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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 36 (??. September 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0164
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Huf der Brennerstrasse

Max Rernuth (München)

sehr theuer. Un wat men Lharakter is, da bin
ick ne sehr ehrbare Frau, un thu fernem Huhn
nichts zu Leede. Un was mein Seelijer war, der
war auch sehr für Bildung, ja! Der war Eolpor-
tenr un jiug hausiren mit de feinsten Zeitungen
un Aalender.

Na, wenn St wollen, denn kommen Le mir
doch besuchen während der Sonntagsruhe; jeehrter
Herr, vormittags; un denn können wir ja Nach-
uittachs nach die Zelten jeh'n, wenn wir uns je>
lallen duhn.

Ianz erjebeue

Wittfrau Müller,
Markthalle 7.

V.

Darf ich vielleicht fragen, ob Sie der Herr sind,
)er mir immer begegnet, wenn ich in die Alavier-
stunde gehe? verzeihen Sie nur, daß ich gestern
auf Ihren freundlichen Gruß nicht gedankt habe,
aber auf der andern Seite der Straße kam grade
mein Vormund, der außerordentlich streng ist,
und wenn er gesehen hätte, daß mich ein fremder
Herr grüßt, dann ließe er mich nicht mehr allein
in die Alavierstunde gehen. Ich muß Ihnen
nämlich sagen, daß letztere verlegt ist, und nicht
mehr von zwei bis drei stattfindet, sondern von
drei bis vier. So kann ich denn die freie Zeit
Mittwoch und Sonnabend von zwei bis drei zu
einem Spaziergang benutzen; ich werde also Mitt-
woch am Goldfischteich im Thiergarten auf- und
abgehen; sind Sie derjenige, dann bitte stecken
Sie eine rothe Nelke in's Knopfloch; find Sie
aber ein Anderer, dann nehmen Sie die weiße
Nelke als Erkennungszeichen. Mir fehlt, wie
Ihnen, jede geistige Anregung; trotzdem ich fast
sechszehn Jahr bin, werde ich immer noch wie
ein Kind behandelt; mein Vormund nimmt mir
jeden Roman fort; nur englische Bücher darf ich
lesen! wenn er nur ahnte, daß die oft viel
schlimmer sind, als die deutschen I Denn natürlich
lese ich die deutschen heimlich; unsere Hauswirthin

hält den Ionrnalzirkel, und die ante Frau läßt
mich gern mitlesen; wie finden Sie denn die „Fa-
milie Rizzoni" in der Romanwelt? Ganz pikant
geschrieben! wissen Sie, was ich am liebsten
möchte? Jeden Abend in's Theater gehen! Singen
kann ich nicht, wie die „Milly Rizzoni" in der
Romanwelt, aber Theatersxielcn inöchte ich. und
mit Blumen überschüttet werden! Aber Gnkel
geht höchstens mit mir nur in eine Alassikcrvor-
stelluug —und das ist oft recht langweilig!....
G wie sehne ich inich nach Freiheit ll I ... . Aber
bald muß ja der Tag kommen, wo der Prinz er-
scheint! .... Der Prinz kommt, und das ge-
fangene Dornröschen wird befreit! ...

Gb Sie wohl der Prinz find?. ..

Zunächst nur mein Nelkcnriiter! Also hoffent-
lich scheint Mittwoch die Sonne; wir treffen uns
am Goldfischtcich! .... Schreiben Sie mir recht
bald einen recht langen Brief postlagernd 8. W.
Postamt 47. Aufschrift: rothe Nelke.

Es grüßt Sie freundlichst

Ihre Lisi.

VI.

D. £. ITT.! Det war doch unner uns Zunft-
gcnoffen Dein Spitzname, Mnsje Michel! D. L.
ITT. d. h. der lange Michel, oder zu deutsch, D.
£. M. — „Det Luder maust." Na ja, ein seiner
Kopp warste immer, mein Iutcster, weest Du
noch, wie wir in Steglitz zusammen „jearbeitet"
haben? Un ick, der rothe Johann, mußte in'n
Aasten, und D. L. ITT. spielte den Baron. Dein
Inserate is jut; wenn so 'ne reiche, alleinstehende
Mamsell darauf reinfällt, un Du hast se mit Deine
feine Bildung un Deine schöne Handschriften kirre
jemacht, denn benachrichtije mir. Der Ivirth in
„die drei Mohren" — Du wcßt schonst — der
wird's mich schonst wissen lassen. Ick komme
dann, un helfe Dir Schmiere stehen, oder noch
mehr!.... Aber Vorsicht! D. L. ITT.! Vorsicht!

t t t

Nach wenigen Ivochen las man in der All
gemeinen Zeitung folgende Annonce:

Meine Verlobung mit Fräulein Thnsnelde
Rmnmershausen, Tochter des verstorbenen Herrn
Apothekers Rummershausen, beehre ich mich hie-
durch ergebenst anzuzeigen

Dietrich Lothar Mayer,
Apothekenbesitzcr.

In der dritten Spalte aber stand unter den
Pensionsgcsuchen:

„Für ein junges. Mädchen von ;6 Jahren
wird eine strenge Pension gesucht, wo sie Ge-
legenheit hat, den Haushalt zu erlernen, und
unter fortwährender Beaufsichtigung ist; am
liebsten auf dem Laude."

Gest. Gfferten an den Vormund:

Iustizrath Spragner.

Unter den Lokalberichten aber befand sich eine
Notiz, die Herr Dietrich Lothar Mayer beinah
eben so oft las, als seine Verlobungsanzeige:

„Gestern fand die verurtheilung eines unserer
berüchtigtsten Einbrecher statt, der unter dem
Namen der rothe Io Hann bekannt war. Durch
einen Brief auf eine Lhiffreannonce hatte er seinen
Aufenthalt, oder wenigstens eine dahinführende
Spur, vcrrathen. Der Adressat, sein vermeintlicher
Spießgenosse, in Wahrheit aber ein hiesiger Apo-
theker, machte sofort der Polizei Anzeige, und es
gelang ihren Bemühungen, bereits am andern
Tage des gefährlichen Burschen habhaft zu werden.
Jetzt kann er hinter Schloß und Riegel über sein
verfehltes Leben Nachdenken."

Beinah hätten wir eine Annonce auf der
vierten Seite übersehen:

f „Eine rentables Spielwaarcngeschäft in einer
Mittelstadt ist veränderungshalber zu verkaufen.
Unverheirathete Bewerber erhalten den Vorzug.
Agenten verbeten. Gfferten unter: Firma Ick. W.
an die Expedition d. Zeitung."

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Max Bernuth: Auf der Brennerstraße
 
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