Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Nr. 38

JUGEND

1900

Knospen

Leo Prochownik (Berlin’

Ich trat ein, fand sie zwar allein vor, aber mein
scharfes Auge bemerkte einige, von feuchter Erde her-
stammende Flecken auf dem Fußboden und einen
auf dem Fensterbrett.

Der letztere war um so bedeutungsvoller, als er
sich deutlich abhob und die Absatzform eines großen
Männerstiefels hatte.

Immer besser!

„Dies ist also das Schlafzimmer?" — fragte ich
äußerst ruhig.

„Jawohl," — antwortete sie und schlug die
Augen nieder.

„Du gestattest wohl, daß ich es gründlich in
Augenschein nehme?"

Sie sah mich mit ängstlichem Blick an, ich aber
stellte mich, als ob ich nichts davon merkte und be-
gann ruhig, das Innere der Schränke zu unter-
suchen, warf einen Blick in die Kommode, hinter
die Toilette, den Ofen, auf den Ofen und öffnete
das kleine Schränkchen am Bett....

Maria lief weinend zum Zimmer hinaus; ich
eilte ihr nicht nach, sondern durchmusterte alles, was
sich in der Stube befand.

Wessen Spuren sah ich nun aus dem Fußboden
und Fensterbrett? Wer war es, der geheim in das
Boudoir meiner Frau eintrat? und welches Ziel ver-
folgte er?

Trotzdem die Abenddämmerung hereinbrach, sah
ich, als ich in den Garten ging, unter dem Fenster
Abdrücke von Männerstiefeln. Ich maß sofort einen
und zeichnete ihn auf einen Bogen Papier genau
nach. Die Fußtritte führten zu demselben Pförtchen,
welches Spuren eines Meißels auswies, und ver-
schwanden auf dem Hofe. Als ich mit dieser Thütig-
keit zu Ende war, sah ich Maria am Teiche stehen;
sie trat plötzlich an mich heran und fragte:

„Herr .. . Gatte ... Karl... suchst Du etwas?"

Sie war so verwirrt, daß sie nicht einmal wußte,
wie sie mich anreden sollte.

„— Jawohl, ich suche," — gab ich zur Antwort.

„Ach, ist etwas verloren gegangen?"

„Höchstwahrscheinlich."

„Aber was, so sage es doch um Gotteswillen?"

„Vielleicht meine Ehre, vielleicht mein Glück, viel-
leicht die Ruhe, jedenfalls etwas, das nicht straflos
verloren gehen darf."

„Du machst mich ganz bestürzt!"

„Ich spreche, wie mir scheint,
sehr ruhig."

„Ich zittre am ganzen Leibe."
„Im vorliegenden Falle ist
das ganz natürlich."

„Was?"

„Eine gewöhnliche Offen-
barung. Die Theologie nennt
es .Gewissensbisse'. . . irgend
eine kriminalistische Schule da-
gegen .Furcht vor Strafe'."

„Was soll das alles be-
deuten?"

„Laß uns vernünftig reden;
meinem Auge bleibt absolut
gar nichts verborgen, gestehe
daher Alles auf einmal."

„Was soll ich denn einge-.
stehen, o Gott?"

„Die verübte That."

„Aber ich habe doch nichts.
verbrochen!"

„Hah... ha... ha... die
gewöhnlichste und plumpste
Ausrede der Angeklagten. .
So sage mir denn, weshalb
das Schloß am Pförtchen Zei-
chen aufweist, und wer die-
selben gemacht hat?"

„Ich weiß es nicht"

„Gut, aber vielleicht weißt ■
Du, wessen Fußspuren hier
auf dem Papier abgezeichnet
sind?"

„Der Abdruck irgend eines
kolossal großen Fußes."

„Eines männlichen wahrscheinlich."

„Vielleicht."

„Na, da haben wir ja endlich eine Mannsperson.
Beliebe nur noch, mich zu informiren, was es denn
eigentlich war: ob ein im Voraus verabredeter und
verübter Treubruch oder eine Vorbereitung zum nächt-
lichen Ueberfall, bezweckend, jemanden um's Leben
zu bringen? Bitte aber gleich zu antworten ohne
verschmitzte Kniffe, denn ich weiß doch schon alles."

„Sie haben ivohl. . .. Kopfschmerzen," — ant-
wortete sie — „vielleicht tranken Sie Mittags zu viel
Wein?"

„Vielleicht.... doch laß uns in's Haus gehen:
ich werde kaltes Wasser trinken, und dann wollen wir
ruhiger sprechen" ....

„Bitte voranzuschreiten, ich folge sofort!"

Bevor ich eintrat, schloß ich vor Allem die
äußeren Fensterläden, nachdem ich sie noch mit einer
dicken Schnur festgebunden hatte; und als ich auf
diese Weise die Person meiner treulosen, mindestens
aber stark verdächtigten und belasteten Frau in Ver-
wahrsam gebracht hatte, beschloß ich, ihr auch die
Möglichkeit der Flucht durch die Thür abzuscheiden.
Zu diesem Zweck führte ich sie in das Schlafzimmer,
hatte aber zuvor das Schloß untersucht und den
Schlüssel in die Tasche gesteckt. Jeder meiner Schritte
erfüllte sie mit Schrecken, und als ich sie streng und
kategorisch fragte, wer ihr Komplize sei, als ich sie
aufforderte, mir seinen Namen zu enthüllen, brach
sie in krampfhaftes Weinen aus.

Ich kenne auch diese Methode.

Als ich sah, daß ich heute das Geständniß nicht
mehr herausbekommen würde, steckte ich den Schlüssel
in's Schloß und sagte:

„Ich gestehe Ihnen, daß ich mir die ersten Augen-
blicke eines ehelichen Zusammenlebens ganz anders
vorgestellt habe; da ich nun aber Spuren nichts-
würdiger Handlungen entdeckte, sehe ich mich ge-
zwungen, Sie einzusperren."

„Mich?" — schrie sie, vom Stuhle auffahrend.

„Jawohl, Sie. . . O, fürchten Sie nichts, ich will,
so weit es geht, einen Skandal vermeiden .. deshalb
lasse ich nicht den Dorfschulzen holen, auch keine
Wache postiren."

„Dorfschulzen? Wache?Gott, was bedeutet das?!"

636

„Es bedeutet, daß Sie die heutige Nacht in diesem
Zimmer unter Schloß und Riegel zubringen werden."

„Ich?"

„Gewiß.... Auch rathe ich, keinen Fluchtver-
such zu riskiren, denn ich werde persönlich das
Fenster bewachen."

„Allmähtiger Gott! Dieser Mensch ist ja wahn-
sinnig geworden!Jch werde jemanden zu Hilfe rufen!"

„Ich rathe Ihnen, keinen Lärm zu machen, wid-
rigenfalls ich sofort zum Dorfschulzen schicken werde."

Sie fiel weinend auf das Bett; ich schloß die
Thür ztveünal zu und promenirte, mit einem Taschen-
Revolver bewaffnet, bis zum hellen Morgen im
Garten und Hof umher.

In dieser Weise brachte ich die erste Nacht nach
der Trauung zu.

Um neun Uhr früh kain die Schwiegermutter an;
sie war so strahlend glücklich, so lustig und freund-
lich, als existirtcn auf Erden keine Treulosen, keine
Mörder, Brandstifter und Gauner.

Gleich auf der Stelle überhäufte sie mich mit
Fragen:

„Nun, wie befindet sich unsere theure Maria?
He, so sage doch!"

„Viel Belastungsmaterial ist bereits erbracht
worden," — antworte ich mit steifer Verbeugung.

„Material, das Maria belastet? Aber, lieber
Schwiegersohn, Du hast wohl einen Bpgel?"

„Durchaus nicht, gnädige Frau."

„Wessen klagst Du Sie eigentlich an?"

„Das wird sich bald aufklären."

„Wo ist sie?"

„Im Schlafzimmer, in welchem sie die Nacht ein-
geschlossen und bewacht zubrachte."

Das. Gesicht meiner Schwiegermutter hatte die
Farbe des Bluts angenommen.

„Her mit dem Schlüssel!" — donnerte sie wüthend,
— „her damit sofort! Verstanden?"

Nach einiger Ueberlegung öffnete ich das Schlaf-
zimmer. Die Lampe war schon beinahe ganz aus-
gebrannt; meine Frau lag in Kleidern auf dem
Kanapee;, sie war blaß, verweint, häßlich....

„Maria! Maria!" — schrie die Mutter.

Maria sprang schnell auf, stürzte ihr in die Arme
und begann heftig zu weinen. Ich zog mich in den
Salon zurück.

An dieser Stelle könnte ich meine Memoiren oder
richtiger gesagt, diesen Theil derselben, unterbrechen.
Meine Schwiegermutter, die eine eingehende Unter-
suchung eingeleitet hatte, hieß mich zuerst einen
Grobian und später einen Idioten. Das Jndün-
dnuni, welches das' Zimmer meiner Frau durch's
Fenster betreten, war, wie die Schwiegermutter
konstatirte, keine Mannsperson, sondern. . . ein
Gärtner, der Maria's Boudoir mit Blumen schmü-
cken sollte; er trat nur aus dem Grunde durch's
Fenster in's Zimmer ein und verließ es aus
diesem Wege, um den frisch srottirten Fußboden
des Salons nicht zu beschmutzen. Was nun die
Worte: „Mein Lieber", „Mein Guter" betrifft, so
wurden sic thatsächlich von meiner Frau gesprochen,
die scheinbar aus angeborener Güte derart liebevoll
zu einfachen Leuten redet. Die endgültigen Schlüsse
meiner Schwiegermutter waren also: Die Blume ist
kein Treubruch, der Gärtner kein Mann, ich dagegen
kein Gentleman, sonöern ein Idiot, ein Rasender,
unwürdig der Gatte eines Engels zu sein. Welch'
erkünstelte Folgerung!

Das kann man einem Anderen einreden, aber
doch nicht mir. Deshalb schüttelte ich auch mit skept-
ischem Lächeln den Kopf, tvas die Schwiegermutter
in solche Wuth versetzte, daß sie Maria nach Hause
nahm und sofort die Ehescheidungsklage anstrengte.

Zwei Stunden später verließ auch ich Zosin.

Auf weitere Untersuchungen habe ich verzichtet,
denn was geht mich schließlich ein Treubruch an,
begangen an einer Frau, die in Wirklichkeit nie meine
Gattin gewesen und jetzt kraft des Urtheils auch
rechtlich nicht mehr die meinige ist?

(Aus dem Polnischen M. U.)
Index
Leo Prochownik: Knospen
 
Annotationen