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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 38 (??. September 1900)
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1900

JUGEND

Nr. 38

Stadt zurückhalten, denn Ihr müßt irgend einen
Hintergrund, irgend eine herrliche Umgebung haben,
nicht wahr?"

„Ach ja, Muttchen, ganz recht," — rief Maria aus,

„Nun denn, so werdet Ihr auf's Land fahren,
»ach Zvsin, Dort habe ich Euch ein Häuschen mit
Garten in Stand fetzen lassen. Mein Pächter bewohnt
ein anderes Vorwerk, Ihr werdet daher ganz unge-
nirt sein. Gleich nach der Trauung sollt Ihr Euch
dorthin begeben, ich werde mich erst am folgenden
Tage einfinden," Auf diese Kunde stieß Maria einen
so lauten Freudenruf hervor, daß ich erschrak.

Um vier Uhr Nachmittags kamen wir in Zvsin
an, Maria begab sich sofort in ihr Boudoir, um sich
umzukleiden; ich dagegen wollte die Zeit ausnützen
und vor Allem das Terrain des Verbrechens....
das heißt unsere Wohnung in Augenschein nehmen.

Das Häuschen lag dicht am Garten: es bestand
aus sechs Zimmern und einer kleinen Küche, Die
Wohnung halte zwei Eingänge: einen von der Vor-
derseite des Gebäudes, während der andere durch
den Vorhof zur Küche führte. In den Garten ge-
langte man durch ein mit schlechtem verdorbenem
Schloß versehenes Psörtchen, woran man Spuren
eines Meißels erkannte. Der Garten lvar mit Staketen
umgeben, von denen man, wie ich es erprobte, einige
mit großer Leichtigkeit herausziehen konnte. Die Wege
tvaren frisch gejätet und geharkt, mit einer Fülle von
Flieder- und Jasmin-Gebüschen zur Seite, Welch'
trefflicher Schlupfwinkel für Diebe! In einiger Ent-
fernung davon befand sich ein mit grünem Schimmel
überzogener Teich, so düster wie Kindsmord; dahinter
verschiedene Bäume und unter ihnen eine Linde mit
vertrockneten Zweigen — eine wahre Versuchung für
Selbstmörder, Die Rasenplätze zeigten keine mensch-
lichen Fußstapfen, sondern sorgfältig ausgeglättete
Pfade, Hinter dem Plankenzaun befand sich auf der
einen Seite der öffentliche Weg, auf der anderen ein
kleines Flüßchen, auf der dritten Feld und Wald,
auf der vierten endlich unser Haus nebst Vorhof.
All' diese Einzelheiten notirte ich mir in Gedanken,

Unser erstes Mittagsbrod saud töte ä töte statt,

Maria sah sehr hübsch aus und schenkte einen Kühl-
trank ein, während Marvsia, unser Dienstmädchen,
servirte, Ich wandte mich au sie mit der Frage,
>ver hier koche? Die Antwort war unklar und aus-
weichend, weitere Nachforschungen behielt ich mir sür
später vor.

Nachdem ich dem Kühltrank noch einige Gläschen
„Madeira" hatte folgen lassen, rückte ich mit dem
Stuhl dicht an meine Frau heran in der Absicht,
einen Kuß auf ihre Lippett zu drücken. Sie wurde
sehr verlegen und ich bemerkte an ihr eine gewisse
Unruhe: heftige Röthe im Antlitz, in den Augen
Thrünen, die sie übrigens sofort abwischte, indem
sic sich zu einein Lächeln zwang. Ich rückte meinen
Stuhl wieder ab, begann ein Hühnchen mit Salat
zu verzehren und sprach feilt Wort, ohne jedoch
meinen Blick von Maria abzuwenden, diesen hppnoti-
sirenden Blick, der schon so viele Verbrecher zwang,
die volle Wahrheit zu beichten. Auf Maria wirkte
er anders. Nach dem Essen ging sie in den Salon,
setzte sich an's Klavier und sing an, die Arie aus
„Rigoletto" mit sehr unsicherer und zitternder Stim-
me zu singen. Wahrscheinlich that sie es, um meine
Aufmerksamkeit abzulenken.

Das gelingt nicht so leicht!

Dicht neben dem Salon befand sich ihr Zimmer,
welches nur einen Eingang, nämlich den aus dein
Salon, hatte. Meine sogenannte Frau verweilte dort
— ich kontrolirte es mit Hilfe meiner Uhr — acht-
zehn Minuten, aber nicht allein. An mein Ohr
drangen leise Stimmen eines Gesprächs, und ich unter-
schied deutlich die Worte: „Mein Guter!" „Mein
Lieber!" „Vergiß nicht!" „Aber bestimmt!" Ein
anderer Gatte würde vielleicht in Folge solchen Ge-
flüsters verrückt geworden sein, aber ich forschte weiter
und klopfte, als das Gespräch verstummte, an die, >vie
ich bereits oben andeutcte, einzig vorhandene Thür.

„Bitte!" — wurde mir geantwortet.
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Walter Georgi: Mein Bicycle
 
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