1900
Nr. 32
hält, so ist ihr die geistige Zusammenfassung,
Vergleichung, Verarbeitung der empfangenen
Eindrücke doch ein unausbleibliches Bedürfnis;.
Mit welcher Sachlichkeit und welchem Erkennt-
»ißgewinn aber dies geschieht, hängt nicht nur
von der Schärfe der Aufnahme des Weltbildes
ab, sondern auch von der Kraft und Stärke
des Denkorgans, von der Thntigkeit der Mnß-
siäbe, die es in sich bereit hat, vom Reichthnm
der Lebenserfahrung und von der Lauterkeit
oder Ehrlichkeit des Willens. Und hier wieder-
um war Goethe ein vorbildlicher Mensch;
denn eigen war ihm bei dem höchsten Maße
von Intelligenz und Genie und der ausge-
brcitetsten LebenSkenntniß ein nicht wanken-
der MahrheMinu. und diese sittliche Wahr-
(Duore ^mpei-utor!
Hastigkeit seiner Natur ist vielleicht die größte
seiner Eigenschaften. In einer höheren Präg-
ung koinmt nun die Gabe des reinenBctrachtens
der Dinge bei ihm wieder znin Vorschein: als
tiefsinniges Erfassen der Realität, als reichste,
die Mannigfaltigkeit und den Widerspruch
der Erscheinung bemeisternde Weisheit. Die
Goethe'schc Kontemplation ist ein adlergleiches
Schweben des Geistes über der chaotischen
Welt.
„Majestätisch" aber: zu dieser Bezeich-
nung werde ich wenig zu sagen haben. Denn
vom „Olympier in Weimar" redet Jeder in
Deutschland, Obskuranten und Ignoranten
vielleicht ausgenommen, und ivie den Dichter-
fürsten seine Werke an jedem Tag auf's Neue
Fidus
verkünden, so zeigen uns die Bilder und die
Schilderungen der Zeitgenossen den majestät-
ischen Jüngling, den majestätischen Greis.
Uns freilich, den heute geistig Schaffenden,
heute geistig Kämpfenden hat dieses Wort noch
einen besonderen Werth. In der großen
Geisterschlacht, die das zwanzigste Jahrhundert
bringen und beenden wird, im Entscheidungs-
kampf zwischen dem Licht und der klerikalen
Finsterniß, Bosheit und Teufelei, brauchen
wir einen mit Ehrfurcht geliebten Führer,
einen Feldherrn, einen machtvoll uns schlitzen-
den. wenn auch irdischen Augen unsichtbaren
Kaiser und König. Und Goethe ist sein Name.
Richard weltrich
Nr. 32
hält, so ist ihr die geistige Zusammenfassung,
Vergleichung, Verarbeitung der empfangenen
Eindrücke doch ein unausbleibliches Bedürfnis;.
Mit welcher Sachlichkeit und welchem Erkennt-
»ißgewinn aber dies geschieht, hängt nicht nur
von der Schärfe der Aufnahme des Weltbildes
ab, sondern auch von der Kraft und Stärke
des Denkorgans, von der Thntigkeit der Mnß-
siäbe, die es in sich bereit hat, vom Reichthnm
der Lebenserfahrung und von der Lauterkeit
oder Ehrlichkeit des Willens. Und hier wieder-
um war Goethe ein vorbildlicher Mensch;
denn eigen war ihm bei dem höchsten Maße
von Intelligenz und Genie und der ausge-
brcitetsten LebenSkenntniß ein nicht wanken-
der MahrheMinu. und diese sittliche Wahr-
(Duore ^mpei-utor!
Hastigkeit seiner Natur ist vielleicht die größte
seiner Eigenschaften. In einer höheren Präg-
ung koinmt nun die Gabe des reinenBctrachtens
der Dinge bei ihm wieder znin Vorschein: als
tiefsinniges Erfassen der Realität, als reichste,
die Mannigfaltigkeit und den Widerspruch
der Erscheinung bemeisternde Weisheit. Die
Goethe'schc Kontemplation ist ein adlergleiches
Schweben des Geistes über der chaotischen
Welt.
„Majestätisch" aber: zu dieser Bezeich-
nung werde ich wenig zu sagen haben. Denn
vom „Olympier in Weimar" redet Jeder in
Deutschland, Obskuranten und Ignoranten
vielleicht ausgenommen, und ivie den Dichter-
fürsten seine Werke an jedem Tag auf's Neue
Fidus
verkünden, so zeigen uns die Bilder und die
Schilderungen der Zeitgenossen den majestät-
ischen Jüngling, den majestätischen Greis.
Uns freilich, den heute geistig Schaffenden,
heute geistig Kämpfenden hat dieses Wort noch
einen besonderen Werth. In der großen
Geisterschlacht, die das zwanzigste Jahrhundert
bringen und beenden wird, im Entscheidungs-
kampf zwischen dem Licht und der klerikalen
Finsterniß, Bosheit und Teufelei, brauchen
wir einen mit Ehrfurcht geliebten Führer,
einen Feldherrn, einen machtvoll uns schlitzen-
den. wenn auch irdischen Augen unsichtbaren
Kaiser und König. Und Goethe ist sein Name.
Richard weltrich