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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52 (??. Dezember 1900)
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A. Schmidhammet (München)

Im Schlaraffenland

°AMaß man sich erst durch einen Wall von Rcis-
c drei durchfressen müsse, ist ein Schwindel. Das
wäre ein trauriges Schlaraffenland, in das Liner
ohne Indigestion nicht hineinkäme! Nein! Es
war in der letzten Maiweinzeit, int Rathskeller
war es heiß gewesen und Eduards Idee, eine
Flasche alten Sherry in jede Bowle zu gießen,
— einfach wahnwitzig! Als wir fortgingen, däm-
merte cs — schon oder noch? Ich weiß es nicht.
Jedenfalls ging ein furchtbarer Wind, denn die
elektrischen Mondkugeln schwankten an ihren
Drähten, und ihre Masten tanzten wie Schilf im
Sturm. Dann muß ich in einen unrichtigen Zug
gestiegen sein, denn als mich ein gewaltiger Ruck
aus dem Schlaf weckte, schrie draußen ein Mann
„Schlaraffenland!" und nrein Bjllet lautete nach
ganz wo anders. Aber nun war ich schon cin-
mal da, und der freundliche Beamte auf dein
Perron sagte falutircitb: „Bitte, das macht gar
nichts!" Im Stationsgebäude wird das Gepäck
revidirt —. aber wie! Die Beamten sahen die
Kleider durch, nähten die abgerissenen Knöpfe au,
füllten die Reiseflasche auf, nachdem sie höflich
gefragt: „blene^sz- X X O, oder Bisquit Dubouche
;830er?."- Schließlich kam mir Einer über die
Zigarren, die ich im Dusel nicht deklarirt hatte,
roch daran, sagte „Pfui Teufel!" warf sic in die
Ecke und stopfte mir den Koffer mit großen, halb-
dunklen Manuel Garcias voll, bis nichts mehr
wackelte. Das nennt man dort Tabakmonopol.

Vor dem Bahnhof bestieg ich eine Taxameter
droschke, um eine Rundfahrt durch die Stadt zu
machen. Alle hundert Meter fiel ein Markstück
aus dem Apparat als Entschädigung für die Zeit
versäumNiß. Der Kutscher war Professor der
Kunstgeschichte und plauderte entzückend über alle
Merkwürdigkeiten der. Stadt. Im Pflaster waren
keine Löcher; die Leute sprengten die Straße, ehe
sie fegten, und darum gab es auch keinen Staub.
Auf dem Bürgersteig hielten sich alle Leute rechts,
sogar die Damen. In Deutschland war ich also
nicht. Ueberhaupt nicht. An jeder Ecke stand
kein Schutzmann, selbst da nicht, wo er ganz un-
nöthig war. Nirgends lag ein gefallener Droschken
gaul, denn im Schlaraffenland schlafen die Kutscher
Nachts in ihrem Bett, nicht bei Tag auf dem
Kutschbock. Es war herrlich und wie waren die
Leute nett! Man sah weit und breit keinen
Gecken, aber lauter hübsch angezogene Menschen
und auch die Arbeiter gingen sauber, ohne mit
Mörtelflecken, Jiegelmehl, Wagenschmiere und
Kohlenruß an Gesicht und Kleidern zu renom-
miren. Wer sich dort als Gigerl aufspielen will,
muß dafür 14 Tage als Pithekanthropus im
zoologischen Garten sitzen. Gar nett und flott
waren die Leutnants; sie blickten so freundlich
und herablassend auf die andern Schlaraffen, als
ob diese ihresgleichen wären, und wenn ein Soldat
sie grüßte, so dankten sic ihm nicht nur mit müde

erhobenem Zeigefinger. Wenn ein Schlaraffcn-
leutnant bei einer Ueberhebung betroffen wird,
niuß er zur Strafe ein Monocle tragen und das
fürchtet Jeder, denn sic sehen gerne aus wie ver-
nünftige Menschen. Auch die hübschen Mädel sehen
die Leutnants nicht mit den: bewußten Blick an, der
heißt: „Da schau mal, was ich für ein Tausend-
sasa bin! Wenn Du reckt artig bist, darfst Du
Dich in mich verlieben!" Uebrigens verlieben
sich die Mädels im Schlaraffenland nur in einen
Leutnant, wenn er auch in Zivil ein netter Kerl
ist; sie heirathen bloß die Menschen, nicht die
Kleider. Das ganze. Frauengeschlecht dortzulande
ist überhaupt höchst merkwürdig. Das letzte Korsett
ist vor zehn Jahren int pathologischen Museum
aufgehängt worden; sie tragen keine todten Vögel
auf dein put und wenn ihnen der Konfektions-
meier eine Geschmacklosigkeit als letzte Neuheit auf-
hängen will, wenden sie ihm sanft lächelnd die
Kehrseite zu und kaufen wo anders. Sie tragen
keine Schleppe, fegen darum auch den Leuten
keine Mikrobenwolken in die Nasen und wissen
recht gut, daß ihnen fußfreie Kleider besser stehe::,
so klein und hülllch sind ihre Füßchen. Si^,
sind freundlich auch mit pcrren, die kein Geld
haben und auch sonst nicht geheirathet zu werden
wünschen, sie spielen, nur Klavier, wenn sie's
können, treiben keine Brandmalerei und sammeln
keine Licbigbilder. Das Veirathon wird nur er-
laubt, wenn er sie, oder sie ihn ernähren kann, aber
durch Vaud- oder Kopfarbeit, nickt durch Papa's
Rente. Das ist schlimm fürdie Mitgiftjäger; wer sich
hier von seiner Frau ernähren läßt, muß auch
ihren Namen annehmen. Darum kann sich dort
keine Mel- oder Schweine Prinzessin einen altadcl-
igen Namen mit dranhängendem Rone kaufen.
Denn wenn sie Rockfcller, oder Gould, oder Veigel-
stein heißt, muß er sich aucb so nennen und dann
hat sic nichts davon. Er thäte es ja trotz
alledem! Fällt eine Ehe unglücklich aus, so
schicken die Betreffenden einfach Karten aus
„Als Geschiedene empfehlen sich.." und der ganze
Jammer ist vorbei. Ehen von Leuten, die sich
nicht mögen, heißt man dort Eoncubinat. Die
Kinder erzieht der Staat, und da so jeder Mensch
was lernt und es Dank dem 2-z, ständigen Re-
gierungswechsel keine privilegirten Stände gibt,
gibt es auch keine soziale Frage. Sogar -die
Dümmsten kommen gemächlich fort; man bezahlt
ihnen eine Rente dafür, daß sie sich verpflichten,
sich um kein Amt zu bewerben. Je dümmer
Einer ist, desto mehr kriegt er.

Ueberhaupt ist Schlaraffien ein großartiges
Land. Die Verfassung ist eine Art constitutionelle
Monarchie. Klic Tage um 9 Uhr wird der König
durchs Loos bestimmt, um \2 Uhr fängt er zu
regieren an und vierundzwanziq Stunden später
hört er wieder auf. Bis er die Krone aufprobiert,
sich in den Spiegel geguckt, feine Freunde zu
irgend was ernannt, sich photographieren lassen,
eine poftafel gegeben, einer Vorstellung im pof-
theater beigewohnt, int paradebett geschlafen und

am nächsten Morgen eine prograinmrcde gehalten
hat, die verfassungsgcmäß weder stcno- noch tcle-
graphirt, noch gedruckt werden darf, ist die ganze
perrlichkcit wieder vorbei. Zwei Parlamente gibts
im Land: ein Dberhaus, für das nur die Ge
bildeten aller Stände wählen dürfen, und ein paus
der Trottel, in dein sich die Streber ungeniert ans -
schwätzen können. Erblich sind die Sitze nur in:
Letzteren. Das Mberhaus ernennt die Minister.
Nach der Session erhält jeder Abgeordnete zooooo
Mark Entschädigung, aber für jeden Sitzungstag
wird ih:n ein Tausender abgezogen. Man glaubt
gar nicht, wie kurz da die Sessionen ausfallen.
Die Presse beschäftigt nur kluge und witzige Leute.
Kunstkritiken, Skandalxrozesse und Berichte über
Unglücksfälle koininen nie in die Zeitung. U\t
in seinem Blatt einen erwiesenen Uebelstand des
öffentlichen Lebens oder Fehlgriff der Regierung
am Gröbsten gerügt hat, bekommt den Titel vr.
press. Mrden gibt's in Sülle und Fülle. Das
königliche Münzaint gibt sie jedem unbescholtenen
Staatsbürger zum Selbstkostenpreis ab und wer
Lust hat, kann sich nach eigenem Geschmack welche
anurcssen lassen. Es thut's aber fast Keiner und
dekorirt sieht man nur pofchargen und Tenoristen.

Das erzählte :::ir Alles mein Rosseleuker vom
Bocke herunter. Schließlich hielt er vor einem
Gasthaus, wo einem zwar keine gebratenen Ferkel
zwischen die Beine liefen und keine getrüffelten
Fasanen in den Mund flogen, aber allerliebste
Mädchen aufs Angenehmste bedienten. Diese
kümmerten sich um jeden Gast, auch wenn er
kcin Student war und nicht nach Jodoform roch.
Das Beefsteak kostete nur halb so viel und war
noch einmal so groß, außen braun und knusprig,
innen zart, wie eine Thccrose. Als ich nieinen
Wein kostete, stand, vor Erwartung zitternd, dcr
Wirth dabei und als ich ihn lobte, jauchzte er:
„Gott sei Dank, daß er Ihnen schmeckt!" Mit
blühweißen Fingern bediente mich meine pcbe,
aber als ich ihr ein Trinkgeld geben wollte, sing sie
aus Kränkung au, bitterlich zu weinen und verzieh
mir erst, als sie hörte, daß ich ein Fremder sei.
Zum Abschied gab sie mir ihr Bild, ein Veilchen
sträußchen und einen Kuß in Ehren. Ich kann
das Lokal Iedcin empfehlen. Die pcbe heißt
Knutlut.

Kaum war ich wieder auf die Straße getreten,
als sich mir ein freundlicher Perr näherte und
mich bat, ihm auf's Rentamt zu folgen. Aha!
dachte ich, jetzt kommt die andere Seite der Me
daillc. Aber nein! Mben saß ein Beamter und
fragte nach meinem Einkommen. Ich nannte
eine Sunrme, er zog die Brauen hoch und sagte:
„Das' da ist freilich nichts, und Sie müssen sich
schon auf eine Draufzahlung gefaßt machen!
Pier ist die erste Rate!" Er gab mir ein Päck-
chen Banknoten, so dick wie Schillers sämintliche
Werke in einem Band, und als ich auf der Gaffe
war, kam mir die Stadt noch einmal so schön
vor. Keine Telephondrähte in der Luft, kein
elektrischer Wagen, überall Asphalt und alle Fuhr»

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Register
Arpad Schmidhammer: Die goldene Gans
Fritz Frh. v. Ostini: Im Schlaraffenland
 
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