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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 51 (??. Dezember 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0406
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Der

Gang nach dem Eisenhammer

Von Georg Dirth

f EJT zwei Monaten war der treffliche
Menschenmaler Fritz Ehrlich übelbestall-
! ter Wittwer. Sein leiblich wie seelisch
' überaus zartes Frauchen hatte ihm einen
Säugling weiblichen Geschlechts hinterlassen; aber
dieses an sich sehr reizende Liebespfand machte ihm
mehr Kummer als Freude, da es trotz der größten
Sorgfalt, wonnt die künstliche Nahrung vom Papa
selbst zubereitet wurde, von Tag zu Tag sichtlich
elender wurde. Der arme Mann litt unter diesen
Verhältnissen furchtbar: er liebte das hinsiechende
Kindleiu, liebte aber arrch seine Kunst, für die er
nun weder Muße noch Musen hatte, ganz ab-
gesehen davon, daß manche Porträtaufträge in
Oel dabei zu Wasser wurden. Sein altes gebrech-
liches Mütterchen thcilte urit ihm die Sorgen, konnte
aber nicht viel helfen, da sie selber der Pflege be-
durfte. Das nmßte anders werden. Die sterbende
Gattin hatte ihn zwar beschworen, dem Kinde keine
Amme zu geben, weil sie an das Ammenmärchen
von der Charakterübertragung durch die Mutter-
milch glaubte (als ob wir durch Kuhmilch psychische
Ochsen werden müßten»; aber eigenes Nachdenken
über das Problem „Brust oder Flasche?" — noch
mehr das Drängen des Hausarztes bestimmte
Herrn Ehrlich dennoch zum Gange nach dem
„Eisenhammer." So hieß nämlich im Volksmunde
das Haus, das er nun anfsuchte, weil hier, im
Gegensätze zu der sinnigen Erfindung des Grafen
von Savern, immer mehr lebendige Menschen
heraus- als hineinkamen. Also ein tuous a non
lucendo.

Ein paar hundert Schritt vor dieser An-
stalt, die zugleich als Klinik für wissensbeflissene
Aeskulape und Hebammen funktionirt, bege-
gnete ihm Etwas, das den Menschenmaler urit
einem Schlage elcktrisirte und dcrr Mann für
einen Augenblick vergessen ließ, daß er trauern-
der Wittwer war. Es war eine jugendliche
Frauengestalt, stolz und zugleich
bescheiden, voll Hoheit und An-
nruth, nicht städtisch und doch
auch nicht bäuerisch, geradezu
fremdartig. Er war verwirrt,
als sie im Vorbeigehen ihn mit
ihren grünlich braunen Augen

anblicktc, und mußte ihr nachschauen. Sie hatte ein
einfaches Tuch um Kopf und Schultern gewunden,
arrch sonst war die Gestalt verhüllt, trotzdenr erkannte
er an Haltung und Gang, an dem Austritt der
edel geformten und kräftig gefesselten Füße, den Zu-
sammenklang ungewöhnlicher kerngesunder Schön-
heiten, bei deren sinnfälliger Ahnung wir schwa-
chen Männer um einige Grad RLaumur stärker
werden. Und nun gar erst der Menschenmalerl

Als die leibhaftige Göttin um die nächste Stra-
ßenecke seinen Blicken entschwunden war, schwankte
Herr Ehrlich noch ein Beträchtliches, ob er dieser
Perle aller Modelle folgen sollte; denn Maler
(sogar Landschaftsmaler) dürfen ja so etwas thun,
ohne sich übler Nachrede auszusctzen. Da dachte
er an das blasse Gesichtchen der kleinen Dora,
der Vater und Pflichtmensch siegte über den Maler
und das bewegliche Männerherz, und in wenigen
Minuten stand er vor dem ihm wohlbekannten
Oberarzt des „Eisenhammers." Jawohl, der hatte
eine treffliche Amme zu vergeben, sie war eben erst
bei ihm gewesen und wieder fortgegaugen, um
ihre vergeblichen Gänge zu machen. „Denn", sagte
der Oberarzt, „sie hat zwar Milch für Drei, aber
sie ist den Frauen zu schön; nun das hat ja bei
Ihnen keine Roth, da Sie als Wittwer allein zu
befinden haben."

Der Maler stand nun sofort unter einem Kreuz-
feuer starker Empfindungen, denn nach den weiteren
Mittheiluugcn des Arztes konnte kein Zweifel sein,
daß die empfohlene Amme und das schöne Mädchen
auf der Straße ein und dieselbe Person waren.
Ob seine malerische Leidenschaft und die zitternde
Begeisterung für das schöne Weib sich mit der streng
hygienischen Aufgabe, die ihrer daheim harrte, ver-
tragen würde, — er dachte kaum daran, er hatte
nur die eine Sorge, daß sie vielleicht in diesem
Augenblick schon nicht mehr frei sein könne.

Bald hatte er ihr kümmerliches Asyl bei armen
Leuten erreicht. Sie war noch nicht heimgckehrt;
so hatte er Zeit, sich nach ihr zu erkundigen. Das
mußte ja ein Engel an Herzensfrische sein, und
für ihre Ordnungsliebe sprach das äußerst sauber
gehaltene Bettchen ihres Kindes. Das Knäblein
duftete wie ein frischer Nußkern. Ein schöneres
und blühenderes Baby hatte er nicht gesehen, sein
Dorchen kam ihm nun doppelt elend vor.

Als „das Fräulein" heimkchrte, erschrak sie
über den Besuch des jungen Wittwers, in welchem
sie sofort den staunenden Gaffer aus der Eisen-
hammerstraße wieder erkannte. Aber der erzählte
ihr den Zweck seines Daseins so glaubhaft, daß
sie Zutrauen faßte. Erst jetzt legte sie mit einer
natürlichen Grazie ohne Gleichen die winterlichen
Umhüllungen ab, wobei die von Herrn Ehrlich
geahnten Schönheiten deutlicher hervortraten. Bei
solcher Schlankheit solche Fülle, bei solcher Fein-
heit solche Kraft, bei solchem Ebenmaß solche Ge-
drungenheit — doch warum soll ich der Phantasie
meiner Leser Schranken setzen! Nehmt von all
dem Schönen, das Euch je erfreute, das Schönste,
dazu die kräftigsten Würzen aus Harzwald mitten,
thuet Alles in Euren Kunstkochtopf und laßt es
ordentlich aufkochen, — so habt Ihr ein Bild dieser
berauschend sympathischen, blondhaarig braun-
äugigen bajwarischen Lieblichkeit, welche den bu-
kolischen Namen Zensi trug.

Aber auch unser Fritz Ehrlich war kein Stroh-
sack. Ich denke dabei gar nicht an seine Künstler-
schaft — denn was heißt „Künstler" heute, wo
Einer morgen für das nicht mehr gehalten wird,
was er gestern war; — sondern ich denke an den
Menschen. Er gehörte zur Gattung der kühnen
Zugreifer, die sich nicht lange besinnen, wenn
ihnen das Schicksal den rechten Zipfel entgegen-
streckt, und die auch dann muthig danach greifen,
wenn der Zipfel einen Haken hat. Der war frei-
lich hier vorhanden; aber Fritzens goldenes
Herz war stärker als der Haken, und sein größter
Reichthum war, daß er süß pfeifen konnte, wo
andere das saure Maul verzogen.

Nämlich mit Zensis Kind hatte es noch
eine ganz besondere Bewandtniß. .Das Natür-
lichste und Entschuldbarste wäre
ja gewesen, wenn ein schneidiger
Bauernbursche oder — da sie
selber eines Försters Tochter war
— ein Mann der grünen Farbe
dahinter gesteckt hätte. Aber in
Wirklichkeit hatte der Fehltritt des

Frau Dietlein (Hannover)

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Register
Frau Dietlein: Vignette
Georg Hirth: Der Gang nach dem Eisenhammer
Julius Diez: Faun und Pelikan
 
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