Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Nr. 35

. JUGEND '

„Jossas, Jesscis! Jetzt malt der Mensch schon wieder mit dem theuern
Kobaltblau! Ja denkst denn Du gar net an Dei Familie?"

Der neue MutarZ

Röntg August der Starke und das
alte TPdl>

König August der Starke war einer der mäch-
tigsten und angesehensten Herrscher seiner Zeit.
Die Geschichtsschreiber rühmen seinen verstand,
seine Güte und seine körperliche Stärke, weshalb
er auch den Beinamen „Der Starke" erhielt. Eines
Tages ging er über die Brücke, welche von der
Altstadt'uach der Neustadt führt. Da begegnete
ihm ein altes Weib. „Guten Morgen, König
August der Starke!" sprach das alte Weib. —
„Guten Morgen, altes Weibl" erwiderte der
König. — Solche und ähnliche Geschichten erzählt
man sich von der Leutseligkeit König August's des
Starken.

Friedrich der Große und der Bahn-
wärter

Friedrich der Große gilt mit Recht als der
Begründer der preußischen Machtstellung. Die
Welt bewundert seinen Muth, seine Entschlossen-
heit, seinen Witz und seine Sparsamkeit, vorzüg-
lich aber seine Geistesgegenwart. Einstmals, so
wird uns berichtet, begegnete ihm ein Bahnwärter.
Nach seiner Gewohnheit knüpfte er ein Gespräch

mit ihm an und erkundigte sich theilnehmcnd
nach seinen Verhältnissen: „Wie lange ist Er im
Dienst?" so frug der König. „Ueber 20 Jahre,
Majestät." — „Ist Er verheirathet?" — „Ja-
wohl, Majestät." — „lhat Er Kinder?" — „Elf
Kinder, Majestät." ■— „Elf Kinder — und Er
ist Bahnwärter? — „Nein, Majestät." — „Sollte
ich mich getäuscht haben?" entgegnete verwundert
der König: „ist Er nicht Bahnwärter?" — „Wie
könnte ich!" antwortete gerührt der arme Mann:
„Die Eisenbahn ist ja noch gar nicht erfunden!"
— „Dachte ich's doch gleich!" versetzte lächelnd
Friedrich der Große. — Solche und ähnliche Züge
meldet uns die Geschichte von der herzensgute
dieses bewunderungswürdigen Monarchen.

Sokrates und der eitle Schwätzer

Sokrates war nicht allein der größte Weise
des klassischen Alterthumes, sondern vielmehr der
größte aller Zeiten und Völker. Einst ging er
zu Athen über den Markt, da begegnete ihm ein
eitler Schwätzer. „© Sokrates," so redete ihn
dieser an, — „alle Welt ist voll Deines Ruhmes
und Deiner Weisheit. Wohlan denn, sage mir:
wie viel ist zwei mal zwei?" — Vhne sich auch
nur einen Augenblick zu besinnen, antwortete
Sokrates mit lauter Stimme: „vier." — Beschämt
schlich der eitle Schwätzer von dannen.

592

1900

Galizische Brautwerbung

Zu dem Heiratsvermittler Samuel Gleich-
gewicht in Krakau kommt der junge Laiser Sonnen-
schein aus Stanislau, und beauftragt ihn, ihm
eine passende Partie zu verschaffen. Samuel Gleich-
gewicht führt ihn in verschiedene angesehene Häuser
ein, handelt wegen der Mitgiften bis auf's Messer,
redet und rennt sich die halbe Schwindsucht an den
hals, um allen Parteien gerecht zu werden.

Die Sache scheitert aber regelmäßig daran,
daß Laiser Sonnenschein, der ein sehr starker Esser
und großer Freund glaubensgenossischer Haus-
mannskost ist, sich bei Tische nicht mäßigen kann,
und den guten Eindruck, den er der Beredtsam-
kcit Samuel Gleichgewichts verdankt, durch seine
Völlerei vollständig wieder verdirbt.

So muß der arme Samuel Gleichgewicht immer
wieder von Neuem anfangen, und eines Tages ist
denn glücklich sein vorrath erschöpft. In Frage
kommen konnte höchstens noch Sanft! Ncbbichdicks
Tochter Sarah, ein hübsches Mädchen, aber fast
ganz ohne Mitgift.

„Das ist die Letzte, die ich auf Lager habe,"
sagte Samuel Gleichgewicht zu dem Unglücks-
kunden. „Also nemmen Sc sich in Gbacht, bc-
ßähmen Se sich bei Tisch, un ncuinien Se sich
nischt immer alle Mittelstücke vom Fisch auf Ihren
Teller, nemmen Se dies eine Mal wenigstens so
viel Rücksicht, daß Sc sich nischt blamiren un
mich daßu."

Laiser Sonnenschein verspricht cs und hat auch
die besten Vorsätze, aber als er kaum den Fisch
erblickt und die holden Düfte ihm in die Nase
steigen, ist alles vergessen, und er langt zu, wie
ein hungriger Wolf.

„Um Gotteswillcn!" raunt ihm Samuel Gleich-
gewicht zu, und tritt ihm heimlich auf den Fuß,
„wo bleibt die Rücksicht, was Se haben versprochen
ßu nemmen?"

Laiser Sonnenschein aber gibt ihm, ohne sich
stören zu lassen, den Tritt zurück, und raunt gleich-
falls: „Pch nemm' nischt Rücksicht, ich ncmm'
nischt die Sarah, ich ncmm' nor Fisch. Aber den
nemm' ich auch ordentlich!" k.. t.

CO

Indisches Märchen

Et» junger Gaukler hatte eine prächtige
Schlange, weil sie die schönste von allen
Schlangen war, die er besaß, und die Zu-
schauer mehr spendeten, wenn er gerade diese
sehen ließ, so mußte das arme Thier von früh
bis spät tanzen. Oft brach das gequälte Ge-
schöpf vor Ermattung zusammen, aber stets
von neuem ertönte die Bambusflöte, immer
schneller wurden die weisen und wilder der
Tanz.

Eines Tages fiel die Schlange nach Be-
cndigung des Tanzes starr und wie leblos
nieder. Sterbend sprach sie zu ihrem Pein-
iger: „Der Gott der Seelen wird mich an Dir
rächen; Du wirst wie ich nach fremder pfeife
tanzen müssen, schlimme Qualen erleiden und
Tag und Nacht keine Ruhe haben." Noch
ein paar Zuckungen des Schlangcnleibes, und
das schöne Thier war todt.

Der Gaukler lachte über die Prophezei-
ung... doch nur so lange, bis er sich ein
Weib g e n 0 m m e n. —tr.
Index
Plutarch [Pseud.]: Der neue Plutarch
K. T.: Galizische Brautwerbung
Max Feldbauer: Der Farbenschlemmer
[nicht signierter Beitrag]: Indisches Märchen
 
Annotationen