäftigung zu finden, ereignet
sich ziemlich oft. Wenn der Künstler durchaus
gehen und der Direktor ihn auf keinen Fall
gehen lassen will, was geschieht dann gewöhn-
lich ? Der KUnster macht sich unbeliebt. Er
ärgert den Bühnenleiter so lange, bis ihm
der perr Direktor den Kontrakt mit den Worten
vor die Füße wirft: „Scheeren Sie sich zum

Teufel!" Worauf der Uli,ne oder Sänger mit
höflichster Verbeugung für den abermaligen
Beweis hohen Wohlwollens herzlich dankt
und geht.

In der Theaterwelt sind Hunderte von
Anekdoten verbreitet über die Art und Weise,
wie sich Künstler mißliebig zu machen suchen,
um die Lösung ihres Tontraktes zu erzwingen.
Die typische Geschichte ist allbekannt. Der
Bassist einer kleineren, von einer energischen
Direktorin geleiteten Bühne will sein Engage-
ment durchaus lösen. Die Direktorin besteht
auf ihrem Schein und bleibt unerbittlich. Da
wird der „Freischütz" gegeben. Der Wander-
lustige singt den Kaspar. Durch die Wolfs-
schlucht rast die wilde Jagd. Unter den schreck-
lichen Spnkgestalten selbstverständlich die all-
gemein beliebte wilde Sau. Da tritt Kaspar
an die kartonnirte Bestie heran, lüftet die
Kopfbedeckung uitd sagt mit vollstem Ernste:
„Noch so spät auf, Frau Direktorin? Und
wohin denn so schnell?"

Als Karl von Bu ko wies, der Bruder
des jetzigen Direktors des Deutschen volks-
theaters, Enterich, an der Spitze des Wiener
Stadttheaters stand, war ein Komiker bei ihni
ettgagirt, der ebetifalls möglichst bald dem ver-
lockenden Rufe eitler anderen Bühne folgen
wollte. Karl von Bukowics studirte ritt Stück
wieder ein, das unter Laube schon mehrfach
gegeben worden war. Bukowics sagte dem
Betreffenden bei der Auftrittsscene: „Sie

kommen von rechts."

„Ich bitt schön," antwortete der Komiker,
„ich komme durch die Mitte."

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Index
Paul Lindau: Über Dégagements
Julius Diez: Zeichnung ohne Titel
Walter Caspari: Auf der Hochzeitsreise
 
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