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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 6.1901, Band 1 (Nr. 1-26)

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1901

Der Kerkgott des kleinen Friß

von ildenry L. Urban (New-Vork)

ist unbedingt nöthig, diesen drolligen kleinen
El Kerl zu beschreiben. Seine plattdeutsche per-
kunft war unverkennbar. Sie zeigte sich in den
festen Knochen, dem dicken Kopf mit dem soge-
nannten Strohdach von gelben paaren darauf,
den treuherzigen blauen Augen, der Stumpfnase
und der rosigen Gesichtsfarbe. Im Uebrigen war
er klein und rund und dem entsprechend ungeheuer
beweglich. Monn er so vergnügt auf der Straße
vor dem pause seiner Eltern oder in dem kleinen
Pose hinter dem Pause umhcrsprang, der mit
einem Rasenplatz und blühenden Blumen rings-
herum geziert war, so sah es von weitem aus,
als kugelte er über den Boden hin. Die zappel-
igen kleinen Beinchen gewahrte man erst beim
Näherkommen. Obgleich von Geburt Amerikaner,
war er Dank einer vortrefflichen häuslichen Er-
ziehung auch in seinem ganzen Vesen vorläufig
noch völlig deutsch und unamerikanisch. Das be-
wies feine kindliche Unschuld, seine Folgsamkeit
und die Achtung vor Erwachsenen, inochten es
nun die Litern, verwandte oder Fremde sein.
Außerdem ging ihm ein gutes Päppchcn über
Alles. Maren cs zwei gute Päppchcn oder gar
noch mehr, so war ihm das noch lieber. Die
(Dualität allein that's bei seinem gesunden platt-
deutschen Appetit nicht. Aber bei aller Ehrfurcht
vor den Eltern blieb ihm die Respcktperson des
pauscs doch der Vnkel Bernhard mit dein schwär
zeit kurzgeschnittenen Vollbart, der Einem so
forschend durch die goldene Brille bis in's Innerste
zu blicken schien und der ewig eine brennende
Eigarre in einem Mundwinkel hatte.

Dieser Vnkel war Junggeselle und seines Zei-
chens ein hochgeschätzter Chirurg. Er wohnte bei
seinem Bruder, Fritzens Vater, und half nach
Kräften bei Fritzens Erziehung mit und zwar
mit stannenswerthem Erfolge. Mas Niemand
fertig brachte, das gelang diesein ruhigen Vnkel,
der selten viel sprach und dann mit leiser Stimme,
unter dessen äußerer Mürdc sich jedoch ein arger
Schalk versteckte. Er erreichte mit' einem Blick,
wozu die andern Morte gebrauchten. Fritz mochte
eine gute Suppe nicht esse», weil er keinen pnn-
ger hatte. Der Vnkel sah ihn ein einziges Mal
mit seinen ruhigen, durchdringenden Augen seit-

wärts, wie das seine Art war, durch die goldene
Brille an und Fritz hatte punger. Fritz hatte
oft und 'angestrengt darüber nachgedacht, wie das
käme, aber niemals eine Lösung dieser auffälligen
Erscheinung gefunden. Aber gerade durch das
Unlösbare, das Unerklärliche daran ward ihm
der Vnkel um so imposanter. Nun gar wen»
der Vnkel einige Worte an Fritz richtete, bewirkte
er Wunder. Fritz lief zum Beispiel mehr als
»öthig die Treppe hinauf und hinab und störte
dadurch den Vnkel in der Ausübung seiner ärzt-
lichen Thätigkeit. Dann öffnete sich die Thür
zum Sprechzimmer und nur das eine Mort drang
daraus hervor: „Ruhe!" Im Augenblick erstarrte
Fritz zur Salzsäule und es war ihm, als ob ihm
der Blitz in die beweglichen Beinchen gefahren
wäre. Bei einer ähnlichen Gelegenheit hatte ihn
der Vnkel in eine Ecke seines Sprechzimmers
geführt, ein unheimlich glitzerndes japanisches
Schwert hervorgeholt und dann ohne eine Miene
zu verziehen also gesprochen: „Siehst Du dieses
Schwert? Mit diesem Schwert wirst Du in zwei
Thcile geschnitten, gespickt und gegessen, wenn
Du unartig bist. Kehrt! Marsch! Raus!" Als
er draußen war, schmunzelte der Vnkel vergnügt,
aber Fritz war vollkommen überzeugt, daß 'er
keineswegs vor einem so unangenehmen Ende
sicher sei, denn Fritz haM so eine unbestimmte
Ahnung, daß dem Vnkel Zerschneiden von Men-
schen eine Kleinigkeit war, ja sozusagen ein ver-
gnügen. Wozu hatte er sonst alle die gräßlichen
funkelnden Messer in seinem Sprechzimmer, die
Fritz oft mit Schaudern betrachtet hatte? Es
schien überhaupt, als ob des Vnkels ärztlicher
Beruf nicht wenig dazu beitrug, ihn in Fritzens
Augen zu einem ebenso furchterweckenden wie
übermenschlichen Wesen zu machen, Pin und
wieder erzählte der Vnkel nach Art der Aerzte
bei Tisch von sogenannten interessanten Opera-
tionen, die bewirkten, daß Fritz vor Entsetzen aus
den Gänsehäuten gar nicht mehr heraus kam,
die jedoch der Vnkel mit einer Gemüthlichkeit
und einem Lächeln der Befriedigung über sein
Merk vortrug, als handelte es sich um das Zer-
bröckeln einer Kartoffel. Ganz besonderen Lin
druck machte es auf Fritz, als der Vnkel eines
Tages berichtete, wie er einem Menschen den
Leib ausgeschnitten und den halben Magen her-
ausgenommen habe. Das ging Fritz denn doch
über die Putschnur. Der Mund wollte sich ihm

Kometenhaft auf ungemessnen Dahnen
Saust über uns des Schicksals Stunde hin.

Sie naht; wir fühlen es mit dumpfem fChnen;

Das CGCann verschliesst sich jedem COenschensinn.
CCCas sind wir denn? Die armen ninterthanen
Der unbegreiflich hohen Herrscherin.

Doch wenn sie kommt, wir wollen aufrecht stehen
<OCnd unerschrocken ihr in’s ffuge sehen.

Albert Matthäi



s -fr

Ä

Jul. Diez

vor lauter Verblüfftheit nicht wieder schließen,
was — einen halben Magen hatte der Vnkel
Jemandem herausgenommcn, dieses wundersame
Organ, das Fritz als das wichtigste von alle»
betrachtete, viel wichtiger als den Kopf, denn in
diesen Magen kamen doch alle diese schönen Sachen,
die er so gerne trank und aß, das Frucht-Eis,
die Windbeutel mit Schlagsahne, piinbeer Limo
nade, die Bananen, Erdbeeren und was sonst
noch. Nein, nun hörte einfach Alles auf, wenn
nicht einmal der Magen mehr vor diesem Vnkel
sicher war. !lnd die Nacht darauf hatte er einen
furchtbaren Traum: Der Vnkel war mit dem
Schwert gekommen, hatte ihn in zwei Stücke ac
theilt, den Magen herausgenommen, das Innere
mit Kastanien gefüllt, ihn gespickt, dann in eine
große Pfanne gelegt und ihn der Marie, der
Köchin, mit den Worten gebracht: „Pier ist der
pasenbraten für Sonntag." von da an erschien
ihm der Vnkel noch großartiger, noch unbegreif
lichcr als sonst, wahrhaftig, dieser Vnkel war
mehr als andere Menschen, die er kannte. Er
erzählte die Geschichte mit dem Magen seinen
Kameraden auf der Straße, aber die lachten ihn
aus und sagten, so etwas gäbe es nickt, ^Doch
Fritz lächelte überlegen und dachte sich scin Thcil!

Immer höher stieg der Vnkel in seiner Schätz
ung, gleichsam immer weiter fort von der Erde
und näher den Wolken. Vst würdigte ihti dieser
übernatürliche Vnkel der Ehre, mit ihm im Park
spazieren gehen zu dürfen. Dann stellte Fritz die
berühmten Fragen, mit denen Kinder Erwachsene
zur Verzweiflung zu bringen pflegen. Nur den
Vnkel brachte es nicht zur Verzweiflung. „Vnkel,"
fragte er, „holt der Klaxperstorch die kleinen
Kinder aus dem Wasser?"

„Jawohl!"

„Aber wie kommen sie herein?"

„Der Storch legt ein Ei im Wasser und dann
kommt Dein Papa und brütet es aus und bringt
es der Mama."

„Vnkel, bist Du and; ausgcbrlltet worden?"

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Register
Albert Matthäi: Der Komet
Henry F. Urban: Der Herrgott des kleinen Fritz
Julius Diez: Zeichnung zum Gedicht "Der Komet"
 
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