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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 32 (06. August 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0099
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Nr. 32

JUGEND

1900

Der Zug jutn finstern Stern

(Sommer 1220)

I.

Nacht. Ueberm Walde brennt das Schloß,
König Lrich berennt den Thurm.

Ls schwirrt der Pfeil, es stampft das Roß,
Die Leitern haken zum Sturm.

Zn Syrien fern der Burgherr trieb
Die Sarazenenbrut.

Sein Schild fing manchen Heidenhieb
Zn asiatischer Glut.

Palle Nosencrantz mit der Lisenschar
Ließ schützen er Wall und Weib.

Palle Nosencrantz that, was möglich war,
Nun liegt zerftückt sein Leib.

Dem rothen Hengst auf den Sattelbug
Legt König Lrich den Naubi
Der rothe Hengst zwei wenschen trug
Durch Haidkraut und grünes Laub.

Noch fraß die Sonne nicht den Thau,
Die Wiesen rauchen im Thal.

Am Panzer des Königs die ohnmächtige

Frau

Ist Langes, des Burgherrn, Gemahl.

Sie beißt, sie kratzt, sie wehrt sich:

Du Hund!

„Sachte, mein Täubchen, nur sacht."

Und schon hängt sie girrend an seinem

wund,

Auch hier gewann Erich die Schlacht.

Lin Jagdhaus im woor, von Erlen

umstickt,

Lin Kolk mit Wildenten davor,

Wo die Wasserlilie im Morgenwind nickt
Und die NaUe rötert im Nohr.

Da haben die Beiden ein gutes versteck,
Die Wache fällt drohend den Spieß,

Daß sich keiner erkühn und sürwitzig

erkeck

Und eindring ins Paradies.

was fährt der König aus Kurzweil

und Traum

Und greift zur Art in Hast?

Er steht ein Schiff im Wellenschaum,
Nitter Lauge steht am Mast.

II.

Die Zischer werfen die Netze aus
Und hoffen auf reichen Gewinn.

Die Zischer ziehen die Netze heraus,

Lin König liegt darin.

Sie rudern rasch zum nahen Strand
Und lassen Dorsch und Lachs,

Und legen den König auf den Sand,
König Lrich steht aus wie Wachs.

Sie horchen, ob fein Herz noch klopft,
Doch steckt der Dolch zu tief.

Aus feinen Locken das Wasser tropft,
Und allzufest er schlief.

Und von wiffunde rufen ste
Den Priester vom Altar,

Der sinkt bei der Leiche fromm aufs Knie
Und küßt das nasse Haar.

Noch sickert es vom blauen Sammt
Des Königs in Ninn und Nill.

Stumm pro Defuncto hält das Amt
Der Mönch und betet still.

Die Zischer nennen noch heute den Dag
Den Zug zum finstern Stern,

Als ein König in ihren Netzen lag,

Als ste fanden den edeln Herrn.

Detlev von Eillcncron

Der Künstler an die Kunst

Seit Du mir zuerst erschiclicn,

Ach, ivie oft erschienst Du mirl
Jedesmal mit and'rrn Mienen,

Jedesmai in and'rer Jierl
Wandelbar iliid vielgestaltig,

Höllendüster, engcizart,

Frühlingsfroh und sturmgelvaltig,

Aber nie von gleicher Art!

Dald in rothem heißem Kleide
Grüßtest Du als Feuerfee;

Dald im Pericnprachtgefchmeide
Kamst Du feucht aus blauer See;
Riesengleich aus Frlfenklüften
Stiegst Dil steinern schwer einmal,

Oder kamst in Sommerlüften
Kosend ivie ein Sonnenstrahl!

Wald voll heißem Werkstattstaube
Kamst Du müde, hoffnungslos;

Dann in grünem Lorbeerlanbe
Stand'st Dil siegreich, lächelnd, groß!
Vom Altar in Götterprangen
Sprachst aus Weihrauch Dil zu mir;
Säst an meinem Mund gehangen
Nachts als dürstender Vampyr!

Du beglttrlist mich und Du quälst mich,
Launenhafte Königin!

Du verzehrst nrich und beseelst mich,
Unfaßbare Jauberin!

Kühnes Wagen, heißes Streben,

Frohes Hoffen schenktest Du;

Und im Kampf um's karge Leben
Wirfst Du mich deir Wettlern zu!

Aber was Dil an mir fündigst:

Alles das vergeh' ich Dir;

Denn was Du dafür verkündigst,

Oeffnet sieben Himmel mir!

Deine Oötteraugcn strahlen
Jeden an, den Du geweiht;

Wonne athmen Deine Oualen,

And Dein Kuß Unsterblichkeit!

Max Haushofer

*

Von unserem Vundes-Lührer

Als ich vor einigen Jahren in Weimar
war und in einer Abendgesellschaft fragte, ob
dort Niemand mehr lebe, der Goethe gesehen
habe und mir aus persönlichem Eindruck ihn
schildern könne, nahm ein in hohem Alter
stehender Sanitätsrath das Wort und erzählte,
er habe als junger Mensch Goethe öfters im
Wagen ausfahren sehen, am lebendigsten aber
sei ihm die Erinnerung an eine Begegnnng
im thüringischen Städtchen Berka. Dort sei
gerade Jahrmarkt gewesen, und an einer der
vielen auf der Straße aufgeschlagencn Buden
sei Goethe, ein Sicbenziger damals, gestanden,
in grancm langen Mantel, den Kopf mit einer
Kappe bedeckt, den Rücken gegen den Tisch
der Bude gelehnt. Ohne sich umzukehren, nur
das Glas hinter sich reichend, habe er sich von
der Verkäuferin mehrmals Punsch einfülleu
lassen und langsam trinkend habe er das Volks-
treiben beobachtet. Ich fragte den Erzähler,
mit welchem Wort er die Erscheinung Goethes
am besten bezeichnen zu können glaube. Der
alte Herr besann sich einen Augenblick und
erwiderte: Er machte den Eindruck des Kon-
templativen und des Majestätischen.

„Kontemplativ" — wie außerordent-
lich treffend gibt dieses Wort einen Grundzng
des Goethe'schen Wesens an! Wir haben im
Deutschen keinen einzelnen Ausdruck, der den
nämlichen Begriff in dessen ganzer Spannweite
deckte. Es ist aber zunächst mit ihm angc-
dcutet jene von Goethes Sein und Art un-
zertrennliche Willigkeit und Freude, die Außen-
welt, die Sinncnivelt in sich aufzunehmen, in
sich zu empfangen, jene ihm gegebene reine
Lust des Betrachtens, des ruhigen, geduldigen
Beschauens, das für's Erste alle subjektive
Regung znrückhält und die Seele zu einem
klaren Spiegel der Objektivität macht, jene
hohe Empfindlichkeit seiner physisch-geistigen
Organisation für die Dinge als solche, für
das Gegenständliche nach Erscheinung, Ge-
stalt, Farbe, Bewegung. Aus diesem Grnnd-
zng stammt sowohl die erstaunliche Wahr-
heit, Schlichtheit und ungesuchte Fülle in
allem Schildernden seiner Poesie als auch
seine Befähigung, die Natur forschend, wissen-
schaftlich zu beobachten. Okens naturgeschicht-
liche Systematik benennt die oberste der Zünfte
nach den Augen, und unter den fünf
Menschenrassen, die sie kennt, heißt ihr
die oberste, die Rasse der Weißen, der
Europäer, der „Augenniensch": Goethe
war recht eigentlich ein Angenmensch und
war es im höchsten Grade. Aber es
liegt noch mehr in dem Ausdruck „Kon-
templativ." Denn die menschliche Seele ist
ein Thätiges, und ivenn sic auch den Dingen,
die von außen an sie kommen, anfänglich stille

0. Eckmann

heießen für den Goetßeöund
Register
Otto Eckmann: Zeichen für den Goethe-Bund
Richard Weltrich: Von unserem Bundes-Führer
Detlev v. Liliencron: Der Zug zum finsteren Stern
Max Haushofer: Der Künstler an die Kunst
 
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