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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 33 (13. August 1900)
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Nr. 33

JUGEND

1900

Jahre siebenmal gesteigert worden, konnte also weder
als langjähriger Nichtgesteigerter illustrirt werden,
noch, da er doch mindestens zehn Jahre warten mußte,
um den 25. Steigerungsfall zu erleben, so rasch zur
Berühmtheit gelangen, wie er wünschte.

Der Gedanke, in allen Lotterien Deutschlands die-
selbe Nummer zu spielen, war unausführbar, denn
dazu hatte Hopfenhuber nicht die Mittel.

An demselben Uebelstande scheiterten die Projekte,
auf jeder deutschen Pferdebahnstrecke wenigstens ein-
mal zu fahren oder in jeder Bahnhofs-Restauration
ein Bntterbrod mit Schinken oder Limburger Käse
zu verspeisen und dazu einen Kümmel zu trinken.

Außerordentlich verlockend war die Idee, sich eine
Bibliothek anzuschaffen und bei dem hundertsten
Buche, das zu diesem Zwecke erworben wurde, das
Porträt des neuen Llaeoenas machen zu lassen:
aber Hopfenhuber war ein zu guter Deutscher, um
nicht bei dem verwegenen Gedanken des Ankaufs
einer eigenen Bücherei ein so heftiges Grausen zu
empfinden, daß davor sogar der Wunsch, berühmt
zu werden, zurücktreten mußte.

Andere Mittel, die sicher zum Ziele führen mußten,
wie z. B. lO Jahre lang Kaffee derselben Mischung
mit Milch von derselben Milchfrau und Semmeln
von demselben Bäcker zu genießen, oder jeden Mittag
Kalbsschnitzel und jeden Abend eine Kalbshaxe zu
essen, hatten den Nachtheil, daß sie eben IO Jahre
in Anspruch nahmen, und so lange wollte Hopfen-
huber nicht warten.

Nun war er allerdings dadurch merkwürdig, daß
er weder einen Orden noch einen Titel hatte, aber die
Redaktion der „Schildwacht" hatte einmal in einer
Anwandlung vernünftiger Laune erklärt, daß wir
nicht in Frankreich lebten, wo ein Mensch ohne
Ordensauszeichnung ein durchaus unvorstellbares
Ding plattester Unmöglichkeit wäre, und daß anderer-
seits doch zu viele Deutsche ihr Leben dahin schlepp-
ten, die nicht einmal den Titel Kommissions-, ge-
schiveige denn Rechnungsrath führten, als daß sie
alle diese bedauernswerthen Geschöpfe in ihre Gallerie
aufnehmen könnte; vielleicht später einmal, wenn es
mit der Schaffung neuer Orden, Titel, Litzen,
Schnüren u. dgl. ebenso schwunghaft weiterginge wie
jetzt, aber vorläufig noch nicht. Und also war es
auch danrit Essig.

Aber meine Erfindungsgabe war immer noch
nicht erschöpft und ich holte nunmehr meine beste und
genialste Idee hervor. Hopfenhuber sollte versuchen,
auf irgend einer Ausstellung jener berühmte hundert-
tausendste Besucher zu werden, dem so viele Ehren
und Geschenke zu Thcil wurden. Das war ein ganz
ausgezeichnetes und unfehlbares Mittel, das Hopfen-
Huber berühmt machen müßte, wenn ....

Ja, wenn! Wenn es nicht auch hierbei ungezählte
Wenn's gegeben hätte! Es wollte trotz der sinnreichst
ausgeklügelten Vorbereitungen und Vorsichtsmaß-
regeln Hopfenhuber niemals gelingen, genau der
hunderttausendste Besucher einer Ausstellung zu
werden, wenn er auch wiederholt hart daneben
traf: niemals habe ich ihn wüthender gesehen, als
an dem Tage, da er das Glück hatte, das Billet
seines Bormannes als Nummer 99988 zu erkennen
und er nunmehr, seiner Sache sicher, aber nicht
ebenso sicher in der Arithmetik, elf Billets forderte;
zu spät entdeckte er seinen Jrrthum und zog mit
den Nummern 99989—99999 ab, während sein nächster
Hintermann, mit Jubelfanfaren begrüßt, einrückte;
darüber gerieth er in solche Wuth, daß er einen
bösartigen Skandal inscenirte, und es nur der mil-
den Auffassung des Schöffengerichts zu verdanken
hatte, daß er mit einer Geldstrafe davonkam, anstatt
für einige Tage in die äußerste Finsterniß gestoßen
zu werden, wo Heulen und Zähneklappern herrscht.

Als die „Schildwacht" mit dem Bildniß des hundcrt-
tausendsten Besuchers herauskam, eines Schlächter-
gesellen, dessen höchst interessante Biographie außer-
dem mit den Porträts der würdigen Erzeuger des
begabten Wunderkindes und seines Schatzes — einer
zwar nicht schönen, aber dafür um so leichtsinnigeren
Tellerwäscherin — geschmückt war, da mußte man
alle Schußlvaffen, Stricke und: schneidenden Werk-
zeuge von Hopfenhuber entfernt halten; denn er

brijtete ernstlich über Selbstmordgedanken. Ich aber
las das wundervolle Blatt weiter, das den Geschmack
der deutschen Lesewelt so erfolgreich auf gänzlich ver-
änderte Grundlagen gestellt und siegreich den Nach-
weis geführt hat, daß nichts geschmackvoller ist als
die absolute, durch keinen mildernden Umstand beein-
trächtigte Geschmacklosigkeit: meine Ausdauer wurde
belohnt, denn eines Tages stieß ich in einer aus der
Feder des Chefredakteurs geflossenen Schilderung
Münchens, >vo er sich aus der Durchreise genau
zwölfeinhalb Stunden aufgehalten hatte, auf folgen-
den Satz, bei dem ich — natürlich nur figürlich ge-
sprochen — die Ohren spitzte:

„Noch schlimmer als in Berlin ist die Buddelei
in München; man könnte denjenigen als einen
phänomenalen Menschen betrachten, der irgend eine
längere Strecke innerhalb der Stadt an hundert auf-
einander folgenden Tagen genau in derselben Weise
zurückzulegen vermöchte, ohne ein einziges Mal durch
einen Bau, oder eine Kanalisirung oder eine Neu-
pflasterung zu einem längeren Umwege gezwungen
zu werden."

Spornstreichs rannte ich mit dem kostbaren Blatte
zu Hopfenhuber, der am Rindermarkt wohnt. Er
war bleich und mager geworden, seitdem ich ihn zu-
letzt gesehen hatte; getäuschter Ehrgeiz untergrub
seine Konstitution. Aber meine frohe Botschaft goß
neues Blut in seine Adern; diesmal konnte er sein
Ziel nicht verfehlen. Das Bild des Mannes, der
vollbrachte, was nach der Ueberzeugung des bos-
haften Redakteurs der „Schildwacht" unmöglich war,
mußtefin diesem herrlichsten aller Blätter erscheinen.
Um jedoch ganz sicher zu gehen, telegraphirten wir
an die Redaktion und erhielten folgende Antwort:

„Wenn Herr Hopfenhuber an hundert auf einander-
solgenden Tagen jeden Morgen um 8 Uhr vom
Rindermarkt über den Marienplatz an der linken
Seite der Diener-, Residenz- und Ludwigstraße,
des Max-Josefs- und Odeonsplatzes bis zum Sieges-
thvr hin- und ebenso zurückwandert, so vollbringt er
eine so wundersame Thal, daß wir sie durch Auf-
nahme seines Bildes in unser Blatt feiern und urbi
et orbi verkünden werden. Wir bitten um rechtzeitige
Uebersendnng der Photographie, Biographie und Ge-
nealogie."

Max Slevogt

£t-I)unc}-Cschang,

der hervorragendste longleur der ßeujeit

Siegesfroh trat Hopfenhuber seine täglichen Wan-
derungen bis zum Siegesthor hin und nach dein
Rindcrmarkt zurück an. Schwierigkeiten gab es für
ihn nicht; keines Pflasterers oder Kanalarbeiters
kanadische Höflichkeit lenkte ihn von seinem Pfade
ab, keine der zahllosen und in München so besonders
sinnreich ausgedachten Schranken an Neubauten
genierte ihn, kein Maurergeselle schreckte, keine Mör-
telträgerin ärgerte ihn, kein noch so tiefer und breiter
Graben hielt ihn auf. Mehr als ein viertelhundert-
mal zweifelten wir am Erfolge, aber Hopfenhubers
ideale Begeisterung überwand alle Hindernisse.

Aber das Berhängniß nahte mit dem Schneesall,
der Münchens Straßen in den bekannten Zustand
versetzt. Und eines schönen Morgens war auf dem
Marienplatz unmittelbar vor dem Rathhanse eine
Hochalpenlandschaft mit Gletschern und Schneever-
wehungen entstanden, die selbst Hopfenhubers stand-
haftes Herz erschütterte. Aber durch mußte er! Aus
dem Gletscher jedoch glitt er aus und that einen
schweren Fall; die Rettungsgesellschaft verbrachte ihn
in seine Wohnung ...

Ich verlebte trübe Stunden an Hopfenhubers
Schmerzenslager —, aber gerade in diesen dunkelsten
Stunden seines Lebens kam von einer Seite, an
die niemand gedacht hatte, ganz unerwartet seine
Rettung.

Die edlen Männer, welche die lex Heinze erdacht
und die geniale Erfindung des Normalmenschen
gemacht haben, wurden Hopfenhubers Erretter.
Mein bescheidenes Verdienst dabei ist nur, daß ich
unverzüglich die hohe Bedeutung dieser Erfindung
erkannt habe.

Ich wandte mich abermals an die Redaktion der
„Schildwacht" und schrieb ihr unter Beifügung der
Photographie Hopfenhubers, wenn das Original,
dem es unmöglich zu sein scheine, irgend etwas zu
werden oder zu vollbringen, was geeignet sei, ihn
der öffentlichen Aufmerksamkeit zu empfehlen, wenn
dieser Mensch, der es nicht einmal fertig bringen könne,
sein Bild in der „Schildwacht" erscheinen zu sehen,
nicht der Rormalmensch sei, so gebe es einen
solchen überhaupt nicht.

Betroffen über die schlagende Richtigkeit dieses
Raisonnements, veröffentlichte nun endlich die „Schild-
wacht" das Bild Hopfenhubers und seine Biographie
unter dem Titel: Der gewöhnliche oder Normal-
mensch (bomo norinalis Cuv.).

Aber — sollte man es glauben? Hopfenhübet
war menschenfeindlich und streitsüchtig geworden;
er verklagte die „Schildwacht," weil sie eben durch
die Veröffentlichung seines Bildes seine Eigenschaft
als Normalmensch vernichtet und ihn somit in seinem
Erwerbe als Sachverständiger in allen Fragen, bei
denen es auf das Urtheil des Normalmenschen an-
komme — einem Erwerbe, der ungemein einträglich
zu werden verspreche — schwer geschädigt habe.

Es war ein sehr interessanter Prozeß. Die „Schild-
wacht" veröffentlichte Bilder von dem Aeußeren des
Gerichtssaales, dem Kläger und dem Angeklagten
innerhalb und außerhalb des mit Recht so beliebten
Familienkreises, den Richtern und den Schöffen (nebst
Biographien und Genealogien), den Rechtsanwälten
beider Parteien (nebst Bildern aus den Universitäts-
städten, wo sie studiert hatten), den Sachverständigen
und Zeugen, den Gerichtsdienern und Reportern
u. s. w. u. s. w.

Hopsenhuber verlor den Prozeß. Der Gerichts-
hof verkannte zwar nicht, daß die „Schildwacht" das
Renommee Hopfenhubers als Normalmensch einiger-
maßen geschädigt habe; aber, so hieß es in der Ur-
theilsbegründung weiter, er selbst habe dies Renom-
mee wieder hergestellt, indem er durch Erhebung
der Klage jene Empfindlichkeit gegen Aeußerungen
der Presse und jene Sucht zu Beleidigungsklagen
bekundet habe, die kennzeichnende Merkmale des
deutschen Normalmenschen (bomo normakis var. ger-
manus Cuv.) seien. Da nun unzweifelhaft die „Schild-
wacht" den Anlaß zu dieser Klage gegeben und sie
damit das von ihr unbestreitbar angerichtete Unheil
compensirt, Hopsenhuber also einen erweislichen
Schaden nicht erlitten habe, so sei, wie geschehen,
zu erkennen gewesen.
Register
Max Slevogt: Li Hung-Tschang
 
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