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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 31 (30. Juli 1900)
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Nr. 31

JUGEND

1900

„von rechts, sag ich Ihnen-"

„Aber, fjcrr Direktor, ich habe das Stihf
zehnmal unter Laube gespielt., ich komme
durch die Illitte."

„Und ich sage Ihnen," ruft Buko-
wies mit erhobener Stimme in ärger-
licher Stimmung, „Sie kommen
von rechts! Mer ist denn
hier Regisseur? Sind Sie
es, oder bin ich es?"

„Ich bin kein Regis-
seur," antwortete dcrKo-
miker, „und Sic sind auch
keiner, Herr Direktor!"

Natürlich erfolgte die
gewünschte Entlassung
wegen grober Ungebühr.

Leopold Greve, der
den älteren Theaterbesu-
chern noch wohlbekannt
ist, der Typus des be-
ständig zu Ulk aufgelegten
Komödianten, der in un-
serer langweiligeren und
gesitteteren Zeit iiniuer
mehr verschwindet, war
im Berliner Schauspiel-
haus engagirt, wurde
sehr wenig beschäftigt
und sehnte sich fort. Er
reichte wiederholt sein
Lntlassnugsgesuch ein, es
wurde immer abschlägig
bcschieden. Wochenlang
ging Greve spazieren,
ohne den Fuß auf die
Bühne zu setzen. Da bege-
gnete er eines mittags
unter den Linden dem da-
inaligen General-Inten-
danten, Herrn von Hül-
scn, der gerade zwei oder
drei Tage vorher das so
und so oft schon erneute
Lntlassnugsgesuch wieder
abgelehut hatte. Grave
trat mit schnellen Schritten auf den arglosen
General-Intendanten zu, zog höflich den Hut
,uid sagte mit verbindlichstem Tone: „Ach,
könnten Sie mir vielleicht sagen, wo das
Königliche Schauspielhaus ist?"

Hülsen gab keine Antwort. Am folgenden
Tage war Grave ans dein verbände des
Königlichen Schauspielhauses entlassen.

Björn Björnson, der Sohn des Dichters
Björnstjerne Björusou, der sich der Schauspiel-
kunst gcwidniet Hatto und bei den Meiningern
zunächst engagirt war — jetzt ist er Direktor des
Hoftheaters in Thristiania — fühlte sich mit
der Zeit in der kleineil thüringischen Residenz
sehr unbehaglich, und die künstlerische Thätig-
keit, die ihm dort angewiesen wurde, genügte
seinem Ehrgeiz nicht. Namentlich langweilte es
ihn, daß er in kleinsten und oft in stummen
Rollen überlange Proben mitmachen uub sich
darauf zu beschränken hatte, lebhaft zu gestiku-
lircn, zll jubeln, zu toben, zu jauchzen und zu
jammern. Er hatte wiederholt Thronegk gebeten,
ihn gehen zn lassen. Aber Thronegk sah sich
nicht veranlaßt, diesem Wunsche zu willfahren.

Die „Räuber" werden probirt. Björnson
spielt irgend einen der Stimmung machenden
Räuber, die nichts zn sageli haben. Ls kommt
die Szene, worin der vom Galgen abgeschnit-
tene Roller vom Hanptmann feilten Spießge-
sellen wieder zugeführt wird. Unsagbarer Jubel,
Freudeugeschrei und Kreischen bewillkommnet
die Rückkehr des verlorenen Sohiles. Alles
fuchtelt mit den fänden und jauchzt. Björn-
son aber hat sich abseits gestellt, die Arune
über die Brust gekreuzt, den Kopf gescllkt und
blickt in heiligem Ernste grübelnd vor sich hin.

Aus dem offiziellen Weltausstellungs-Katalog des Deutschen Reiches

Das deutsche Haus

„Na nu, Herr Björusou," ruft ihn Thronegk
an, „was machen Sic denn da?"

„Wie denn, Herr Hofrath?" fragt Björn-
son sehr artig und sehr erstaunt.

„Ich frage Sie, was Sie da machen?"
wiederholt Thronegk in sehr gereiztem Tone.
„Sic kennen doch die Situation. Ihr Freund
und Kollege Roller ist gerettet und kommt
wieder zn Ihnen. Da sollen Sie sich freuen,
ausgelassen freuen, sollen laut aufjubeln, ge-
rade wie es die andern machen."

„Pardon, Herr Hofrath, ich habe eine andere
Aufsaffung."

„was haben Sie?" fragt Thronegk ganz
verdutzt, denn unter seiner Regie spielte eine
eigene Auffassung eine untergeordnete Rolle.
„Ich kümmere mich den Teufel um Ihre Auf-
fassung! Machen Sic es so, wie ich cs Ihnen
sage, also lärmen Sie und fuchteln Sie mit
den Händen wie die andern."

„Pardon, Herr kWrath," wiederholt Björnson
ebenso höflich wie vorher, „ich habe eine eigene
Auffassung. Ich denke mir, ich bin ein reuiger
Räuber, der die Baude bald verlassen will."

Die Kollegen lachten natürlich furchtbar
und am selben Abend durfte Björnson seinen
Koffer packen.

Diesseits von Klug und Unklug

Die Ordnungsphilister sind wie die Hyänen
in der.Menagerie: sic sind nicht eher ruhig,
als bis ihnen ihr ff-raö vorgeworscn wird,
einerlei ob es ein frisches Fleisch oder ein Aas
ist. Die Ordnung stinkt nicht.

Dte yjamoibeiften behaupten, daß wir nur
einen Gedanken ans Einmal zu fassen ver-
mögen. Dagegen spricht nicht nur die rasche
Urtheilsbildnng aus den entlegensten Ge-
dächtnissen, sondern auch die Struktur
unseres Gehirns und Nervensystcins,
das Nebeneinanderbeste-
hen zahlloser Merksystenie.
Die Gleichzeitigkeit und
das Zusammenwirken ver-
schiedener Gedanken kön-
nen wir mit den sich kreu-
zenden und überschneiden-
den Wellenringen verglei-
chen, welche eine Handvoll
in's Wasser geworfener
Steine auf der kurz vor-
her noch spiegelglatten
Fläche ziehen.

st- *

st-

Alle Vergleiche hinken;
wir stellen sie gerne au,
vielleicht weil der Hinkende
die Sympathie der Wohl-
wollenden für sich hat.

In der Stimme der
Vernunft stecken viel mehr
Obcrtöne des Herzens, als
die Herzlosen sich träumen
lassen. Ja es fragt sich, ob
herz- und lieblose Men-
schen überhaupt im vollen
Sinne des Wortes „ver-
nünftig" denken und han-
deln können. Sie wandeln
B. Bankok unter uns mit dem über-
legenen Lächeln des Nar-
ren, weil sic das Loch in
ihrer Psyche nicht empfin-
den oder vielleicht gar für eine Auszeichnung
halten. „ .

Der Letzte kommt nie in's Gedränge, aber

meistens zu spät — oft zu seinem Glück.

* «

Unter den Geistern höherer Ordnung muß

man die harmlosen Egoisten, denen das Den-
ken und Erkennen, das Spiel der Sinne und
der Phantasie genußreicher Selbstzweck ist,
unterscheiden von Jenen, welche dasBedürf
nt ft der Mittheilnng haben. Unter den
Letzteren sind wiederum die Eigennützigen von
den Menschenfreuirdcn, die gereizten Rechthaber
von den bescheidenen Wohlthätern, die Eitlen
von den Freien, die Neider von den Gcrechleu
zu unterscheiden. Es gibt auch welche, bei
denen alle publizistischen Tugenden und Laster
einen dicht verklebteit Weichselzopf bilden, aus
dem sie sich selber nicht mehr auskennen, und
das sind wohl die Menschlichsten. Ich habe
die Beobachtung gemacht, daß gerade diejenige»,
welche am Meisten mit der Unempfindlichkeit
. gegen das Urtheil der Menschen prahlten, von
einer förmlichen Nervosität in dieser Beziehung
besessen waren. Die schwersten Selbstverwund-
ungen aber schlägt der Sporn des Ehrgeizes,
Andere geistig zu überragen. Man sieht, int
allzu Menschlichen gleichen sich die Geiste,
höherer und niederer Ordnung auf's Haar.

Georg Hirrh
Register
Bernhard Pankok: Das deutsche Haus
Georg Hirth: Diesseits von Klug und Unklug
 
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