Nr. 51
JUGEND
1900
eher verlöre die Sonne am Himmel ihren Schein, als daß die moderne
Kulturmenschheit sich um die freie Kunst bringen ließe. Eher mögen
alle Regeln und Gesetze und Dogmen in Scherben gehen. Das Wort
bleibt bestehen: Schönheit ist Ketzerei. Denn diese Ketzerei ist eine heilige
Funktion — und eine nahrhafte obendrein, sintemal die infallible Ge-
meinde der allein zur Seligkeit Berechtigten davon lebt und zehrt, wie
einstmals die auserwählten Juden vom Manna in der Wüste. Man
frage doch Rom! Aber Rom ist klug und verräth sein Lebensgeheimniß
nicht. Eher flucht es zehnmal mehr, als daß es einmal seiner heim-
lichen Nährmutter, der Ketzerei, dankbar die Hand küßte. —•
inicbael keorg eonrad
Devisen
Der Jäger: Der Bicyclisten:
Wald, Weib, Wein, Wild! Radel, Wadel, Madel!
Der Studenten:
Köter, Kater, Karzer!
Gchusterhumor
Meister Pechdraht ist der beliebteste Damenschuster am Orte. Seine
Konkurrenten liefern ebenso gute Waare, verstehen aber das Publikum
nicht so gewandt zu behandeln wie er. Das zeigt sich schon beim Maß-
nehmen. Fühlt er da unter'm Strumpf etwas Hartes und muß er
deßhalb eine Frage stellen, so sucht er die Bezeichnung für die bekannte
kleine Hautverhärtung nach Möglichkeit der gesellschaftlichen Stellung
der Kundinnen anzupassen. So spricht er bei vornehmen und reichen
Damen, wenn sie älteren Jahrgängen angehören, wie bei der Frau
Oberhofmarschallin Exc. und der Frau Geheimen Commerzienräthin,
von einer kleinen „Hautperle", bei jüngeren Damen dieser Gesell-
schaftssphäre von einem „Taubenäuglein". Bei Vertreterinnen
des besseren Mittelstandes, z. B. bei der Frau Professorin und der Frau
Rechnungsräthin sagt er kurz „Auge", bei ihren Töchtern „Aeng-
lei n". Gehört die Kundin bent kleinen Mittelstände an, wie die
Frau Schlächtermeisterin und die Frau Postassistentin, fragt er thcil-
nehmend, ob das „Hühnerauge" nicht drückt, bei ihren Töchtern
erkundigt er sich scherzend, ob das „Putthühnchenauge" nicht
wetterlaunisch ist. Bei Vertreterinnen des vierten Standes, Dienst-
mädchen, Arbeiterfrauen u. s. w, bedauert er, daß auch der am besten
ausgewachsene Fuß sein „Krähenauge" hat. Nur bei der Frau
Todtengräberin gebraucht er das Wort „Leichdorn".
Schwierige Loimnission
Baron von X.: Johann, geh' mal zn Herrn Leutnant Pfeil
und frage, ob ihm für heute Abend eine Partie Whist passend wäre.
Johann (bei Leutnant Pfeil): Der Herr Baron läßt fragen,
ob ihm der Herr Leutnant für heute Abend eine passende Partie müßt'.
Eine heilige
Eine junge Dame aus der Gesellschaft geht zum Beichten. Da
sie nichts von Bedeutung zu beichten weiß, ermahnt sie der Priester,
sich zu besinnen. Da sie sich jedoch keiner Sünde bewußt zu sein be-
hauptet, fragte sie der Priester schließlich, ob sie am Ende ein unheiliges
Buch gelesen habe, das auf dem „Index" stehe.
„G nein" entgegnete die Danie, „diese Sachen lese ich immer,
bevor sie auf den „Index" kommen."
Hntoimtte
(Zur Zeichnung von .Adolf H2ünzer)
Ulird die kleine Antoinette,
Die so gern mit Peitschen spielt.
Einmal eine erzkokette.
Die nach allen Männern schielt?
Oder wird, die in der Zugend
Kern nach allen Knaben gafft,
eine Dame, deren Lugend
kerbe wie ßitronensaft?
Oder wird sie trotz der Peitsche
eine süsse, sanfte Maid,
Don kemüth und Art das deutsche
Grethchen im Pariser Kleid? —
Trauenseele t Hier darf wagen,
Dir ein Horoskop zu weih'»!
Antoinette — wer kann s sagen? —
Ulird vielleicht in künft'gen Lagen
Alles dies zusammen sein.
K.ory Towska
' ' jf
.^ra
tu
Adolf Münzer (Paris)
Hntoinette
853
JUGEND
1900
eher verlöre die Sonne am Himmel ihren Schein, als daß die moderne
Kulturmenschheit sich um die freie Kunst bringen ließe. Eher mögen
alle Regeln und Gesetze und Dogmen in Scherben gehen. Das Wort
bleibt bestehen: Schönheit ist Ketzerei. Denn diese Ketzerei ist eine heilige
Funktion — und eine nahrhafte obendrein, sintemal die infallible Ge-
meinde der allein zur Seligkeit Berechtigten davon lebt und zehrt, wie
einstmals die auserwählten Juden vom Manna in der Wüste. Man
frage doch Rom! Aber Rom ist klug und verräth sein Lebensgeheimniß
nicht. Eher flucht es zehnmal mehr, als daß es einmal seiner heim-
lichen Nährmutter, der Ketzerei, dankbar die Hand küßte. —•
inicbael keorg eonrad
Devisen
Der Jäger: Der Bicyclisten:
Wald, Weib, Wein, Wild! Radel, Wadel, Madel!
Der Studenten:
Köter, Kater, Karzer!
Gchusterhumor
Meister Pechdraht ist der beliebteste Damenschuster am Orte. Seine
Konkurrenten liefern ebenso gute Waare, verstehen aber das Publikum
nicht so gewandt zu behandeln wie er. Das zeigt sich schon beim Maß-
nehmen. Fühlt er da unter'm Strumpf etwas Hartes und muß er
deßhalb eine Frage stellen, so sucht er die Bezeichnung für die bekannte
kleine Hautverhärtung nach Möglichkeit der gesellschaftlichen Stellung
der Kundinnen anzupassen. So spricht er bei vornehmen und reichen
Damen, wenn sie älteren Jahrgängen angehören, wie bei der Frau
Oberhofmarschallin Exc. und der Frau Geheimen Commerzienräthin,
von einer kleinen „Hautperle", bei jüngeren Damen dieser Gesell-
schaftssphäre von einem „Taubenäuglein". Bei Vertreterinnen
des besseren Mittelstandes, z. B. bei der Frau Professorin und der Frau
Rechnungsräthin sagt er kurz „Auge", bei ihren Töchtern „Aeng-
lei n". Gehört die Kundin bent kleinen Mittelstände an, wie die
Frau Schlächtermeisterin und die Frau Postassistentin, fragt er thcil-
nehmend, ob das „Hühnerauge" nicht drückt, bei ihren Töchtern
erkundigt er sich scherzend, ob das „Putthühnchenauge" nicht
wetterlaunisch ist. Bei Vertreterinnen des vierten Standes, Dienst-
mädchen, Arbeiterfrauen u. s. w, bedauert er, daß auch der am besten
ausgewachsene Fuß sein „Krähenauge" hat. Nur bei der Frau
Todtengräberin gebraucht er das Wort „Leichdorn".
Schwierige Loimnission
Baron von X.: Johann, geh' mal zn Herrn Leutnant Pfeil
und frage, ob ihm für heute Abend eine Partie Whist passend wäre.
Johann (bei Leutnant Pfeil): Der Herr Baron läßt fragen,
ob ihm der Herr Leutnant für heute Abend eine passende Partie müßt'.
Eine heilige
Eine junge Dame aus der Gesellschaft geht zum Beichten. Da
sie nichts von Bedeutung zu beichten weiß, ermahnt sie der Priester,
sich zu besinnen. Da sie sich jedoch keiner Sünde bewußt zu sein be-
hauptet, fragte sie der Priester schließlich, ob sie am Ende ein unheiliges
Buch gelesen habe, das auf dem „Index" stehe.
„G nein" entgegnete die Danie, „diese Sachen lese ich immer,
bevor sie auf den „Index" kommen."
Hntoimtte
(Zur Zeichnung von .Adolf H2ünzer)
Ulird die kleine Antoinette,
Die so gern mit Peitschen spielt.
Einmal eine erzkokette.
Die nach allen Männern schielt?
Oder wird, die in der Zugend
Kern nach allen Knaben gafft,
eine Dame, deren Lugend
kerbe wie ßitronensaft?
Oder wird sie trotz der Peitsche
eine süsse, sanfte Maid,
Don kemüth und Art das deutsche
Grethchen im Pariser Kleid? —
Trauenseele t Hier darf wagen,
Dir ein Horoskop zu weih'»!
Antoinette — wer kann s sagen? —
Ulird vielleicht in künft'gen Lagen
Alles dies zusammen sein.
K.ory Towska
' ' jf
.^ra
tu
Adolf Münzer (Paris)
Hntoinette
853