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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 6.1901, Band 1 (Nr. 1-26)

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https://doi.org/10.11588/diglit.3898#0036

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Cbamberlain vor

Petrus spricht: „Deiner Cbatcn scbwarjes Bild
Jst vor meinem Blid? enthüllt,

der I}immelspTorte

Und nur dieses sage ich:
pfui, mein Sohn, entferne Dich!“

Wilhelm Busch

Laplan Dasbach, der Vielseitige!

Mas so ein frommer Gottesmann
Bei gutem liHHeit doch leisten kann!

Erst hat er die Sorge für die Seelen,

Daß sie den Meg des Heils nicht verfehlen,

Er lindert der Gläubigen Noth und Jammer
In feines Beichtstuhls Dunkelkammer,

Hetzt wider die Ketzer und Liberalen
Bei allen Versammlungen und Mahlen;

Im Reichs- und Landtag perorirt er
Als Lentrumsheld und Depntirter, —

Spricht für der Kirche geheiligt Recht

In pathosreichem Mortgefecht

Und gegen die schlimmen modernen Sitten,

Und wie ein Hirsch nach Wasserquellen
So schreit er nach den guten Jesuiten.

Er macht Gesetze im Speziellen
Noch wider die böse moderne Kunst,

Die doch nur diene niederer Brunst

Und der Kirche verworfenen Widersachern;

Dann muß er mit der Regierung schachern;

Er gründet als Volksmann und Seelenretter
Hochauferbauliche Lentrumsblätter,

Er wird zum Verleger und Versender
Höchst gotterfreuender Kalender,

Er gründet dort und handelt hier
Aut allerlei heiligem Druckpapier.

Die Loncurrenz, voll Niedertracht,

Wird von der Kanzel todtgemacht,

(Und hilft das nicht, so helfen immer
Der Beichtstuhl und die Frauenzimmer!)
Betheiligt ist er auch nach Kräften
An allerlei schwierigen Geldgeschäften,

Er pumpt gehörig und leiht auch Einigen,

Sind auch die Gelder nicht immer die Seinigen.

Er spekulirt mit Aktien und Banken,

Und bei den geistig Schwachen und Kranken
Wird discontirt zu jeder Zeit
von ihm die ewige Seligkeit.

Wer ihm im Weg steht, wird zerschmettert,
wodurch er höher und höher klettert,

Bis Jeder, der ihn von ferne nur wittert,
vor ihm und seinem Einfluß zittert,

Bis schließlich Leute selbst, wie Rören,

Auf seine bona fides schwören,

Thaten sie einst auch die Absicht zeigen,

Das Hetzkaplänlein ohrzufeigen! —

Doch kann er auch christlich und menschlich sein,
z. B. wenn bei einem Iungfräulein
Sich ungebeten der Storch stellt ein,

So sorgt er mild und weich, wie Butter,

Ganz väterlich für Kind und Mutter,

Und daß das Kind hat einen Vater,
verdächtigt er einen alten Lonfrater.

In andern Fällen aber spricht er
Drakonisches Recht als Sittenrichter,

Besonders bei den Redaktören,

Die ihm leibeigen angehören,

Und hat er auf einen seinen Pick,

Und läßt sich der einen Augenblick
Wo sehen mit zwo weiblichen Damen,

So ist es bei ihm ans und Amen,

Entlassen thut er ihn ohne Ziel,

Denn, was zu viel ist, ist zu viel!

Nicht eine Stunde kann er ruhn,

An allen Drten hat er zu thun,

In Sargemünd, Berlin und Trier,

Als Gründer, Mensch und volkserzieh'r.

Wie so gescheut muß solch ein Mann
Doch sein, der alles dieses kann,

All' dies betreibt so massenhaft
Noch neben seiner Priesterschaft!

Wie klug muß er sein und ach, wie dumm
Sein hochverehrtes Publikum!

Hermann

Ein Blick in die Zukunft

Graf Ballcstrcm rechnet für den Rest der Session
auf ein gut besetztes Haus. Und er beabsichtigt
keineswegs, das Wunder dadurch zu vollbringen,
daß er die Plenarsitzungen einfach in die Restau-
rationsräuine verlegt. Seine zuversichtlichen Hoff-
nungen richten sich vielmehr auf den Grafen Biilow
Man weiß, daß die litterarische und sonstige Bild
ung vieler M. d. R. nicht durchaus lückenlos ist,
und aus dem Umstande, daß sie sich in wehmütbiger
Erinnerung an ihre Schülerjahre stets auf den letz-
ten Bänken des hohen Hauses hernmdrücken, schließt
ntan weiter, daß sie sich ihres Mangels auch be-
wußt seien. Sestdetn nun der neue Reichskanzler
int Amte ist, wird int Reichstage so viel — wenn
auch zunächst noch falsch — zitirt, werden Goethe
und Schiller in verbesserter Form den dankbaren
Parlamentariern so oft zu Gehör gebracht, daß
es für sie ein Leichtes ist, unauffällig klassische
Bildung aus den Verhandlungen zu schöpfen. Jst
die neue Einrichtung erst allgemein bekannt, dann
wird die Bülowsche Fortbildungsschule für stark
Erwachsene Freunde und Zöglinge sogar in nicht
parlamentarisch erzogenen Volksschichten finden.
Den five o’clock tea verdrängt dann die Nach-
mittagslektion im Reichstage. Und am Ende hat
Niemand größeren Vortheil von der Sache, als
der Reichskanzler selbst. Statt schlagender Argu-
mente wendet er Zitate aus Faust, Tasso und
dem Taucher an; gefährliche Interpellationen be-
antwort er mit vorzüglichen Deklamationen aus
Eichendorffs Liedern, und einem Mißtrauens-
votum bricht er dadurch die Spitze ab, daß er
auf die soeben erschienene, neue Ausgabe der
Hoffmann'schen Erzählungen aufmerksam macht.

Glückliche Zukunft! Jede Rede strotzt dann
von guten Einfällen, und Proudhons höhnisches
Wort: „Beim Redner steht der Redefluß immer
Register
Caliban: Ein Blick in die Zukunft
Hermann, Herrmann [Ostini]: Caplan Dasbach, der Vielseitige
Fritz Scholl: Schüttelreime
Julius Diez: Chamberlain vor der Himmelspforte
 
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