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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 46 (12. November 1900)
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Nr. 46

JUGEND

1900

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Arpad Schmidhammer

Lars Larsen's Roman

^Uor einer halben Stunde war der Postdampfer
anf der Rhede von Tsingtau angekommen, und
das deutsche Geschwader hatte eine lange erwartete
dicke Hofpost bekommen. Auf S. M. S: „Luise"
war gerade Zeugflicken und alles gab sich mit Eifer
der Lektüre hin.

_ Der Obermatrose Lars Larsen las seinen Brief
seiner Gewohnheit nach im Schwalbennest seiner
Kanone und was er las, gefiel ihm nicht. Die
Mutter schrieb, Gcsine habe sich verlobt, und knüpfte
daran einige tadelnde Bemerkungen über den Cha-
rakter dieser jungen Dame.

Gesine war Larsens Versprochene. In 3 Monaten,
so hatte sich Larsen ausgerechnet, würde er zu Hause
sein, dann wollte er Gesine heirathen und tvieder
den Fischkutter fahren von Westrauderfehn.

Wenn nichts zit thun tvar, hatte er eigentlich
immer nur an Gesine gedacht, die beiden langen
Jahre, die er nun im Auslande war. Die fremden
Länder und Menschen interessirten ihn gar nicht,
absolut nicht. An Land ging er fast nie, dazu war
er zu stumpfsinnig, wie ihin sein Divisionsoffizier,
der den braven vierschrötigen Gesellen sehr gern
mochte, schon oft ärgerlich gesagt hatte. Und nun
hatte Gesine sich verlobt, nun hatte er nichts mehr
zu denken, nun war alles aus! Ja, so ein schwer-
fälliger Ostfriese ist übel daran, wenn ihm so etwas
passirt! In dumpfer Betäubung starrte er auf seine
Kanone, bis Verschluß und Höhen- und Seitenricht-
vorrichtung einen wilden Tanz vor seinen Augen
aufzusühren begannen.

„Anker lichten zugleich" — Signal vom Flaggschiff.
Larsen mußte seine Station auf der Back einnehmen
und half mechanisch mit, den schweren Anker katten.
Darauf war Umkleiden für die Nacht. Larsen zog
sein blaues Zeug an, dann nahm er aus seinem

kleinen Spinde all die Sächelchen heraus, die er für
Gesine gekauft hatte, Stickereien aus Shanghai, Holz-
schnitzereien aus Nagasaki, Steinvasen aus Amoy
und Fächer aus Swatau. Sehr geschmackvoll aus-
gesucht waren sie eigentlich alle nicht, aber Gesine
würde sich doch sehr darüber gefreut haben sonst —
ja sonst — knatsch, flog der ganze Laden durch das
Bulleye, ehe noch der Zwischendeckswachhabende
gegen diesen unerhörten Frevel wider die Schiffs-
ordnung Einspruch erheben konnte.

Beim Abendbrod — Larsen saß als Steuerbord-
Schlagriemen an der Back des ersten Kutters, des
ine ganzen far East berühmten ersten Kutters
S. M. S. „Luise", der den englischen Flaggschiffkutter,
dieses swell boat, in Nagasaki um 2 Minuten, sage
und schreibe zwei Minuten, geschlagen hatte — gab
es einen unangenehmen Zwischenfall. Larsen's
vis-a-vis, der Backbord-Schlagriemen, ein schnoddriger
Berliner Zwölfjähriger, uzte ihn wegen seines un-
gewohnten Appetitmangels und zitirte den schönen
Spruch über die Ostfriesen: „Eten, schlafen, supen,"

— weiter kam er nicht.

Larsen hatte ihm über die Back eine runter ge-
langt und wo Larsen hinlangte, da wuchs kein Gras
mehr, das konnten selbst seine besten Freunde nicht
behaupten. Zum Glück war der Herr Wachtmeister
selbst im Zwischendeck und brachte die Streitenden
auseinander, sonst würde die wundervoll harmonisch
eingeruderte Kuttercrew um einige heile Knochen
ärmer geworden sein.

Am nächsten Morgen bei der Musterung — das
Geschwader passirte gerade Südost Shantung-Leucht-
thurm seligen Andenkens, wo 75 Mann vom alten
Iltis so anständig ihr Leben ließen — erhielt Larsen
3 Stunden Strafexerciren wegen „Schlägerei an der
Back" in Anbetracht seiner „bisherigen sehr guten
Führung." Der „Erste" hätte ihn sicher laufen lassen,
wenn Larsen nur einen Ton zu seiner Vertheidiguug
gesagt hätte, denn der hatte oben einen gewaltigen
Stein im Brett. Aber Larsen schwieg und war
überhaupt dickfellig.

Er trat die Strafe aber nicht an, denn am nächsten
Mittag wurde vor Taku geankert, um 4 Uhr gingen
die Landungscorps au Land und an Land war der
Teufel los.

---Die Entsatzabtheilung des Admirals

Seymour hatte bei Langfang ihren Rückmarsch an-
treten müssen. Es war einige Tage später. Die Ko-
lonne war, um früh weiter zu kommen, schon um
1 Uhr Morgens aufgebrochen.

Eben ging die Sonne auf. Sie beleuchtete mit
sofort sengenden Strahlen die öde Ebene, in der
jedes Dorf, jeder Busch voll steckte voll heimtückischer,
blutdürstiger Gegner.

Aus den sumpfigen Reisfeldern stiegen Milliar-
den von Mosquitos anf. Die Verwundeten, die in
langen Reihen in der Mitte des Zuges getragen
wurden, begannen zu stöhnen. Bei dein stolpernden
Tragen auf dem entsetzlichen Wege verrutschten die
Verbände, überall krochen die Mosquitos hinein

— und dann der Durst, der entsetzliche Durst!

Wasser, Wasser, so jammerte es in fünf, sechs ver-
schiedenen Sprachen. Mit düsterm Gesicht hörte der
Kommandirende, der mit dem Führer der deutschen
Abtheilung hinter der Vorhut ritt — die Ponies
waren auch danach — die erschütternden Klagen.
Seit vielen Tagen nun dieser Zustand. Nichts Ver-
ständiges zu essen, Wasser aus dem von Leichen
wimmelnden Peiho, jeden Tag Todte und Verwun-
dete, gelegentlich Vermißte, deren Schicksal man sich
nicht auszumalen ivagte.

Nach Peking und Tientsin zu überall des Nachts
flammende Feuersäulen. An die Gesandten dachte
man schon nicht mehr. Hatte sich Tientsin halten
können, und wenn nicht, was daun, ja, was dann?
Bor wenigen Tagen noch allmächtiger Geschwader-
chef an Bord eines pompösen 11000 tous-Flagg-
fchiffs und heute um sein Leben kämpfen müssen
mit Canaillen, mit richtigen Canaillen. Und wahr-
scheinlich würden sie die Oberhand behalten. Ein
harter Abschluß einer glänzenden Carriere!

Der Zug stockte, ein winziger miäslnxman, das
kindliche Gesicht tief eingefallen, brachte von der
Borhut die Meldung, daß die führende marines-
Compagnie angegriffen sei und um Unterstützung
bitte. Man war wieder vor einer großen verschanzten
Ortschaft angelangt.

Der Admiral ritt mit seinem Stabe auf den
kleinen, ein Mandarinengrab bergenden Hügel, der
links von der Straße einigen Ueberblick gewährte,
und ertheilte seine Befehle. Es ging schon ganz
programmmäßig. Die Engländer, Japaner und
Russen gingen in langen Schützenlinien vor. Die
Deutschen sollten in Reserve bleiben, sie hatten es
gestern und vorgestern redlich verdient, wie der
lange Zug von Verwundeten zeigte, der seitdem ihre
Kolonne begleitete.

Es war ein ekelhaftes Terrain, bis an den Hals
sanken die ausgeschwärmten Leute gelegentlich in die
widerliche Jauche der Reisfelder.

Daß wir noch keine Cholera haben, ist ein Wunder,
meinte der deutsche Oberstabsarzt, der hinter dem
Mandarinen-Grabhügel seinen Verbands-Laden zu-
recht machte, zu seinem Assistenten.

Die Chinesen fingen auf ca. 1500 m ein wildes
unregelmäßiges Feuern an, sie hatten es gut, Muni-
tion in Hülle und Fülle, da kann man knallen, das
beruhigt die Nerven. Die Verbündeten hatten zum
Theit -heute die letzten Patronen ausgegeben bis
auf die Deutschen. Die hatten natürlich wieder noch
mehr, auch Proviant hatten sie mehr mitgenommen.

Manch einer hatte gelächelt, wie die schwer be-
packten Deutschen an den ersten Tagen keuchen
mußten, wie die Saumthiere beladen, zu diesem
trip to Peking. Mau lachte schon lange nicht mehr.

Der Admiral hatte es schon öfters ausgespro-
chen, was er von den Deutschen hielt. Sie waren
immer an der Hand, immer a vos ordres. Ob Nachts
herausgeschmissen, ob vom kärglichem Abkochen auf-
gestört, immer zur Stelle, nie Schwierigkeiten. Heute
mußten sie auch wieder dran. Der Admiral ließ sie
zunächst als Unterstützungstrupps langsam folgen.
Die Kompagnie von „Luise" kam dicht an seinem
Hügel vorbei. Am rechten Flügel marschierte ein
riesiger Obermatrose ohne Mütze, den Kopf ver-
bunden mit blutigen, schmierigen Bandagen. Es
war Larsen. Ein langer Boxer hatte ihm vorgestern
den Kopf spalten wollen, als er ihm seine schöne
seidene Flagge mit dem grellen Drachen darauf weg-
nahm. Aber der Säbel war dabei verbogen, wie
Larsen's Lands- und Nebenmann Jürgens gesehen
haben wollte. Jedenfalls hatte Larsen noch Zeit und
Kraft genug gehabt, eine kleine Privatdifferenz mit
einem langen Seesoldaten einer anderen Macht we-
gen des Besitzrechts auf ein chinesisches Feldgeschütz,
das bei demselben Gefecht genommen wurde, für
sein Vaterland in befriedigender Weise zu lösen.

Die vorderste Schützenlinie hatte sich der Dorf-
mauer auf ca. 100 Meter genähert. Unangenehm
Viele hatten dabei in den Reis beißen müssen. Es
gibt appetitlichere Todesarten, aber für Anfänger
genügte diese ja auch; jedenfalls beschwerte sich Nie-
mand darüber.

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Register
Rhamses: Lars Larsen's Roman
Arpad Schmidhammer: Zeichnung zum Text "Lars Larsen's Roman"
 
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