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Nr. 2

Ein Wüstling

von R a o u l A u e r n h e i m e r

DjTlä der junge Doktor Spreckelmeyer von Prag
«E nach Wien kam, um hier einen Posten im Rechts-
bureau einer Bahn anzutreten, hatte er noch keine
Ahnung davon, daß er eigentlich ein Wüstling sei.
Denn von Haus auS war er eine kreuzbrave und
ehrliche Haut und dazu geboren, ein sanfter Phili-
ster zu werden. Er war ein kleiner und ungemein
höflicher Mann, der sich jeden zweiten Tag rasiren
lieh, der tiefausgeschnittene, ehrbar dunkle Gilets trug
und feingefältelte Hemdbrüste mit sinnigen weihen
Stickereien an den Rändern. Zu seinen Jugend-
streichen gehörte es, dah er einmal ohne Handschuhe
über den Wenzelplatz in Prag gegangen war, und
Schulden hatte er in seinen belvegtesten Studenten-
tagen keine größeren gemacht, als er mit seinem
noch nicht fälligen Monatsgelde bezahlen konnte.
So wäre Spreckelmeyer eigentlich dazu geschaffen
gewesen, ein paar Jahre in Wien aus honette Art
zu sumpfen, bis es ihm sein größerer Jahresgehalt
erlaubt hätte, ein seines Mädchen mit einigem Gelde
zu heirathen, einen Hausstand zu gründen, die Pho-
tographien seiner Kinder in der Brieftasche zu tragen
und leichtsinnige Schwäger und Vettern aus den
Pfad der Tugend zurückzulenken.

Allein seine Wiener Freunde halten es anders
beschlossen. Der Victor, der Rudi, und wie sie aüe
heihcn mochten, das waren lauter moderne, junge
Leute, phantasievolle, geniale Menschen, Herrennatu-
ren, die Mädchen und Frauen dutzendweise verführ-
ten oder es doch wenigstens behaupteten, — mit
einem Worte: Wüstlinge. In diesem Kreise galt es
als die ärgste Schande, auf Jours oder Bälle zu
gehen oder Einladungen zu Hochzeiten, Leichen-
begängnissen oder auch nur Familiendiners anzu-
nehmen, kurz, in der guten Gesellschaft zu verkeh-
ren. Ihm, Spreckelmeyer, war dieser Standpunkt
eigentlich unverständlich. Denn er hatte in den ge-
heimsten Gründen seiner Seele eine unüberwind-
liche Vorliebe für die gute Gesellschaft, insbesondere
für die Mädchen und Frauen der guten Gesell-
schaft. Der seine Klang des Tafelgeschirres bei de»
Soupers in den besseren Häusern berauschte ihn, und
es entzückten ihn diese jungen Damen der seinen
Gesellschaft, die, ohne gerade über eine sehr hitzige
Seelentemperatur zu verfügen, doch eine Chopin'sche
Mazurka nach dem Abendessen mit Anstand vor-
tragen konnten, citronengelbe französische Bücher
lasen und im Sommer in Gmunden in feingestreiften
Seidenblusen mit weihen Händen Lawn-Tennis
spielten .... Wäre es nach ihm gegangen, solch'
ein Mädchen wäre seine Frau geworden.

Aber seinen Freunden zu liebe wurde er ein
Wüstling. Denn Spreckelmeyer war ein weicher
Charakter, aus den jedes Vorbild einen zwingenden
Einfluß übte und der immer, wenn jemand seiner
Meinung energisch widersprach, ganz im Geheimen
dachte: Eigentlich hat er Recht. Und gerade diese
gute Gesellschaft, die im Geheimen das Ideal seiner
Prager Seele war, verabscheute» und verspotteten
seine Freunde. Und von diese» jungen Damen mit
den angenehmen Mitgiften, die Chopin vom Blatt
spiele» und französisch parliren, brauchten sie nur
zu hören, um vor Aergcr und Abscheu außer sich
zu gerathcn.

So kam der Spreckelmeyer bald dahin, die anstän-
digen Häuser, an die er aus Prag Empfehlungen mit-
gebracht hatte, nur noch ganz heimlich zu besuchen,
zur Nachtzeit, mit aufgestelltem Kragen, und schließ-
lich, weil ihm die Gefahr, gesehen zu werden, doch
zu groß war, ganz zu meiden. Hingegen richtete
der Viktor seinem „Mädel", einer kleinen Blumen-
macherin von der Mariahilfer-Hauptstraße, um diese
Zeit ein behagliches Nestchen in der Salesianer-
gasse ein, wo er und seine angenehme Hausfrau Be-
suche empfingen. Dahin kamen auch die übrigen
Wüstlinge, jeder mit seinem „Mädel", Consectionaiseft
und Putzmacherinnen aus der Vorstadt, der Rudi
aber alle 14 Tage mit einer andern, denn der Rudi
war sehr unstet. — Und auch der Spreckelmeyer
durste kommen und zuschauen.

Er durste auch zuhören. Insbesondere der Rudi
brauchte einen solchen Resonnanzboden für die Me-
lodieen seines Lebens, ein Publikum für seine Er-
lebnisse. Was dieser Rudi alles erlebte!! Beim
blohen Zuhören gingen dem Spreckelmeyer die Augen
über. Alle leichtsinnigen jungen Leute von Prag
zusammengenommen erlebten sicherlich nicht so viel
als dieser Rudi ganz allein. Er hatte ein fabel-
haftes Glück bei den Weibern, es war einfach zum
neidisch werden. Da geht er zum Beispiel eines
Tages ohne jede böse Absicht durch die Alscrstraße
am Krankenhaus vorüber. Bei der Station der
elektrischen Bahn füllt ihm ein junges bildschönes
Mädchen auf, das soeben in der zärtlichsten Weise
von einem jungen Manne Abschied nimmt. Der
schöne Rudi bleibt stehen, wie dies seine Gewohn-
heit ist in solchen Fällen, und wartet, bis der junge
Mann in den Tramwaywagen steigt und unter den
Winken seiner Geliebte» davonfährt. Hierauf folgt
der Rudi dem schönen Mädchen, das den Heimweg
einschlägt und stellt sich ihr vor. Die junge Dame,
sichtlich erfreut, einen so freundlichen Herrn kennen
zu lernen, erzählt ihm, der Herr, den sie soeben
geküßt, sei ihr Verlobter gewesen, und im weiteren
Verlauf des Gespräches fährt sie dann mit dem
schönen Rudi nach Schönbrunn, wo sie im Tivoli
bis spät Abends beisammensitzen und bei einer Flasche
Wein den fernen Verlobten leben lassen.... Und
das ist nur ein Fall sür viele.

In Spreckelmeyers frommer Seele erwachte beim
Anhören solcher Geschichten ein böser Neid: Warum
sollte gerade er nichts erleben? Warum sollte ge-
rade er nicht mit der Braut eines anderen nach
Schönbrunn fahren? Er empfand das wie eine un-
billige Zurücksetzung. Und mit der Gereiztheit des
unterdrückten Provinzlers sagte er sich: das muß
anders werden. Er wird ein Wüstling werden wie
seine Freunde! Er wird ein Verhältniß haben ivie
seine Freunde. Es ist ja auch wirklich nicht so schwer,
ein Verhältniß zu haben in Wien — überhaupt »ach
modernen Begriffen. Täglich zwischen sieben und
acht am Abend gehen tausende von Wiener Mädeln
über die Mariahilfer-Hauptstraße, die nur daraus
warten, von ihm, dem Doktor Spreckelmeyer aus
Prag, angesprochen zu werden. So hat ja auch der
Viktor seine Blumenmacherin aquirirt, so wird auch
er, Spreckelmeyer, seine künftige Geliebte kennen
lernen. Dann wird er „ein Mädel" haben wie die
anderen, und wird nicht mehr allein zu den gemüth-
lichen Abenden in der Salesianergasse zu kommen
brauchen. Und dann braucht er nur noch mit diesem
Mädel zu brechen, nach einiger Zeit, und mit einer
andern anzufangen, und sein Ruf als Wüstling ist
begründet. Ist das nicht einfach? . .. Was das
Brechen anbelangt, so hatte er allerdings eine riesige
Angst davor, denn er war eine so ungemein sanfte
Natur. Nichts war ihm so schrecklich, als wenn er
Leuten gegenüberstand, die die Augen aufrissen, leb-
hafte Geberden machten oder gar schrieen. In solchen
Augenblicken konnte man mit ihm machen, was man
wollte, das wußte er. Und schreien, das thun ja
wohl die meisten Frauen, wenn man mit ihnen
bricht . . . Aber zum Glück hatte er Beispiele im
Brechen. Er erspart sich ja überhaupt die halbe
Arbeit, weil er so erfahrene Freunde hat. Er wird
einfach brechen wie Freund Rudi bricht. Der Rudi,
der ist ein Spezialist im Brechen. Oft und oft
schilderte er, wie er dabei vorging. Er wartete einen
schönen Tag ab, und dann machte er mit der Be-
treffenden, mit der er gerade brechen wollte, einen
Ausflug ins Grüne. Er ließ sich nichts merken
von dem was in seinem Innern vorging, und das
gelang ihm auch immer. Er trank nlit der Geliebten
einen Kaffee, und nur er wußte, daß dies der letzte
Kaffee sein wird, den sie zusammen trinken iverden,
während sie — was kann man wissen — vielleicht
darauf rechnete, noch den ganzen nächsten Monat
mit ihm Kaffee zu trinken... Es liegt eine tiefe
Melancholie in solch' einer letzten Jause, man muß
das kennen. Dann, aus dem Heimwege, drei Schritte
vor ihrem Hausthor, bricht der Rudi. Er sagt ihr,
alles sei aus, er würde sie nie mehr Wiedersehen.
Gründe gibt er nicht an. Wenn sie nach dem Grunde

fragt, so sagt er, sie gefalle
ihm nicht mehr, eine andere
gefalle ihm besser, er sei eine «$-.7; , -. %

Herrennatur.. Und wenn ihr
auch das nicht genügt, so läßt
er sie einfach stehen. So bricht
der Rudi. So bricht man im
zwanzigsten Jahrhundert. So
wird auch der Spreckelmeyer
brechen, er war dazu entschlos-
sen, — er wußte nur noch nicht
genau, mit wem. 'Aber das
wird sich finden.

Auf der Mariahilser-Haupt-
straße fand es sich eines Abends
zwischen sieben und acht, wie
er es sich vorgenommen hatte.

Allerdings nicht nach zwei,
drei Tagen wie er gehofft hatte.

Wochenlang lief er' sich die
Schuhsohlen ab und machte
schweißtriefend die Erfahrung,
daß die Mariahilfer-Haupt-
straße sehr lang sei. Aber
schließlich alles muß gelernt
sein, und kein Wüstling fällt
vom Himmel. Am Ende er-
reichte er, was er wollte. Sie
ivar Verkäuferin in einem
Handschuhladcn, hieß Poldi
und sprach ein tadelloses
Wienerisch. Sie wohnte in
Fünshaus, und ein Onkel von
ihr war Fiakerkutscher. So be-
saß sie alle Eigenschaften, die
ein moderner junger Mann,
der aus sich etwas hält, von
seiner Geliebten verlangen
kann.

Sie sträubte sich eine ange-
messene Zeit, und der Spreckel-
meyer mußte die Erfahrung
machen, daß bei gewissen
Frauen der Sieg um so schwie-
riger sei, je geringer der Preis
ist. Aber seine Anhänglichkeit
und Ausdauer rührten sie am
Ende. Und dann hatte er ohne
gerade verführerisch zu sein,
doch so angenehm unterwürfige
Augen wie ein wohlerzogener
Hund. Sie hatte cs sehr bald
weg, daß sie ihm überlegen sei.

Sie fühlte, daß ein gescheites
Mädel mit diesem Manne wür-
de machen können, was es
wollte. Und sie war ein ge-
scheites Mädel. Sie hatte Er-
fahrungen gemacht aus der
Mariahilfer-Hauptstraße, während sie sich geschickt,
ein Päckchen unterm Arm, durch den Strom der
abendlichen Passanten durchwand. Sie kannte die
Menschen viel besser als dieser kleine Doktor aus
Prag. Sie durchschaute diesen wohlgebügelten kleinen
Menschen, der es sich in den Kopf gesetzt halte, einen
Wüstling vorzustellen. Sie schaute durch diese sein-
gestickte Hemdbrust hindurch bis lies in die correcte
Seele des Spießers aus der Provinz. Und sie ge-
dachte in kluger Weise auf ihre Kosten zu kommen

Sie ließ sich Zoll für Zoll erobern. Einen Feld-
zug, den der Rudi in vierundzwanzig Stunden be-
endigt hätte, wußte sie durch Monate hinzuzögern.
Nach Wochen erst kam er so weit, daß er sie bis
nach Hause begleiten durste. Sie wohnte bei ihrer
„Taut'". Das muß ein« moderne Geliebte. Und
erst nach zwei Monaten that sie ihm den Gefallen,
an seiner Seite über den Graben und durch die
Kärntnerstraße zu gehen. Was war das sür ein
Stolz für Spreckelmeyer! Es war erreicht! Nun
sah doch alle Welt, daß er ein Wüstling war. Wenn
er nur das Glück hat, einen Bekannten zu treffen,
um das Ding notorisch zu machen!

Und er hatte das Glück. Am Ende der Kärntner-

20

Nr. 2

ljöend .


Max Bernuth (München)

Ürafje kam der Rudi aus sie los. Der Rudi ging
>rhr rasch j„ lebendigster Bewegung, wie immer
wenn er zu oder von einem Rendezvous kommt,
und der Rudi kommt immer zu und von einem
^ndesvous. Der Spreckelmeyer hängte sich sofort
nachlässig in sein Mädel ein, und dann erst grüßte
cr den Rudi, der ihn im ersten Augenblick gar nicht
"kannte. Aber im nächsten Augenblick erkannte er
"ffkmerksamsten seiner Schüler und ein schmei-
aiettiait erstauntes Lächeln ging über sein Gesicht,
-wollte er sagen: Schau, schau, der macht sich . .
. , ■ Le ^oldi schlug ihre Augen nieder, so aner-
khhjn's atcu 'e*ne Blicke. Dem Spreckelmeyer aber
Arbett önö H"z. Das Ziel einer monatelangen
Wien 'hpt,.'1’0.1 k^"ckft. Jetzt wird der Rudi in ganz

den Kn^wlaufen und wird erzählen: Ich Hab'
!reJ"let,er gesehn, mit einem Mädel Hab'
Und mit was für einem Mädel!" —

unv ,eine Freunde aus der Salesianergasse werden

ibn mMt* 2 ™ c UUÖ v" Wllw,illncrgll,w wcivcn
, m> vollwerlhig nehmen, und die anständigen
tni.-s uel"n ihn nicht mehr einladen, und in Prag
^en Stab über ihn brechen, er hat ein
-irerhattniß, er ist kompromittirt!!

rn nächsten Tag tras er den schönen Rudi im

Cas«. „Na," fragte er mit dem eitlen Lächeln des
Anfängers, dem es gelungen: „Na, wie gefallt sie
Dir?"

„Die Poldi?" fragte der Rudi, „das ist ein
herziges Mädel."

„Die Poldi? Woher weißt denn, daß sie Poldi
heißt?"

„Ich kenn' sie schon lang," sagte der Rudi „es
ist Dir zu gratuliren." Und er drückte ihm warm
die Hand.

„Ich danke!" sagte der Spreckelmeyer, ganz außer
sich vor Stolz. Der Rudi gratulirte ihm. Und der
Rudi weiß, was er redet. Wenn der Rudi jeman-
dem gratulirt, weiß er, warum. Ein paar Augen-
blicke blieb der Spreckelmeyer noch im Kaffeehaus
sitzen, dann zog er nervös die Uhr und sagte auf-
stehend :

„Entschuldige, aber ich muß zu meinem Mädel."
Er sagte zum erstenmal in seinem Leben: zu mei-
nem Mädel. Es geschah nicht ohne heimliches Herz-
klopfen. Der Erfolg blieb nicht aus. Der Rudi
lächelte ihm zu, mit einer gewissen wohlwollenden
Nachsicht, wie Lehrer einem eifrigen Schüler zn-
lächcln. Dann sagte er mit einer aufmerksamen Her-

ablassung: „Servus!" — und „Wo sieht man Dich?"

„Na," sagte der Spreckelmeyer, „ich komm' näch-
stens in die Salesiauergasse, mit meinem Mädel,
wenn Du erlaubst."

„Bitte, bitte," sagte der Rudi, „es wird uns eine
Ehre sein."

Wie freute sich der Spreckelmeyer auf diesen höch-
sten Moment seiner Liebe, Ivo er mit seinem Mädel
im Kreise seiner Freunde austreten würde. Aber lei-
der war die Poldi dagegen. Die Poldi war über-
haupt sehr streng, beinah so streng wie ein ganz an-
ständiges Mädel. Sie verschenkte ihre Gunst nicht
leichtfertig. Jeden Kuß mußte er sich mit einer Cvn-
cession erkaufen, und nach einem halben Jahr schon
hatte er soviel Concessionen gemacht, daß er nichts
mehr zu concediren hatte. Und hätte er nicht so ge-
nau gewußt, daß er ein Wüstling sei und ein Mädel
zum Besten halte, so hätte er sich ganz gut sür ver-
lobt halten können oder auch schon für verheirathet.

Denn unter Anderem verlangte die Poldi auch,
daß er ihr einen Ehering kaufe. Er sträubte sich eine
Zeitlang, weil das ja doch eigentlich weit über seine
Absichten hinausging. Aber die Poldi erklärte ein-
fach, sie würde anders nie mehr mit ihm ein Re-
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