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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 35 (28. August 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0146
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Nr. 35

1900

. JUGEND -

wie eine Geldheirath, bin ich nicht fähig. Ich will
nicht das Brot »reiner Frau essen, sondern sie soll das ,»einige
essen und wissen, daß sie das ineinige ißt. Aber eine Arme
will ich auch nicht haben. Ich bin zwar nicht ohne Mittel
und heirathe nicht aus materiellen Interessen, sondern aus
Liebe, aber eine Arme kann ich doch nicht nehmen, bettu
Sic wissen ja, wie jetzt alles thener geworden ist, und weil»
dann die Kinder kommen . . ."

„Man kann ja auch eine mit Mitgift finden," sagte die
lseirathsvermittlerin.

„Trinken Sie, bitte. . ."

Sic schwiegen etwa fünf Minuten. Die kjeirathsver-
mittlerin seufzte ans, sah den Zugführer von der Seite an
und fragte: „Nun, nne wäre es denn ... brauchten Sie nicht
vielleicht etwas für die linke Seite? Da hätte ich jetzt gerade
gute Maare. Eine Französin, eine andere — eine Griechin.
Sehr preiswerth."

Der Zugführer überlegte sich's und sagte:

„Nein, ich danke. Da ich von Ihrer Seite ein solches
Wohlwollen sehe, so gestatten Sie nur jetzt die Frage: wie-
viel würden Sie für Ihre Mühen bezüglich der Braut nehmen?"

„Ich bekomme nicht viel. Wenn Sie mir fünfund-
zwanzig Rubel geben und etwa Stoff zu einem Kleide, wie
es nun einmal üblich ist, so wäre ich zufrieden . . . Für
die Mitgift oder Aussteuer natürlich apart, das inacht eine
besondere Rechnung."

Stitschkin legte die lhände ans dein Magen zusammen
und überlegte schweigend. Nach einigem Nachdenken seufzte
er auf und sagte:

„Das ist thener . . ."

„Aber garnicht theuer, Nikolaj Nikolaitsch! Früher, als
es noch viel Hochzeiten gab, nahm man ja auch billiger, aber
in den jetzigen Zeiten — was haben wir denn für einen
Verdienst? wenn man an einem guten Monat zwei Fünf-
undzwanzigrubelscheine verdient, kann man noch Gott danken.
Und anch so verdient man das meiste nicht an den Ehen,
sondern . . ."

Stitschkin sah die Heirathsvermittlerin verblüfft an und
zuckte die Achseln.

„ßrit!.. Ist denn das wenig, fünfzig Rubel?" fragte er.

„Natürlich wenig! In früheren Zeiten kam es vor,
daß man mehr als hundert einnahm."

„Hm! . . Das hätte ich nicht geglaubt, daß man nnt
einem solchen Geschäft derartige Summen verdiene:: kann
Fünfzig Rubel! Nicht jeder Mann erhält soviel! Trinken
Sie, bitte ..."

Die Heirathsvermittlerin trank aus, ohne das Gesicht
zu verziehen.

Stitschkin betrachtete sie schweigend von: Kopf bis zu
den Füßen und sagte:

„Fünfzig Rubel . . . Das sind also sechshundert Rubel
jährlich . . . Wissen Sie, Ljnbowj Grigorjewna, mit solchen
Dividenden wäre cs für Sie nicht schwer, eine gute Partie
zu machen ..."

„Ich?" lachte die Heirathsvermittlerin. „Ich bin doch
schon alt . . ."

„Bitte, durchaus nicht . . . Und Ihre Körperformen
find auch so . . . Das Gesicht voll und weiß .. . und anch
alles übrige . . ."

Die Heirathsvermittlerin wurde verlegen.

Auch Stitschkin machte ein verlegenes Gesicht und setzte
sich neben sie hin.

„Sie könnten noch sehr viel Beifall haben," sagte er.
„wenn Sie einen soliden, gesetzten und sparsamen Mann
bekämen, so könnten Sie ihm bei feinem Gehalt und Ihrem
Einkommen sogar sehr gefallen und es könnte geradezu eine
ideale Ehe werden ..."

„Ach, wie können Sie nur so etwas sagen, Nikolaj
Nikolaitsch ..."

„wieso? Ich . . ."

Es trat Schweigen ein. Stitschkin begann sich laut zu
schnauben, während die Heirathsvermittlerin erröthete und
ihn dann mit einem verschämten Blick fragte:

„Und wieviel bekommen Sie denn, Nikolaj Nikolaitsch?"

»Ich? Fünfundsiebzig Rubel, außer den Gratifika-
tionen . . . Außerdem haben wir auch von den Stearin-
kerzen und von den Hasen einige Einnahmen."

„Sie beschäftigen sich also auch mit Jagd?"

„Nein, Hasen heißen bei uns die Passagiere, die keine
Fahrkarten haben, blinde Passagiere."

Es verging eine Minute, während welcher beide schwiegen.
Stitschkin stand auf und begann erregt in: Zimmer auf und
ab zu gehen.

"WtiÜV*



G. E. Dodge f

„Ich brauche keine junge Gattin," sagte er. „Ich bin
selbst nicht mehr jung, und ich brauche so eine, die ... in
der Art wie Sie . . . gesetzt und solid . . . und so von
Ihren Körperformen n. s. w. . . ."

„Sic reden Gott weiß was . . ." kicherte die Heiraths-
vermittlerin, ihr knallrothes Gesicht in ein Tuch verbergend.

„was soll man denn da lange fackeln? Sie sind mir
nach dein Sinn und Ihren Eigenschaften nach für mich ge-
eignet. Ich bin ein solider, nüchterner Mann, und wenn
ich Ihnen gefalle, so . . . worauf soll':: wir denn warten?
Gestatten Sie also, daß ich Ihnen hiermit einen Heiraths-
antrag mache!"

Die Heirathsvermittlerin war zu Thränen gerührt. Sie
lachte und stieß zum Zeichen ihrer Zustimmung mit Stitsch-
kin an.

„Nun," sagte der glückliche Zugführer, „jetzt gestatten
Sie mir also, daß ich Ihnen erkläre, welche Ideale und
Lebensziele ich von Ihnen erwarte... Ich bin ein strenger,
solider, gesetzter Mann, habe über alles gebildete Anschau-
ungen und wünsche, daß auch meine Frau solid sei und wohl
verstehe, daß ich Ihr wohlthäter und der erste Mensch für
sie bin .' . ."

Er setzte sich, seufzte tief auf und begann seiner Braut
seine Ansichten über die Ehe und über die Pflichten des
Weibes anseinanderzusctzen.

(Deutsch von Ezumikow)

Späte Liebe

.Hbendrott) und Morgenrot!)

Jlammen ineinander.

Durch die Lüsche schleicht der öod —
6eh» wir still selbander!

Noch ein brünstig llactytgebet

Jlüstre liebestrunken!

löenn Dein Licht im Wittag steht,

Bin ich längst versunken.

Gclgar Steiger

Line Nacht in Gberammergau

Bon Georg H i r t h

„Morgen wird zum letzten Mal gespielt!" Das machte
mir endlich Beine, nachdem ich den ganzen Sommer über
tausendmal gefragt worden, ob ich schon „droben" gewesen
sei. Damals ging die Eisenbahn nur bis Murnau. Der
Zufall oder vielmehr ein beutedurstiger Einspänner brachte
mich mit einem äußerst lebhaften alten Herrn aus Nord-
dentschland zusammen, der mich bald „Dokterchen" nannte,
obschon ich einen Kopf größer war als er. In Kohlgrnb
kannte ich schon seine ganze Lebensgeschichte, ein buntes Ge-
misch von Freuden und Leiden, von wirklichen und einge-
bildeten Krankheiten. Sein driites Wort war „Nerven
»nd auch diese Fahrt zu dem berühmten Passionsspiele machte
er nur, »»: seine Nerven zu „beruhigen," obschon ihn: un-
mittelbar nach einer angrcifenden Badekur vom Arzte etwas
ganz andres angerathen worden. Ucberhaupt bildeten die
Konflikte mit seinem Hausäskulap einen LieblingSgegeustand
seiner Erzählungen, er wußte alles besser, fragte ihn angeb-
lich nur, mit dann das Gegentheil zu thun, und kannte
keine größere Genngthuung, als wenn er ihm einen Possen
spielen konnte.

In Oberammergan bekamen wir mit knapper Noth Logis.
Es waren nur noch zwei Betten da, beim Judas Jscharioth,
und auch die nur, weil zwei Engländerinnen mit Rücksicht
auf die Hinterschlächtigkeit dieses Jüngers darauf verzichteten.
Die Aermsten hatten schon ihre Nachtkittel angezogen, als
sie erfuhren, in welchen: Hause sie weilten; als sic in:
Wohnnngsbureau sahen, >vie vergnügt wir über ihre Betten
waren, straften sie uns mit schrecklichen Durchunddurchblicken.

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Register
Georg Hirth: Eine Nacht in Oberammergau
George Ernest Dodge: Zierleiste
Edgar Steiger: Späte Liebe
 
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