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190]

JUGEND

Nr. 2

Das goldene Li der Corruptton

Kitbct bürgten Nachrichten zufolge befindet sich int Geschäftsbericht der De Beers-Compagnie, zu deren Häuptern Cccil Rh ödes
gehört, der folgende Passus: Spezialfonds für Agitationszwecke: in Köln J,200,000 OTCk., in Berlin 7,000,000 lMk.)

Nünchner Lindl als Lrzieher

Dl" neue Reichskanzler soll sich bei seiner erben
m V ?^->'ellen, überhaupt ersten mehrtägigen An-
eieuheit in unserer Stadl sehr liebenswürdig
in'",,baä hier Gesehene und Empfundene auSgc-
eriHC-n ^aben; München, so soll er gesagt habe»,
Meine ihm als ein glücklicher Ucbcrgang vom
( c" ^UNI Norden, oder dergleichen. Aber Graf
in diesen zwei sonnigen, schnceloscn

^wtertagen doch nur oberflächlich die groben
ii»ge unserer Straßen und Plätze und außerdem
^ höfische Leben — und auch dies nur im
^onntagsgewand — kennen gelernt, während ihm
. ^ königlich bayerische Republik München

uugtinqe utepuDiu ’jjcunajen
vorderhand noch ein Buch mit sieben Siegeln geblic-
bcn oder nur ein wenig vom Hörensagen bekannt Nt.

Ueber dieses sehr merkwürdige Gemeinwesen
habe ich in den dreißig Jahren meiner Rinnch-
»erei oft nachgedacht. Warum erscheint selbst den
verwegensten Ubiquisten diese Urhcimaih des deut-
sche» Gambrinismus als das gemüthlichste Rest
der Welt? Ich habe dafür im Laufe der Jahre
viele Erklärungen gehört und gelesen, daß schließ-

bch die Nichtsgewissesweißmannicht-Theorie über

a >e anderen gesiegt hat. Einmal wird Kömg
^udwig I. mit seiner gräcisirendcn Kunstbegeifler
"der mit seiner nichts weitiger als griechischen
- ivnchalance in's Tressen geführt, dann die Durch-
etzung unseres Volksthums mit baiwarischemAlpcu-
«e>U, das ist mit dem Geiste sideler, treuherziger
Wurstigkeit;^ oder die Nähe zu den befreienden
tHvgen selbst, die uns täglich einen frischen Lrift
'V sage absichtlich: der Luft) und ein verheibungs^
volles Panorama senden; oder die „angenehme"
Mischung der Konfessionen und politischen Parteien,
6_le denkbar vollkommenste Abwesenheit von
«treberei und sozialer Mißgunst, von widerlicher
Pruderre und Polizeichicane. Klatsch ist hier eben-

so harmlos als beträchtlich. Von Manchem wird
als sociologischer Hauptfaktor geradezu der „Stoff"
angesehen, der zum Sitzenbleiben und zur Be-
schränkung auf das Unumgänglichste der Wort-
verschwendung nöthige, womit zwar das Quieta
non movere der Münchner Nächstenliebe, nicht
aber der großstädtische Zug in unserem öffent-
lichen und künstlerischen Leben beleuchtet wird.
Tenn hier wird doch wahrlich nicht blos getrunken,
geschwiegen, geraucht, geliebt und gebetet, sondern
auch — ohne Eichenlaub sei es gesagt — recht
wacker gearbeitet, nicht leidenschaftlich zwar,
aber doch verhältnißmäßig und „überhanpts".

Woher kommt also die unheimliche Anziehungs-
kraft, die München ans jeden lebensfrohen Fremd-

Lin Kleeblatt „zum Anhängen"

ling ausübt, und die besonders unsere norddeut-
schen Brüder veranlaßt, ihr pflichterfülltes Bewußt-
scinslaternchen und ihre überlegene Beredsamkeit
hier in den Dienst eines noch überlegeneren süd-
lichen Genius loci zu stellen? Denn ich bin fest
überzeugt, daß z. B. Herr Roeren, wenn er Mün-
chener würde, schon binnen Kurzem seine Schwär-
merei für die Suprema Lex belächeln würde.
Manchmal habe ich geglaubt, der Lösung des
Rüthseis nahe zu sein: die Frauen und Mägdn-
lein, dachte ich mir, die lieben und guten, die
frischen und schlagfertigen, die sind's allein, —
aber dann fielen mir wieder die Männer und
Burschen ein, die schneidigen und wortkargen, die
fröhlichen, ehrlichen und doch nicht ehrgeizigen —
und futsch war die Lösung. Hier ist Alles anders
als anderswo. Man schlägt sich und verträgt
sich, ohne deshalb Pack zu sein. Mein größter
Stolz ist, daß ich als Ministrant des hochseligen
Erzbischofs Thoma meinem lieben München durch
einen Handstreich die Domfreiheit gerettet und
daß ich als Protestant hier gelernt habe, vor dem
Allerheiligsten den Hut zu ziehen und dennoch
dem Goethebunde anzugehören. Wenn ich ein
reicher Philosoph wäre, würde ich einen hohen
Preis ans die Entdeckung des Münchener Lenins
looi ausschreiben, so ich aber keiner bin, will ich
mich gern mit dem unphilosophischen Münchner
Kindl begnügen, dessen Devise ist: „Leben und
leben lassen." München ist ein Paradies, wo der
Sündenfall sozusagen nur als Humor im Karneval
auftritt, es ist die menschlichste und darum gott-
wohlgefälligste Niederlassung auf der Erde —
selbst Rom nicht ausgenommen, das der Herr
Reichskanzler wohl meinte, als er von einem
„Uebergang" vom Süden zum Norden sprach, wo-
mit er aber gewiß nicht sagen wollte, daß uns
Nom „über" sei.

Georg Hirth

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Register
Monogrammist Frosch: Ein Kleeblatt "zum Anhängen"
Georg Hirth: Das Münchner Kindl als Erzieher
Monogrammist Hammer: Das goldene Ei der Corruption
 
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