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Nr. 34

JUGEND

1900

Fritz Rehm (München)

die sonst doch mir zurückhaltend und selten über*
trieben günstig über das „starke Geschlecht" ur-
theilte, in diesem Falle mit ihrer ganzen Sym-
pathie ans seiner Seite stand. Sie sprach sich form*
lich in Feuer für ihn, für seine Idee und vor
Allem für die Art, wie er diese zur That gemacht,
und so kanl sie dazu, UNS die folgende Geschichte
mitzutheilen, von der sie sagte, daß sie dieselbe
gewissermaßen initerlebt habe, und daß sie beinahe
wie ein Gegenstück zu diesem Falle stünde, — aller-
dings ein Gegenstück mit einem ganz anderen Aus-
gange,

„Ich hatte", —: so erzählte sie in ihrer ein
wenig gesuchten, ich möchte sagen „druckreifen"
Art, — „vor vielen Jahren eine Freundin, ein
»och sehr junges blühendes Geschöpf, die erst seit
Kurzem verheiratet war. Sie lebte in einer Ehe,
die sie auf Wunsch ihrer verwandten mit Neigung
aber ohne besondere Liebe zn ihrem ernsten und
als Lharakter ehrenwerthen Alaune eingegangen.
Die Ehe der Beiden glich in den ersten Jahren
jenen Tausenden von Ehen, die aus den gleichen
Gründen geschlossen werden. Er hätte sich ihr
vielleicht ein wenig niehr widmen können, aber er
war mit Berufspflichten überlastet. Sic waren
höflich und liebenswürdig zn einander und es gab
nur wenig Streit zwischen ihnen. Daß das, was
sic da lebten, das große Glück nicht war, noch
werden konnte, fühlte meine Freundin sehr wohl
und diese Leere kam ihr, je gleichmäßiger sich ihr
häusliches Leben gestaltete, um so stärker zum Be-
wußtsein. Sie begann zu träumen von jenem
Glücke, welches der einzig geliebte Mann der ge-
liebten Frau zu geben vermag, und so, wie die
jung Verheiratete sich nun erst ganz entfaltete,
so wie sie nun erst ganz zum Weibe wurde, so
kam ihr auch nun erst immer tiefer und unbe-
zwinglicher die Sehnsucht nach jenem großen Glück.
In dieser Zeit lernte sie einen jungen Mann kennen,
zu dem sie eine starke Liebe faßte und der sie wieder
liebte. Der Fall war ziemlich typisch, — er war
Künstler, — Maler. Sie war natürlich überzeugt,
daß er ein Genie sei, — ich glaube, sie hat ihn
auch in dieser Einsicht überschätzt. Sie liebte ihn
mit der ganzen Kraft ihrer unverbrauchten Liebe,
und das Zusammensein mit ihm war ihr neben
dem blassen Leben, das sie bisher geführt, wie

eine neue Erkenntniß, ein neues Land.
Ihre Phantasie bekaui Flügel, und diese
trugen ihren Geist spielend über tau-
send Unmöglichkeiten in tausend Situa-
tionen, in denen die ganzeWelt nur
da war, um ihr und ihrem Geliebten
in ihrem gemeinsamen Glücke als Folie
zn dienen. Db er das Alles mit eben
solcher Tiefe fühlte, vermag ich nicht
zu beurtheilen, — die Macht der Sng-
I gcstion ist so groß ii» der Liebe. Ich
glaube fast, sie war der stärkere Theil
in deni Verhältnisse und riß ihn mit
Sie überhäuften einander mit kleinen
Aufmerksamkeiten und Geschenken, und
eines Tages, — vielleicht bei einer be-
sonderen Gelegenheit, — gab sie ihm
eine Diamantnadel, die er seither immer
trug. — Natürlich beschäftigten sie sich
viel mit der Frage über ihre Zukunft.
Daß sie einander, und rücksichtslos nur
einander leben wollten, stand fest zwi-
schen ihnen. Aber wie sollte es werden?
Er war ein junger Künstler; was er
verdiente, durch Illustriren von Büchern
oder durch ein Bildchen, das er hier
und da verkaufte, reichte kaum für ihn
selbst, und dabei war sic eifersüchtig
auf seine Arbeit. Nur ihr sollte er
leben, so wie sie nur ihm, und daß
das Leben auch von ihnen etwas
fordern könnte, das wollten sie nicht
glauben. Und in diesem fieberischen
Sehnen nach einem solchen trunkenen,
sorglosen Sichangehören, kam ihnen
wie von selbst der plan, der dann
immer festere Formen gewann, in den sie sich
immer tiefer hineinträumten, bis sie ihn endlich
wie etwas ganz Selbstverständliches und doch wieder
halb wie im Tranme in die Wirklichkeit setzten,
lieber den Gedanken an ihren Mann kamen sie mit
einer wunderbaren Leichtigkeit hinweg.

Sie besaß ein kleines Vermögen, das sie selbst
verwahrte, — wenige Tausende. Die hatten sie
mit sich genommen und so wollten sic ein paar
Monate lang in jubelndem Glücke, ohne Erin-
nerung an die Vergangenheit und ohne Sorge
vor der Zukunft, die Gegenwart wie einen trun-
kenen Kuß genießen. Er sollte das kleine Ver-
mögen verwalten, und wenn es zu Ende ginge,
dann sollte er cs ihr sagen, — und zusammen,
lächelnd und selig im Gefühle ihres Glückes
wollten sie dann den letzten Schritt gemeinsam
thuen. Es war etwas Hysterisches, Gesuchtes in
diesen» ganzen Plane, aber das kam ihnen kann»
zun» Bewußtsein, denn ihr ganzes Fühlen war ein
exaltirtes und krankhaft erregtes gcivorden. Die
ersten lvoche»» an der Riviera verflogen ihnen »vie
ein Traum. Manchmal kamen ihre Gedanken und
Worte an jenen Punkt getrieben, der das Ende
war, — dann drückten sie sich aneinander und alles
das erstarb ihnen in einen» Kusse. Zur Ruhe
kamen sie nie, und nirgends blieben sie lange.
Wie in» Fl»»ge sahen sie die schönsten Städte Ita-
liens und in einer jagenden Hast nahmen sie all
das Schöne, Neue in sich auf, das sich ihnen dort
erschloß. Und je »weiter die Zeit verstrich, um so
rastloser wurden sie, wenngleich sie sich nicht Rechen-
schaft gaben über den Grund ihres Hastens.

Daß sie a»n Grunde ihres Fühlens doch schon
bald leise enttäuscht waren von einander, glaube
ich sicher, denn sie hatten sich ja von Anfang an
so sehr hoch gehalten, — und Engel sind »vir
Menschen eben nicht. Gestanden haben sie ein-
ander ihre Enttäuschung nicht, und a»ch jedes vo»»
ihnen hat sich selbst die Wahrheit hierüber ängst-
lich zu unterdrücken gesucht. So kam mit der
Sucht, über solche wunde Stellen in ihre»»» Leben
hinwegzukommen, ein Zug von ungezügelter Lei
denschaftlichkcit in die Beziehung der Beide»» zn
einander, sie suchten sich zu beruhigen und zu
überzeugen von der glühenden Tiefe ihrer Liebe,
ii»deii» sie ihre Zweifel übertäubten. Auf die Dauer

SU -

ging das freilich nicht, und so wuchs in ihr »nit
der dämmernden Erkenntniß, daß sie das große,
ertränmte Glück auch hier nicht hielt, erst kaum
bewußt, dann aber iit zunehmender Stärke die
Sehnsucht nach dein E»»de. Es sollte kommen, ehe
sic die volle Erkenntniß gefunden, ehe sie sich die
Wahrheit kalt gestehen mußte, sie wollte in dieser
schönen Täuschung sterben.

Um diese Zeit aber fiel es ihr auf, daß er i»i
den Ausgabe»» sparsamer zu werden begann. Erst
glaubte sie, es könnte nicht sein, und es sei nur
ein Zufall, wenn sie ein weniger gutes Zimmer
i»n Hotel bekommen, oder wenn er irgend eine
größere Ausgabe unter einem Vorwände abge-
lehnt; sic machte sich dann selbst Vorwürfe ihres
Mißtrauens wegen und bat ihin dieses in tausend
Liebkosungen schweigend ab. Als sie zum ersten
Male die Gewißheit für ihre Bemerkung hatte,
empfand sie es »vie einen tiefen Schmerz, und ein
ihr bisher fremdes, hartes Gefühl kam über sie.
Sie beobachtete ihn nun mit mißtrauischer Kälte.
Er fühlte es und gab sich mit einer gesuchten
Leichtigkeit. ^Als sie ihn endlich in einem halb
scherzendem Tone, unter dem sich ihr Zittern vor
seiner Antwort verbarg, dirckt zur Rede stellte,
rvollte er sic küssen, — »vie früher so oft. Sie wich
ihm aus, — sie »vollte feine Antwort. In diesem
Augenblicke fiel es ihr auf, daß die Diainantnadel,
»velche er von ihr bekommen, und die er bisher
stets getragen hatte, nicht mehr in seiner Binde
stak, und sie fragte ihn danach. Er wurde roth
»vie ein Schuljunge, den man ertappt hat: die
Nadel müsse er verloren haben. Sie fühlte, daß
er log. Er kam ihr plötzlich wie ein Fremder vor,
daß sie es kaum noch begriff, was sie bisher so
sehr an ihm geliebt. — Dann saß sie ruhig da
und starrte vor sich hin und er lag vor ihr auf
den Knieen und schluchzte und gestand ihr, daß er
die Nadel verkauft: Er hatte das Letzte hinaus-
schicbcn wollen.

Was »veiter noch geschah-?

Sie hat in der folgenden Nacht ein halbes
Dutzend Morphiuinpulver genommen, — es war
zu wenig. Sie wurde nur sehr elend darauf und
lag zivci Tage beinahe fortwährend bewußtlos,
— und er telegraphirte in dieser Zeit an ihren
Mann, was vorgefallen. Ihr Mann kam. Es
gab eine große Szene, bei der man die noch
Kranke sehr schonte, — dann nahm er sie »nit
nach Hause. Er hatte stets, wenn man bisher
nach ihr gefragt, erzählt, sie sei zu Besuch bei
verwandten, — so ließ sich alles ziemlich gut
vertuschen. Später ist meine Freundin eine gute
Hausfrau geworden, und ihrem Mann ist sie vo>»
ganzem Herze»» dankbar für feine Güte."

Die Hofräthin schwieg und sah still vor sich
hin. Die sonst so energischen Linien ihrer Züge
»varen durch die Erinnerung an das Schicksal
ihrer Freundin weicher geworden.

„Und »vas ist aus dem Maler geworden,
gnädige Frau?"

„Der Maler", — sie lächelte, — „natürlich,
wenn man erzählt, dann muß man auch ordent-
lich über das weitere Leben aller Betheiligten be-
richten, also der Maler ist heute ein recht wohl
habender Mann. Er hat die Tochter eines Häuser-
sxekulanten geheiratet und macht jetzt selbst nur
noch in Grundstücken und Häusern. Auf die Kon-
kurrenz mit Lenbach hat er ganz verzichtet."

Wir waren alle still geworden durch die Er-
zählung, und es kam an diesem Tage kein leichter
Ton »»»ehr auf. Bald darauf gingen wir. Als ich
der Frau Hofrath beim Abschiede die Hand küßte,
fiel mir zum erste»» Male ein Dianiantring von ganz
eigenartiger Fassung auf, den sie am Finger trug.

Splitter

ezicvtc Menschen mit geschminkten Seelen,
die weder gegen sich, noch gegen andere wahr
sind, wäre man versucht in's Wasser zu werfen,
um an ihrem Vlorhschrei zu hören, ob sie doch noch
einer spontanen Lebensäußerung fähig sind.

M. V. W.
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Fritz Rehm: Zeichnung ohne Titel
M. v. W.: Splitter
 
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