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Nr. 37

JUGEND

1900

Das Serkelchen

Humoreske von Karl Larsen

erda war mit ihrem Mann Erich und ihren
zwei Kindern, Karl und Ella, zur Sommer-
frische draußen auf dem Lande. Gerda war schon
nchtnndzwanzig Jahre alt, aber sie hatte noch
immer, wenn ihr Mann nicht da war, die Ge-
wohnheit, lange Grashalme zu zerbeißen. Sic
konnte dabei so schön denken, oder vielmehr, die
Gedanken kamen ihr dann angeflogen, oft nur,
um gleich wieder zu entschwinden, manchmal aber
waren sie auch von recht langer Dauer. Dann
setzte sie sich auf die Gartenbank, und während
sie ein Stück Grashalm nach dem andern mit ihren
kleinen Zähnen zerbiß, liefen die Sommerwärme
und die Wolken des Himmels und das Roggen-
feld jenseits der Hecke mit all' ihren Gedanken zu-
sammen, die so natürlich und ordentlich kamen,
wie die Athemzüge. Und das Ganze wurde so
behaglich durch eine innerliche Ruhe und Sicher-
heit in Folge einiger Laute aus dem Nachbar-
nartcn, dem des Hofbesitzers Andreas Hansen, wo
Karl und Ella mit glcichalterigcn Kindern anderer
Sommerfrischler unter Aufsicht solch eines verstän-
digen, älteren Kindermädchens spielten, das viel
besser als das Gerda's war.

Es war nämlich so mit Gerda, daß sie in ihre
Kinder so leidenschaftlich verliebt war und nichts
auf der Welt wußte, was sie ebenso hätte lieben
können, abgesehen von ihrem Mann, dem besten,
den cs überhaupt gab; aber bisweilen bedurfte
sie doch für ein Weilchen der Ruhe und des völl-
igen Alleinseins. Das war sogar durchaus noth-
wendig, wollte man nicht von seiner Arbeit im
Hause und mit den Kindern wie von einem dieser
Räder da drinnen an der Maschine des Bauern
ergriffen und den ganzen Tag herumgeschwungen
werden, bis der Schlaf das Werk zum
Stehen brachte. Dann wäre es ja unmöglich
gewesen, ihrem Mann etwas Rechtes zu
sein. Man würde zwar ganz unglaublich
froh sein, wenn er nach Hause käme, hätte
aber den ganzen Tag nichts als ständig
all' diese Kleinigkeiten im Kopfe herumgehen
zu lassen, die einen zerstreut machten und
völlig außer Stande setzten, sich für das zu
interessiren, wofür er Theilnahme wünschte
und woran man vollauf und von Herzen
gern theilnehmen möchte. Außerdem gab
es so Vieles, was inan ganz allein durch-
denken mußte, damit man es aus eigenem
Antrieb recht machen konnte und nicht nur
weil der Mann es so haben wollte. Man
wollte seine Selbständigkeit nicht ganz auf-
geben; aber das war so schwer, wenn man
einen Mann so sehr liebte! Außerdem hatte
Gerda so viel kleine Dinge, mit denen sie
sich allein zu schaffen machen mußte, weil sie
ihr so lieb waren, worüber Erich aber nur
lachte. Er lachte so nett, aber er lachte doch,
lind das betrübte sie, verleidete sie ihr,
oder machte sie vielmehr verlegen, und nichts
auf der Welt war so schrecklich, als Erich
gegenüber verlegen zu werden.

So gab es hier draußen von solchen
kleinen Dingen ein Ferkelchen. Es gehörte
dem Bauer Andreas Hansen und war ganz
zahm. Viele Stunden am Tage durfte es
frei umherlaufen, und die Kinder spielten
mit ihm, wie mit einem Hunde. Wenn
man es rief, kan: cs in drolligsten Sprüngen
angallopirt, und schob sein lustiges, neu-
gieriges Köpfchen gegen alles Mögliche und

anderwärts auf dem Hofe getroffen hatte. So-
bald sie rief, kam es in seinem dreieckigsten Ga-
lopp angetrabt und es wußte so gut, daß sie es
mit in den Garten hinausnahm, es kannte den
Weg und es pflegte unter den lächerlichsten,
geringelten Schwingungen seines hocherhobenen
Schwänzchens vorauszulaufen. Und da draußen
spielten sie oft, womöglich stundenlang; sie hatte
es gelehrt, abgefallene Aepfel zu apportiren und
sic ihr in der Schnauze zu bringen. Wenn sie
schließlich einen ganzen Haufen davon in ihrem
Schooß gesammelt hatte, pflegte es an ihr hinauf-
zuspringen und mit beweglichsten Augen und putzig-
stem kurzen Grunzen, durch Kratzen mit den Pfoten
und durch Wühlen mit dem Rüssel sich einznschmei-
cheln, damit sie gestatten sollte, die Früchte auf-
zufressen. Und wenn sie im Garten spazieren-
gingen, stand das kleine Thierchen und wartete auf
sie, wenn sie ihm nicht schnell genug ging, >odcr
es konnte auch plötzlich im Sonnenschein quer über
einen Rasenplatz angestürmt kommen, so lärmend
und lebensfroh, daß es sie in seiner Freude bei-
nahe umgestoßen hätte. Er hatte das Ferkelchen
auch mehrmals gesehen und gefunden, es wäre
ganz „possierlich", hatte dann aber gleich von allen
möglichen anderen Dingen gesprochen, und Gerda
hatte sich wohl gehütet, näher auf das Thema ein-
zugehen; sie hatte sogar dem Ferkelchen einen kleinen,
leichten Fußstoß gegeben, als es ein Mal, da sie
mit Erich znsammenging, ihr immer nachlief und
mit ihrem Nocksaum spielen wollte. Aber am
nächsten Vormittag, als sie und das Ferkelchen
allein blieben, war Gerda dann freilich zum Ent-
gelt doppelt gut gegen das Thierchen und gab ihm
die besten abgefallencn Aepfel als Entschädigung.

Es hängt einmal ein Fleck an dem Namen
Schwein, dachte Gerda. Es ist ein Vorurtheil,
ein recht häßliches und dumm menschliches Vor-
urtheil. Ein Schwein brauchte gar nicht schweinisch
zu fein; es kam nur darauf an, wie die
Menschen cs hielten; in modernen Ställen,
wo sie es ganz reinlich und proper hätten,
wären sie auch sauber. Und kein Thier auf
Erden konnte süßer und liebevoller und
dankbarer sein, als Andreas Hansen's klei-
nes Schweinchen. Es war manche und viele
Male überhaupt viel besser, mit Tieren zu
thun zu haben, als mit Menschen, sie liefen
nicht mit Klatsch umher und machten sich

nicht über einen lustig.-

Das Ferkelchen wuchs heran, wurde
größer und sicherer in seinen Bewegungen,
so ein rechtes werdendes, kleines, männliches
Schweinchen. das Launen und übermüthige
Einfälle bekam, den Hühnern und Enten
nachzulaufen, nur, um sich wichtig zu thun.
Karl und Ella vergötterten es, aber ihre
Mutter war doch überzeugt, daß sie das
Ferkelchen ani besten kannte und verstand,
da sie ja auch so viele Stunden mit ihm

ganz allein verbrachte-—

Der Sommer verging schneller, als man
gedacht hatte. Eines Sonntag Abends, als
draußen Alles gerade am schönsten war,
mußten sie wieder zur Stadt reisen. Gerda
hatte mit Erich und den Kindern Abschieds-
touren gemacht, und am letzten Sonnabend-
Vormittag eine sehr lange Wanderung
allein. Und diese endete bei dem Ferkelchen.
Und da Niemand da war, der sie sehen
konnte, machte es ja nichts, daß sie unwill-
kürlich weinen mußte.

Hernach konnte sie einem Gespräch mit
Andreas Hansen nicht entgehen, und er fand

in alles hinein und blinzelte mit den kleinen, schiefen
Augen, schnüffelte, wühlte und grunzte behaglich,
wenn Gerda es klopfte. Gerda glaubte auch un-
bedingt, daß es sie am besten kannte und ihr am
meisten zugethan wäre, denn die Kinder verfuhren
so schlecht mit dem Ferkelchen, sie waren so stürm-
isch in ihren Liebkosungen, zausten es an den Ohren,
so daß es ein erschrecktes kurzes Gequiecke ausstieß,
als wäre es eine drollige Schreipuppe, die man
auf den Magen gedrückt hatte. — Es ließ sich gar
nicht leugnen, so ein kleines, glattes, blankes Fer-
kelchen glich am meisten von Allem einem kleinen
Kinde, und nichts erregte so furchtbar Gerda's
Zärtlichkeit, wie ganz kleine hilflose Kindlein. Es
war vielleicht schlecht, aber sie hatte eigentlich ihre
eigenen Kinder damals, als sie noch ganz klein
waren, noch unvernünftiger gern gehabt als jetzt,
wo sie so Vieles ohne ihre Hilfe thun konnten,
lind für Thiere zu sorgen, wie reizend war das
nichtl Zu Hause hatte sie so gern einen Hund haben
wollen, aber was Erich sagte, war ja ganz richtig, es
wäre allzu unbequen! drinnen in der großen Stadt.

Wenn die Kinder unter Aufsicht des Mädchens
zum Spielen draußen auf der Wiese waren, ging
Gerda ganz leise durch Andreas Hansens Hofgatter
hinein und zum Schweinstall hin, wenn sie nicht
vorher das Ferkelchen auf dem Wege dorthin oder

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Index
Karl Larsen: Das Ferkelchen
Adolf Münzer: Bébée
 
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