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Nr. 1

JUGEND .

1SS1

»Nein, Fritz, ich — ich habe mich selber
ausgebrütet!"

Zwar wich diese Darstellung bedeutend von
der gewöhnlichen ab, besonders die Darstellung
von der Erschaffung des Dnkels. Aber es würde
wohl schon so sein. Und dann — ein Wesen
wie der Bnkel mußte natürlich seine ganz
besondere Art der Entstehung haben, das war
klar. Es leuchtete Fritz vollkommen ein und
beschäftigte ihn geraume Zeit, bis er die nächste
Frage fertig hatte.

„Bnkel, warum ist der Pimmel bla» ?"

Und abermals erwiderte der Bnkel würde-
voll, indem er eine neue Rauchwolke von sich
blies: „Ich habe ihn blau angestrichen."

Fritz blickte ihn forschend von der Seite an.
Das schien ihm doch etwas ungeheuerlich, aber
wie gesagt, deni Bnkel war Alles zuzutrauen.

Dieser blinde Glaube an des Dnkels All-
macht zeitigte bei Fritz die absonderlichsten
Früchte, mit denen er eines Ulittags die Tisch-
gesellschaft ebenso verblüffte wie erheiterte. Fritz
ging noch nicht zur Schule und genoß noch
keinerlei Religionsunterricht. Er hatte bisher
nur so eine unbestimmte Vorstellung gehabt
von einem sehr klugen und geheimnisvollen
Mann, der Alles hatte entstehen lassen, ein-
schließlich der Lhocoladeplätzchen, der Bananen
und der Kuchen mit Schlagsahne. An diesem
Mittag, als das Essen vorüber war, steckte der
Bnkel die übliche Ligarre an und nahm sich
daraus Fritz vor, um ihn in allerlei Dingen
zu eraminiren, wie er das oft zu thun pflegte.
Er fragte, wie viel zwei mal zwei wäre, wie
der erste Präsident der vereinigten Staaten
hieße, wie viel Cents der Dollar besitze. Alles
wußte Fritz. „Und wer hat die Welt er-
schaffen?" fragte der Bnkel zuletzt. Und ohne
sich einen Augenblick zu besinnen, antwortete
Fritz aus tiefster Ueberzeugung: „Du!" Alles
lachte und blickte auf den Bnkel, um zu sehen,
was er dazu sagen würde. In des Bnkel
Augen leuchtete es schalkhaft, wie er Fritz von
der Seite ansah, dann erwiderte er ernsthaft:
„Stimmt! Du darfst Nachmittag auf Deinem
Dreirad fahren!" Seine Autorität aufgeben?'
Fiel ihm nicht im Traume ein. Ucberdies,
die Rolle des lieben Herrgotts gefiel ihm über
die Maßen. So weit hatte es noch Keiner in
seiner Familie gebracht. Also ließ er Fritz dabei.

Natürlich konnte es nicht lange dauern,
bis Fritzens Glauben an den Bnkel arge»
Anfechtungen ansgeseht war. von andrer Seite
suchte man ihm begreiflich zu machen, daß der
Bnkel ein Spaßvogel wäre, der ihn znm Nar-
ren hielte. Besonders die fromme Großmama
gab sich alle Mühe, den Bnkel zn entthronen.
Sie erzählte Fritz im Vertrauen, wer in Wahr-
heit die lvelt erschaffen hätte und wie das ge-
wesen wäre, und Fritz wurde wirklich nach und
nach schwankend. Ls schien da Jemand zu
sein, der noch mehr konnte als der Bnkel.
Aber wer war das? Wie hieß er? Wo wohnte
er? Dem schon merklich nach dem Realen
suchenden plattdeutschen verstände des kleinen
Fritz gab Nichts auf diese Fragen befriedi-
gende Antwort. Der Großmama hatte Fritz
einmal eine seiner berühmten Fragen vorgelcgt.
„Großmama, was ißt der liebe Herrgott?"
Die Großmama gerietst in böse Verlegenheit
Schließlich sagte sie: „Nichts ißt er, er braucht
überhaupt nichts zu essen." Das war die denk-
bar unglücklichste Antwort, die sie Fritz cr-
theilen konnte. Im Punkte des Essens, wie
inan weiß, verstand er keinen Spaß. Lin Wesen,
das lebte und nichts aß — so etwas vermochte
er sich nicht vorzustellen. Und dann — so oft
er an den lieben Gott dachte, nahm dieser un-
willkürlich immer die Züge vom Bnkel Bern-
hard an, er hatte einen finsteren Bart, trug
eine goldene Brille und hatte in einem Mund-
winkel eine brennende Ligarre. Zuletzt wußte
Fritz nicht aus noch ein. Wer hatte den kfim-

Karl Soffel (München)

mel blau angestrichen, wer hatte die Welt er-
schaffen — der Bnkel oder der Andere? Es
war ein regelrechter Kampf um das Dasein,
den die Beiden in Fritzens Geist mit einander
ausfochten. Mitten in all diesen Zweifeln und
Wirrnissen geschah etwas Ungewöhnliches. In
dem kleinen grünen Gartenhof hinterm Pause
lebte ein Laubfrosch, der vergnügt zwischen den
Gladiolen und Rhododendrons umherhüpfte.
Er war ein Geschenk des Dnkels an Fritz und
wurde des Kindes Liebling. Sein Name war
Mc Kinley, weil er, wie der Bnkel behauptete,
eine auffallende Aehnlichkeit mit den: Präsiden-
ten hatte. Um diese Zeit weilte im Pause ein
Bekannter der Familie zu Gaste, der ein fana-
tischer Blumenfreund war und sich aus eige-
ner Machtvollkommenheit znm Gbergärtner
von Gottesgnaden ernannt hatte. Jede freie
Minute benutzte er dazu, Raupen todtzntreten
und zur Verzweiflung der bekanntlich höchst
konservativen Regenwürmer mit einer eisernen
Parke den Boden aufzuwühlen. Es war wirk-
lich kein Vergnügen mehr, ein Regenwurm
zu sein. Dieser parkenbold machte sie ganz
nervös. Bei einer solchen Bodenlockerung ge
schah es nun, daß der Unmensch den: arme»
Mc Kinley, der regungslos unter einer feuer-
rotsten Salvia saß und nach fetten Fliegen
schielte, eine der eisernen Zinken seiner parke
in den Leib schlug. Erst als der Frosch vor
Schmerz in die pöhe sprang und dann hin
und her zappelte, bemerkte der Bbergärtner,
was er angerichtet hatte. Den: unglückliche»
Mc Kinley orangen aus einer klaffenden Wunde
die Gedärme heraus. „Erstirbt!" schrie Fritz,
der dazu gekommen war. Und völlig anßci
sich über das Unglück, das seinen geliebte»
Frosch betroffen hatte, lief er mit dem Ruf:
„Bnkel, mein Frosch ist todt!", so schnell ihn
seine Beinchen tragen wollten, in's pans. De,
Bnkel kam, sah sich mit medicinischeni Ernst
Mc Kinley an und meinte gelassen: „Der stirb:
noch lange nicht. !vir werden ihm den Bauch
znnähen!" Und unter vorantritt Fritzens, der
sich auf ein neues Ivunder von Seiten des
übernatürlichen Dnkels vorbereitete, ging cs
in das Sprechzimmer des Dnkels. Pier nahm
der Bnkel feine weiße Seide, fädelte sic in eine
glitzernde krumme Nadel, stopfte Mc Kinley
die Gedärme in den Leib und nähte das Loch
mit einigen gewandten Stichen wieder zu, ganz
ebenso, als ob die Mama Fritz einen poscn-
knopf annähte. Dann trug er den Patienten
in den Garten zurück, wo er ihn im kühlen
Schatten eines breitblättrigen Elephanten-Bhrr
niederschte. Starr vor Staunen hatte Fritz
der Dperation zugesehen. Sein ganzes Denken
drehte sich von nun an um seinen Frosch. Den
nächsten Morgen war es sein erstes, nach Mc
Kinley zu sehen, ob er noch am Leben sei.
Er fapd ihn lebendig, ruhig in einer kühlen
Ecke sitzend, und lief sofort zum Bnkel, ihm
davon Meldung zu machen. „Bnkel," rief er
schon von weitem, „er ist ganz gesund, nur
etwas blaß sieht er aus!" Jeden Morgen
kam der Bnkel nach der Sprechstunde, um
nach seinem Patienten zu sehen, immer beglei-
tet von Fritz. Und wahrhaftig, eines Mor-
gens unterwarf der Bnkel Mc Kinley einer
letzten sorgfältigen Untersuchung, schnitt die
Seidenfäden auf, zog sie heraus und erklärte
den Frosch für völlig hergestcllt. „prachtvoll
verheilt!" sagte er mit der Befriedigung des
Lhirurgen über eine gelungene Bperätion.
Und er zeigte den Frosch dem kleinen Fritz.
Nichts war zu sehen, nicht einmal eine Narbe.
„Vas ponorar," fügte der Bnkel hinzu, „wol-
len wir ihm in Gnaden erlassen!" und er
setzte Mc Kinley in's Gras, wo dieser mit
langen Sähen davonsprang. Das war ein
Triumph Bnkel Bernhards nicht bloß in
chirurgischer Beziehung. Er hatte über seinen
Konkurrenten, der ebenfalls die Welt er-

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Karl Soffel: Zierleiste
 
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