Nr. 1
- JUGEND
1901
schaffen haben wollte, vollkommen gesiegt, von
nun an stand es bei Fritz unerschütterlich fest,
daß es der Gnkel war, der die Welt erschaffen
und den ksimmel blau angestrichen hatte — der
Gnkel, der Menschen den Magen Herausnahm
ohne daß sie starben und der auf den Tod verwnn-
deten,fröschen den Bauch zunähte und das Leben
schenkte. Alle versuche der Großmama, ihn andern
Linncs zu machen, schlugen fehl, „lvozu ihm seinen
Glauben nehmen?" meinte der siegreiche Gnkel
lächelnd. „Ts kommt ja auf Eins heraus. Eines
Tages wird er doch hinter die Wahrheit kommen
und mich absetzen und dann habe ich meinen Zweck
so gut erfüllt wie irgend ein anderer tserrgott.
Also laßt mir doch das Vergnügen!"
VerscKieclene MrKung
Die Brust noch keuchend von dem tollen Zagen
Und doch so frei und so von Stolz geschwellt.
Als ob der Sturmwind mich empor getragen.
So steh’ ich droben in der Bergeswelt.
Die Arme schling’ ich um des fiüttchens Balken
Und freue mich der trotzigen Gewalt
Des Windes, der gleich einem Ulanderfalken
Die Tange mir in haar und Kleider krallt.
Ich seh' die Ebene sich schimmernd dehnen.
Des Tlusses Band, das fern im Osten blinkt,
Dahinter blaue, duft’ge Bergeslehnen.
Den Sonnenball, der in die Liefe sinkt...
Den Bimmel seh’ ich, klar und unermessen,
Die weisse Ulolke, die gen flbend zieht,
Und wie mein Berz, der Erde ganz vergessen,
In s Ulunderreich der Ewigkeit entflieht —
Da lehnt sich neben mir 'was auf die Brüstung
Und spricht im Cone sittlicher Entrüstung:
„Es zieht..,!“
Hnna Ritter
Gedanken
Nicht jede Zunge gilt einen Arm.
Geistreich nennt man einen Menschen, der
mehr Gedankenscheine ausgibt, als er Metall
im Depot hat. präsentire ihm all’ seine Zettel
zur Zahlung und er wird bankerott!
warum sich in der Wissenschaft die Leute
so rasch nach einem neuen Stoss dränge»?
weil er die billigste Bezugsquelle für neue
Gedanken zu sein scheint.
211s ich jung war. hielt ich, wenn ich etwas
Gelesenes nicht gleich verstand, mich für den
Esel; jetzt den Schreiber.
Es gibt Leute, die sich nicht anders gesellig
zusammenfinden können, als wie die Dorfweiber
des Samstag 21bends am Bach — um ihre
schmutzige Wäsche zu waschen.
Max von Seydel
Cin Fehltritt
üersieht wird die mutter der Weisheit genannt,
Den Uater der Weisheit hat niemand gekannt;
Daraus doch folget sonnenklar.
Dass die Vorsicht auch einmal unvorsichtig war.
v. Oe.
ZuaTpruch
Zsa, sagt’s ma nc, was ts denn des
Bei uns seit neista Zeit
Gar für a Camenttereret
Lind für a Zwtdrtgkeit?
Mer d’Ceit so disebkurteren hört
flßitnand, der tnoanet frei,
Dass nimma zun damacben war
Vor lauter Ctrannei.
Nix als was Glend propbezeigns
Lind nix als wiea fßalör —
Mar guat, ma tbat sein Padri sebnürn
Und ganget übers Meer.
H bissei eppes is sebo dran,
Mas wahr is muass ma sag’n,
H ganz hloans wengl a frisebre Cuft
Kunnt oana leicht vertragt,.
Ss dearfts a, wenn enk was net passt
Vo mir aus aufbegebrn
Und enk af d’füess stellt,, aba net
Mia d’^atsebenkinder plcrrn.
D'Melt bat sie schon vo jeher drabt
Und drabt sie a no beint;
Drum muass’s halt diamal finsta wem,
Bis d’Sunna wieda scheint.
Hs Metta is bal fein, bal grob,
Da Ulind gebt wia ’r a gebt,
Und Drotteln bats alleweil sebo gehn
Und Spitjbuam — eppa net?
Ulenns beint a bissei schlechter is
H!s gestern — Sapprament!
Verhungern wem ma do net glei
Und wem net glei verbrennt!
Hä! Gott verlasst koan Deitscben net.
Drum babts a biss’l a Schneid
Und lasst’s mer an Fjamur net aus,
Des sag enk — sunst is s g’feit.
Das Münchner Kindl
Der jour fixe
„Also es ist recht, Annerl, wenn Du es durch-
aus willst, so richten wir einen jour tixs ein. Es ist
auch ganz gut: denn dann braucht man nicht immer
die Soupers zu geben, die so lange dauern und von
denen schließlich doch nur die Marie etwas Hat."
„Schön, Mama, aber recht bald fangen wir
an, und der Oberleutnant Alt wird auch einge-
laden, gelt?"
„Gewiß, mein Kind."
Dies Gespräch leitet durchaus keine Novellette
ein und deshalb braucht auch kein Mensch weiter-
zulesen, der glaubt, ich wollte die Schicksale An>
nerls erzählen, oder gar eine Komplikation durch
eine Liebcsaffaire schildern. Was ich „Annerl"
nenne, kann auch Kätherl heißen, und der Leut-
nant Alt kann auch Leutnant Kindlich heißen. Die
ganze Geschichte aber spielt in einer großen deut-
schen Stadt und ist ganz alltäglich, weshalb sich
Nieniand getroffen zu fühlen braucht, auch nicht
die Mutter des Annerl, für die ich in einem alten
Adreßbuch zufällig den Namen von Staffen ge-
sunden habe. Frau von Staffen ist sehr reich;
, sie gehört zu den Frauen, die auch nicht früher
einmal sehr schön gewesen sein müssen, die ihren
Mann vorzeitig verloren haben, so daß sie die
Kinder allein hatte erziehen müssen. Ihre Tochter
ist auch nicht sehr schön; immerhin aber ist sie das,
was mein lieber Freund „neckisch" nennt. Danach
wird sich der freundliche Leser wohl das Weitere vor-
stellen können. Frau von Staffen hat auch mei-
stens noch zwei oder drei Söhne. (Man vergesse
nicht, daß Frau von Staffen keine Person, sondern
nur einen Typus darstellt.) Die Söhne sind ganz
Nebensache, weil noch niemals eine Mutter auf den
verrückten Gedanken gekommen ist, ihrer männliche»
Descendenz wegen einen jönr tixs zu veranstalten.
Der jour tixs ist fast immer dazu da, die Tochter
oder Töchter an den Mann zu bringen. Mein Gott,
so ein Ball, wo man nur zwei Touren mit einem
Herrn tanzen darf, oder das Theater, oder die
Kegelbahn, oder das Museum, das macht es nicht.
Wenn man sich verloben will, muß man eine feste
Unterlage haben, sozusagen etwas Konsistentes,
Wöchentliches, Mehrstündiges. Wenn cin jour tixs
nur zur Unterhaltung eingerichtet wird, ist es kein
„richtiger" jour tixs. —
Die gute Dame hatte eine Wohnung von fünf
Zimmern, die sie im Gegensatz zu der vierzimmer-
igen Wohnung ihrer lieben Nachbarin jedem Be-
sucher als „größere Wohnung" vorzustellen pflegte.
Von diesen fünf Zimmern sind zwei für den jour
üxs nicht zu verwenden, weil es die Schlafzimmer
der Mutter und ihrer Söhne sind. Die drei anderen
Zimmer müssen nun hcrgerichtet werden.
Da? ist leichter gesagt, als gethan. Heutzutage
will jeder was Modernes haben, und wenn es nur
eine grüne Tapete mit großblumigem Muster oder
ein Lehnstuhl ist, auf dem man sich's doch nicht
bequem machen kann. Frau von Staffen aber
wollte mehr thun, denn sie war reich. Ihr Mo-
biliar aber war altmodisch, bis auf einen großen
Divan mit blangelb ornamentirtem Plüschbezug,
den Annerl zu Weihnachten bekommen hatte, ferner
eine venetianische Gondel aus Blech, die neben
einer Beethovenbüste aus Bisquit lag, ferner einen
amerikanischen Dauerbrand-Regulirofen, mit einem
prachtvoll lackirten Ofenschirm, gleichfalls aus
Blech, und schließlich das bekannte Bild von Sichel:
die Bettlerin vom Pont des Arts. — Ja, das
war alles modern, aber Frau v. Staffen war sich
darüber klar, daß ihre Einrichtung noch moderner
sei» müßte-
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schaffen haben wollte, vollkommen gesiegt, von
nun an stand es bei Fritz unerschütterlich fest,
daß es der Gnkel war, der die Welt erschaffen
und den ksimmel blau angestrichen hatte — der
Gnkel, der Menschen den Magen Herausnahm
ohne daß sie starben und der auf den Tod verwnn-
deten,fröschen den Bauch zunähte und das Leben
schenkte. Alle versuche der Großmama, ihn andern
Linncs zu machen, schlugen fehl, „lvozu ihm seinen
Glauben nehmen?" meinte der siegreiche Gnkel
lächelnd. „Ts kommt ja auf Eins heraus. Eines
Tages wird er doch hinter die Wahrheit kommen
und mich absetzen und dann habe ich meinen Zweck
so gut erfüllt wie irgend ein anderer tserrgott.
Also laßt mir doch das Vergnügen!"
VerscKieclene MrKung
Die Brust noch keuchend von dem tollen Zagen
Und doch so frei und so von Stolz geschwellt.
Als ob der Sturmwind mich empor getragen.
So steh’ ich droben in der Bergeswelt.
Die Arme schling’ ich um des fiüttchens Balken
Und freue mich der trotzigen Gewalt
Des Windes, der gleich einem Ulanderfalken
Die Tange mir in haar und Kleider krallt.
Ich seh' die Ebene sich schimmernd dehnen.
Des Tlusses Band, das fern im Osten blinkt,
Dahinter blaue, duft’ge Bergeslehnen.
Den Sonnenball, der in die Liefe sinkt...
Den Bimmel seh’ ich, klar und unermessen,
Die weisse Ulolke, die gen flbend zieht,
Und wie mein Berz, der Erde ganz vergessen,
In s Ulunderreich der Ewigkeit entflieht —
Da lehnt sich neben mir 'was auf die Brüstung
Und spricht im Cone sittlicher Entrüstung:
„Es zieht..,!“
Hnna Ritter
Gedanken
Nicht jede Zunge gilt einen Arm.
Geistreich nennt man einen Menschen, der
mehr Gedankenscheine ausgibt, als er Metall
im Depot hat. präsentire ihm all’ seine Zettel
zur Zahlung und er wird bankerott!
warum sich in der Wissenschaft die Leute
so rasch nach einem neuen Stoss dränge»?
weil er die billigste Bezugsquelle für neue
Gedanken zu sein scheint.
211s ich jung war. hielt ich, wenn ich etwas
Gelesenes nicht gleich verstand, mich für den
Esel; jetzt den Schreiber.
Es gibt Leute, die sich nicht anders gesellig
zusammenfinden können, als wie die Dorfweiber
des Samstag 21bends am Bach — um ihre
schmutzige Wäsche zu waschen.
Max von Seydel
Cin Fehltritt
üersieht wird die mutter der Weisheit genannt,
Den Uater der Weisheit hat niemand gekannt;
Daraus doch folget sonnenklar.
Dass die Vorsicht auch einmal unvorsichtig war.
v. Oe.
ZuaTpruch
Zsa, sagt’s ma nc, was ts denn des
Bei uns seit neista Zeit
Gar für a Camenttereret
Lind für a Zwtdrtgkeit?
Mer d’Ceit so disebkurteren hört
flßitnand, der tnoanet frei,
Dass nimma zun damacben war
Vor lauter Ctrannei.
Nix als was Glend propbezeigns
Lind nix als wiea fßalör —
Mar guat, ma tbat sein Padri sebnürn
Und ganget übers Meer.
H bissei eppes is sebo dran,
Mas wahr is muass ma sag’n,
H ganz hloans wengl a frisebre Cuft
Kunnt oana leicht vertragt,.
Ss dearfts a, wenn enk was net passt
Vo mir aus aufbegebrn
Und enk af d’füess stellt,, aba net
Mia d’^atsebenkinder plcrrn.
D'Melt bat sie schon vo jeher drabt
Und drabt sie a no beint;
Drum muass’s halt diamal finsta wem,
Bis d’Sunna wieda scheint.
Hs Metta is bal fein, bal grob,
Da Ulind gebt wia ’r a gebt,
Und Drotteln bats alleweil sebo gehn
Und Spitjbuam — eppa net?
Ulenns beint a bissei schlechter is
H!s gestern — Sapprament!
Verhungern wem ma do net glei
Und wem net glei verbrennt!
Hä! Gott verlasst koan Deitscben net.
Drum babts a biss’l a Schneid
Und lasst’s mer an Fjamur net aus,
Des sag enk — sunst is s g’feit.
Das Münchner Kindl
Der jour fixe
„Also es ist recht, Annerl, wenn Du es durch-
aus willst, so richten wir einen jour tixs ein. Es ist
auch ganz gut: denn dann braucht man nicht immer
die Soupers zu geben, die so lange dauern und von
denen schließlich doch nur die Marie etwas Hat."
„Schön, Mama, aber recht bald fangen wir
an, und der Oberleutnant Alt wird auch einge-
laden, gelt?"
„Gewiß, mein Kind."
Dies Gespräch leitet durchaus keine Novellette
ein und deshalb braucht auch kein Mensch weiter-
zulesen, der glaubt, ich wollte die Schicksale An>
nerls erzählen, oder gar eine Komplikation durch
eine Liebcsaffaire schildern. Was ich „Annerl"
nenne, kann auch Kätherl heißen, und der Leut-
nant Alt kann auch Leutnant Kindlich heißen. Die
ganze Geschichte aber spielt in einer großen deut-
schen Stadt und ist ganz alltäglich, weshalb sich
Nieniand getroffen zu fühlen braucht, auch nicht
die Mutter des Annerl, für die ich in einem alten
Adreßbuch zufällig den Namen von Staffen ge-
sunden habe. Frau von Staffen ist sehr reich;
, sie gehört zu den Frauen, die auch nicht früher
einmal sehr schön gewesen sein müssen, die ihren
Mann vorzeitig verloren haben, so daß sie die
Kinder allein hatte erziehen müssen. Ihre Tochter
ist auch nicht sehr schön; immerhin aber ist sie das,
was mein lieber Freund „neckisch" nennt. Danach
wird sich der freundliche Leser wohl das Weitere vor-
stellen können. Frau von Staffen hat auch mei-
stens noch zwei oder drei Söhne. (Man vergesse
nicht, daß Frau von Staffen keine Person, sondern
nur einen Typus darstellt.) Die Söhne sind ganz
Nebensache, weil noch niemals eine Mutter auf den
verrückten Gedanken gekommen ist, ihrer männliche»
Descendenz wegen einen jönr tixs zu veranstalten.
Der jour tixs ist fast immer dazu da, die Tochter
oder Töchter an den Mann zu bringen. Mein Gott,
so ein Ball, wo man nur zwei Touren mit einem
Herrn tanzen darf, oder das Theater, oder die
Kegelbahn, oder das Museum, das macht es nicht.
Wenn man sich verloben will, muß man eine feste
Unterlage haben, sozusagen etwas Konsistentes,
Wöchentliches, Mehrstündiges. Wenn cin jour tixs
nur zur Unterhaltung eingerichtet wird, ist es kein
„richtiger" jour tixs. —
Die gute Dame hatte eine Wohnung von fünf
Zimmern, die sie im Gegensatz zu der vierzimmer-
igen Wohnung ihrer lieben Nachbarin jedem Be-
sucher als „größere Wohnung" vorzustellen pflegte.
Von diesen fünf Zimmern sind zwei für den jour
üxs nicht zu verwenden, weil es die Schlafzimmer
der Mutter und ihrer Söhne sind. Die drei anderen
Zimmer müssen nun hcrgerichtet werden.
Da? ist leichter gesagt, als gethan. Heutzutage
will jeder was Modernes haben, und wenn es nur
eine grüne Tapete mit großblumigem Muster oder
ein Lehnstuhl ist, auf dem man sich's doch nicht
bequem machen kann. Frau von Staffen aber
wollte mehr thun, denn sie war reich. Ihr Mo-
biliar aber war altmodisch, bis auf einen großen
Divan mit blangelb ornamentirtem Plüschbezug,
den Annerl zu Weihnachten bekommen hatte, ferner
eine venetianische Gondel aus Blech, die neben
einer Beethovenbüste aus Bisquit lag, ferner einen
amerikanischen Dauerbrand-Regulirofen, mit einem
prachtvoll lackirten Ofenschirm, gleichfalls aus
Blech, und schließlich das bekannte Bild von Sichel:
die Bettlerin vom Pont des Arts. — Ja, das
war alles modern, aber Frau v. Staffen war sich
darüber klar, daß ihre Einrichtung noch moderner
sei» müßte-
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