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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 5.1900, Band 2 (Nr. 27-52)

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Nr. 52 (??. Dezember 1900)
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https://doi.org/10.11588/diglit.3411#0421
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Nr. 52

JUGEND

1900

werke auf Gummirädern, sogar der „grüne wagen" der Polizei, dessen
Insassen mit den eskortirenden Schutzleuten schäkerten. Ueberhaupt ist
die Justiz hier milde, wenn auch gerecht; es geschieht einem Jeden, was
er einem Andern angethan hat: similia similibus, sie nennen's das ho-
möopathische Strafrecht. Wenn z. B. ein Student Nachts durch Gebrüll
die Ruhe stört, so muß er mit zwei Hand- und trinkfesten Polizisten
Zwei oder drei Nächte durchkneipen, damit er weiß, wie's thnt, wenn
man nicht schlafen kann; bei jeder Prügelei sorgt die Polizei dafür, daß
beide Thcile gleich viel Schläge kriegen, und wenn ein Geschäftsmann be-
trogen hat, muß er mit de>n betrogenen Kunden Skat spielen und dieser
darf mogeln nach perzenslust. Das Straßenbild ist überall friedlich und
behaglich. Die Straßenbahnen, Automobile, Kinderwagen, die Betrunkenen,
die velocipedisten, Schusterjungen berittenen Gendarmen und was sonst den
Verkehr stört, bewegt sich unterirdisch. Im Winter sind die Straßen gut
geheizt, im Sommer durch eine Kältemischung abgckühlt. Line herrliche
Gegend!

In der Kunstpflege herrscht ein Verfahren, das mau bei uns nicht
kennt und das verblüffend einfach ist: der Tüchtigste kriegt immer den Auf-
trag. Für talentlose sind eigene Kunstentwöhnungsanstalten eingerichtet,
wo die Patienten so lange mit ihren eigenen Produkten umgeben und
geplagt werden, bis sie's nicht inehr aushalten. ITTit dem frei werdenden
Material von Bildern, Manuskripten und Partituren heizt man die öffent-
lichen Gebäude. Selbst die berühmtesten Leute malen im Schlaraffenland
feinen Kitsch aus Angst vor dem Professortitel, den Jeder bekommt, der
nachweisbar schlechter arbeitet, als er kann.

Und so weiter! während ich mir alle diese Kenntnisse gesammelt
hatte, war es spät geworden, ick fühlte mich plötzlich von einem Schutz-
mann auf die Schulter getippt und eine bärtige Stimme sagte: „Mein
pcrr, jetzt müssen Sie doch endlich einmal was essen, hier ist eine Liu-
ladung zur voftafel! wenn Sie nicht eilen, sind die Austern schon ab-
servirt!" Ich dankte höflich, denn ich hatte keinen Frack an. Der Schutz-
mann wurde dringender. Ich lehnte energisch ab — er nahm mich bei
dem Arm und schob mich dem Schlosse zu. Ich schimpfte über diese Be-
einträchtigung meiner persönlichen Freiheit. Der Schutzmann wurde grob
und sagte: „Jetzt ist's genug, genörgelt wird hier nicht — Sie sind wohl
aus Deutschland?" „Jawohl!" sagte ich, „aber ein nettes Schlaraffen-
land, in dem man nicht aufbegchrcn darf!" Schwupp! saß ich mit ihm
in einer Droschke, die zum Bahnhof fuhr und er sagte: „Nur recht
freundlich, sonst merken die Leute, daß Sie auf den Schub kommen!"
Ich lächelte, kochte vor wuth und nahm entrüstet die Entschädigung für
Zeitversäumniß aus dem Taxameter. Der Schutzmann wachte auf dem
Bahnhof, daß ich in den richtigen Zug stieg, besorgte mir noch schnell
etliche Paar heiße wursteln und ein kaltes puhn und verschwand spurlos.

Inzwischen rollte der Zug nach

Dingsda weiter und es that mir

Her 6nge1 äer Dichtung

Tortaebannt aus Edens Garten,
Mühte sich auf wildem Beker
Zwischen Unkraut, Dorn und Distel
Jenes erste mensebenpaar.

Und sie sassen eines Abends,
müde von des "Feldes Arbeit,

Don der Sonne dujcbgeglübet.

Hei einander vor der Hättet
Freuten sieb der sanften Küble,
Freuten sieb der Purpurwolken
Unten tief am Himmelssaum,
tbeilten plötzlich sieb die Ulolken,
Fuhr heraus ein Strablenbündel,
Blendete die beiden lang.

Da sie wieder nun die Bugen
Oeffneten, da schien es ihnen,

Dass sich ferne was bewege,

Schien sich herwärts zu bewegen
Uebers Feld zu ihrer Hütte.

Leicht den Hoden nur berührend,
Kam, wie schwebend, immer näher.
Kam ein Jüngling auf sie zu.

Und es schreckte sie Erinnrung.
Ulie das Blitzen eines Schwertes
Ging ein Glanz von seiner Hechten.
Doch er grüssfe sie mit Lächeln -
„Fürchtet nichts! Ich bin ein Andrer,
Und ich bring’ euch frohe Botschaft.
Gerne mag ich bei euch weilen;
Diedersitz’ ich auf den Baumstamm,
Euer Freund und euer Gast.“

Und sie wollten zu ihm sprechen t
Sassen mit verwirrten Sinnen
Uor dem Himmlischen verstummt.

„Mitleid fasste mich gewaltig,
mich, den menschlichsten der Engel;
Und mir ruhte nicht die Seele,

Bis ich es vom Herrn erlangte,

Dass ich euer Schicksal theile.

Und so kam ich auf die Erde,

Und bei euch nun kehr’ ich ein.

Dass ihr fühlet, wie ich’s meine,
Horchet auf und höret zu!“

Und es klangen goldne Saiten,
Und es sangen Engelslippen t
Und die beiden hörten zu.

Leise kam auf Schattenflügeln
Uebers Feld die Nacht geflogen,
Stieg zum Himmel hoch und höher j
Blickte mit den Sternenaugen
Bus der dunkelklaren UJölbung
märchenhaft und wunderbar.

Und es klangen goldne Saiten,
Und es sangen Engelslippen t
Und die beiden hörten zu.

KJie sie noch so lauschten, wehte
Sie der Bthem an des Engels,

Quoll ein Schöpferhauch erregend
Lief hinein in’s menschenherz.
Fühlten nun die Cebenswelle
Khythmisch durch den Busen Messen
Und die Melodie der Seele
Hegte leise schon die tippen i
Und Gestalten bildend spielte
Phantasie durch ihren Sinn.

traumhaft fing sie an zu weben,
Ulob aus Ahnung und Erinnrung
Golden schimmernd traumgespinsts
Offen wieder stand die Pforte
Des verlornen Paradieses;
morgenglanz erfüllt den Garten,
Drin sie wandeln heimgekehrt.

Himmlisch mild um die Entrückten
tönte durch die klare stille
Sternennacbt des Engels stimme-
„menschenherz, von mir erregtes,
Dichtend sollst du selig werden i
menschenherz, es bleibt dein Engel
treu dir bis zum letzten Schlag.“

Hlbert ffiattbäi

«te Großmutter strickte die Nadel ab, wickelte bedächtig das Strickzeug
zusammen, that die Hornbrille von der Nase, räusperte sich und erzählte

Das MnrleLn vom guten König

„Vor langer, langer Zeit, da lebte einmal weit von hier, im Lande
lleberall und nirgends ein seelenguter König. Er saß auf dem Thron
seiner Väter und dachte an nichts — nur an das Glück seiner llnter-
thanen. Er trug natürlich eine goldene Krone auf dem Haupt; die hatte
viele Zinken, und an jeder Zinke hing ein glänzendes Glöcklein. Wenn
er nun, auch sonst herrlich angethan, durch die Straßen schritt, da klangen
und glitzerten die vielen Glöcklein, daß es eine Lust war, und das Volk
freute sich darüber und alle jauchzten und tanzten und warfen vor lauter
Glückseligkeit das Beste hin, was sie besaßen. Ein paar Hofnarren, des
Königs stete Begleiter, sammelten die Gaben und trugen sie in die Schatz-
kammer des königlichen Palastes. Wenn je einmal einer unter der Menge
Register
E. Kreidolf: Aufforderung zum Tanz
Albert Matthäi: Der Engel der Dichtung
A. Mo.: Das Märlein vom guten König
 
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