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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 39 (??. September 1900)
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Nr. 39

*

JUGEND

1900

Sem Schwert schlug Wotan in den eschenstannn
Und drinnen bUeb es halten bis 3um Heft-
So thatest Du- Ob wohl ein Siegmund einst
Nach Dir erscheint der seiner Scheitle KNHn

RiMrd Wagner's gksDiStliIe ZtelluM

Bon Houston Stewart Lhambcrlain

/^in Gedenktag, der an die erste Aufführung des
Sö Lohengrin gemahnt, ist wohl geeignet, zu Be-
trachtungen aller Art anzllregen. Daß Lohengrin
das populärste Theaterstück der Welt ist kann
statistisch nachgewiesen werden und daß der Name
seines Schöpfers elektrisirend wirkt, wie in unserer
Zeit vielleicht einzig derjenige Bismarcks, wird
kaum Jemand leugnen. Man liebt Wagner und
nian haßt ihn, man vergöttert und man verlästert
ihn, man schwärmt und man schimpft, alle die
widersprechendsten Regungen machen sich ihm
gegenüber geltend, doch gleichgültig bleibt Keiner;
der Name Richard Wagner wirkt wie ein Blitz,
der den bleiernen Himmel einer überbildeten,
müden, begeisterungslosen, papiernen Civilisation
aufreißt und der auch Diejenigen blendet, welche
sich die Hände vor die Augen halten. Merkwürdig
ist es aber, daß gerade über diesen Künstler, der
mit einer so elementaren Gewalt wie vielleicht
nie ein zweiter, in sein Jahrhundert eingeschlagen
hat, die verworrensten Begriffe herrschen. Ich
sagte, sein Name wirke wie ein-Blitz; was den
Namen umgibt, ist ein Chaos. Und das ist um
so auffallender, als Wagner nicht, wie Shake-
speare, in der Penumbra seiner Werke halbver-
borgen stehen bleibt, noch auch wie Goethe, durch
ein encyklopüdisches, an unlösbaren Widersprüchen
reiches Uebermaaß, die Auffassung erschwert. Alles
was Wagner geschaffen hat -— sein Leben und
seine Kunst, seine Lehren, die Gestalten seiner
Helden, sein Bühnenhaus in Bayreuth — sind
von plastisch greifbarer Deutlichkeit. Betrachten
wir ihn in dem begrenzten Wirkungskreis seiner
Jugendjahre, als Kapellmeister, so finden wir das
unermüdliche Bestreben nach lückenloser Deutlich-
keit— Deutlichkeit der Melodieführung im Orchester,

Deutlichkeit der Aussprache, Deutlichkeit der Hand-
lung — als dasjenige, was den zeitgenösischen
Sachkundigen auffiel und was beim Publikum
den beispiellosen Erfolg hervorbrachte, gleichviel
ob es sich um Bellini's Norm« oder um Beethoven's
Neunte Symphonie handelte. Eine einzige Partitur-

entreißet Deines üeües tönend Schwer^

£s biitzenü ftöuringet' wie Dn's hast geschwungen?
wer mag es wissen? Zück' es' wer es kann:

Den Sieg erkämpft er doch mit Wotans Schwert-

Max von Sexdel

Kühnheit, auf so weitausholende Fragen eingehende
Antworten geben zu wollen, was im Nahmen einer
Wochenschrift ohnehin kaum möglich wäre; sondern
ich beschränke mich darauf, iu wenigen Zügen an-
zudeuten, nach welchen Richtungen — meiner Ueber-
zeugnng nach — gesucht werden muß, um wahre
und genügende Antworten zu erhalten.

Das Erste, was uns nuffällt, sobald wir die
Erscheinung Wagner's genauer in's Auge fassen,
ist der völlige Bankerott unserer landläufigen
Aesthetik und Kunstgeschichte. In Wahrheit siechten
diese schon längst dahin an der chronischen Im-
potenz aller jener Darstellungen, welche auf falschen
Annahmen aufgebaut sind; sowohl Theorie wie
Geschichte bleiben Irrlichter, wenn sie nicht von
Einsichten ausgehen, welche die einfachen Grund-
thatsachen sonnenhell erleuchten. Die vulga pleba
der malenden, dichtenden, komponirenden Talente
war allerdings um so tadelloser untergebracht und
rubrizirt, als unsere Aesthetik eine durch und durch
kleinliche, ungeniale, philiströse war, die den heim-
lichen Groll über das ihre sauber abgemessenen
Kreise störende Genie nie ganz zu verbergen wußte
— man denke nur an Gervinus, Bischer, Lübke,
Riehl. Darum hat sie aber auch mit den Riesen-
gestalten eines Johann Sebastian Bach und eines
Ludwig van Beethoven nie etwas anzufangen ge-
wußt; auch an Mozart („das göttlichste allerGenies"
nennt ihn Wagner) mußte eine Art Schädelopera-
tion vorgenommen werden, wie die peruanischen
Mütter sie an ihren Kindern ausüben: sein großer,
zu den freiesten Thaten hiuausstrebender Geist
mußte sich nämlich zu einer Rococopuppe zu-
sammenschnüren lassen, um dann auf den Thron
der Philistermusik, als ewig unabsetzbarer Monarch
aller Papier schwärzenden Klavier- und Kapell-
meister erhoben zu werden. Schaut man aber
genauer zu, so wird man finden, daß es dem
„Lyriker" Goethe und dem „Dramatiker" Schiller
auch nicht wesentlich besser ergangen ist. Damit
sie nicht nach allen Seiten über die Schablone
hinausragen, und damit das Prokrustes-Federbett
der Beguemlichkeitsästhetik sie fein sauber bis ans
Kinn zudecke, hat man ihnen überall, wo es noth

seile in der Handschrift zeigt uns, daß in diesem
Geiste alles klar und durchsichtig ist. Und dennoch
kann man ruhig behaupten, daß heute — fünfzig
Jahre nach der ersten Aufführung des Lohengrin
— kaum ein Gebildeter unter zehntausend einen
richtigen und deutlichen Begriff dessen besitzt, was
Richard Wagner in der Geschichte deutscher Kunst
und in Folge dessen in der Weltgeschichte mensch-
licher Kunst bedeutet; wir wissen weder was er
ist, noch wer er ist, noch wo er steht. Und es
scheint, als ob wir es nicht so bald lernen sollten,
da jede ernste, geschichtlich und ästhetisch freie, ein-
gehende Erörterung mit der Phrase abgelehnt zu
werden pflegt: „Ach, Wagner ist schon längst all-
gemein anerkannt!" Daß er einmal nicht „aner-
kannt" war, ist jedoch kein normales Phänomen,
denn Wagner wurde anfänglich begeistert ausge-
nommen, und ebenso erging es ihm später, überall
wo seine Werke nur halbwegs verständlich aufge-
führt wurden; die „Nichtanerkennung" war eine
gewaltsam gezüchtete, künstliche, erlogene Erschein-
ung. Gerade so wie Gounod, Massenet und Kon-
sorten Lohengrin von bezahlten Gassenjungen in
Paris auspfeifen ließen, aus Angst, ihre Tantiemen
einzubüßen, ebenso schürte in Deutschland während
dreißig Jahren eine Presse — deren Motive eben
so edele waren — gegen Wagner, und es gibt
keine einzige erdenkbare Lüge, vor deren Gebrauch
sie zurückgescheut hätte. Daß Wagner „jetzt allge-
mein anerkannt" ist, bedeutet also zunächst weiter
nichts, als daß jene Koalition von Schuften —
wie dort so hier — nach und nach der unüber-
windlichen Macht des vollendet Schönen hat weichen
müssen, und daß wir somit heute genau da stehen,
wo wir vor fünfzig Jahren hätten stehen können,
und gewiß — ohne jene künstliche Verfälschung
der öffentlichen Meinung —gestanden hätten. Daß
Keiner heute die Stirn hat, Wagner's Genie zu
leugnen, erlaubt uns, uns nunmehr darüber zu
besinnen, wer und was dieser gewaltige Künstler
ist und auf welchen geschichtlichen Platz — wenn
ich mich so ausdrückcn darf — er zu stehen kommt.

Ich schreibe auf einsamer Bergeshöhe, fern von
allen Litteraturquellen; ich besitze also nicht die

6zy
Register
Max v. Seydel: Richard Wagner's Walküre
Houston Stewart Chamberlain: Richard Wagner's geschichtliche Stellung
Paul Haustein: Titelvignette
 
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