1901
JUGEND
Nr. 3
Wenn Zwei lich küften bei Caternenfdjein, — gleich schreit die böle Welt: „Pfui!
Und das Alles war nur Eines, das starke un-
bezwingliche Naturgefühl, das von Leibl ausging,
dieser fast wollüstige Drang, die Natur immer mehr
mit Leib und Seele zu durchdringen, ihr ganz
eigen zu werden.
Daraus entsprang auch seine Freude an dem
eigenen Körper, an seiner physischen Kraft, die
dann und wann auch ausartete.
Das war ein ewiges Muskelspannen, Fässer
und Steine heben, stemmen und werfen und wenn
m Schondorf Leibl'sche Kunst längst vergessen ist, die
Sage von dem Ofen beim oberen Wirth, den er
»üt mir in Trümmer gerannt beim fröhlichen Stcm-
men, wird fortbestehen, in's Ungeheure wachsend.
Dazwischen lagen Wochen rastloser Arbeit. Sie
war bei Leibl auch nichts Anderes als Kraftäußer-
ung, ein Stemmen und Ringen mit der Natur,
in der er jetzt gewissermaßen seine Feindin sah,
die ihm alle erdenklichen Fallstricke legte, unter
den Händen entwischte.
Er stöhnte oft wie unter einer Last, ballte die
Fäuste, runzelte die Stirne, und preßte die Lippen
wie ein Ringer, während sein Blick den Gegen-
nand zu durchdringen suchte und eine seltsame
T'efe gewann. — „Willst Du still halt'», Lud'r.^
»9ch zerbrech' dir die Knochen, wenn du muckst."
Das waren so die Kraftausdrückc, mit denen er
leine Modelle beehrte.
Eines Tages kam eine Kiste. Er wollte sie
iange vor mir nicht öffnen. „Dummes Zeug!"
i-ndlich that er mir den Gefallen. — Es war die
"^^iie" aus seiner Pariser Zeit. Leibl und doch
nicht der Leibl, den ich kannte. Diese Sumpf-
Nllanze französischer Decadence und dieser Mann!
Er betrachtete sie lange schweigend, und ich ihn.
Seltsame Gedanken kamen mir. Wie haben sich
die gefunden? Was waren sie sich? Hat dieses
Verführerische Weib in seinem Innersten gezittert
vor dieser kraftstrotzenden Männlichkeit, oder hat
diese kleine Hand sie doch gezwungen? Diese Hand!
Die zierlichen Finger gespreizt, von dem rothen
Kissen lebensvoll sich hebend, — die ganze Ge-
schichte des Weibes lag in der Hand! —
„Schweinerei!" sagte er plötzlich und schlug den
Deckel auf die Kiste.
Es kam ihm in diesem Augenblicke sichtlich ein
Ekel an vor dem Lebenskreise, ans dem das an
sich stofflich völlig harmlose Bild entnommen.
Leibl besaß eine naive Keuschheit, die Scham°
Hastigkeit eines Mädchens. Er konnte erröthen
über einen frivolen Scherz, haßte alle Anzüglichkeit.
Begeistert von seiner Kunst, das pulsirende
Leben des Fleisches auf die Leinwand zu bringen,
seine feinsten Farbennnancen, redete ich ihm oft
zu, doch einen Akt zu malen, weiblich oder männ-
lich, ein Meisterwerk ersten Ranges müßte ent-
stehen, verwies auf Rubens, für den er eine un-
begrenzte Berehrung hegte, — er wollte nicht daran.
Prüderie war bei Leibl ausgeschlossen; ich bin
überzeugt, es war sein ausgeprägtes Keuschheits-
gefühl, das ihn abhielt, so sonderbar das klingen
mag. Bielleicht trug dazu auch seine ausgesprochene
Abneigung gegen jeden Klassizismus bei, eine selt-
same Scheu vor „schöner Form", als fürchte er
das Weiche, Süßliche, zu dem diese die Größten
schon verführte.
Leibl war eben als Maler durch und durch
Niederländer, alle malerischen Tugenden und Be-
grenztheiten dieses deutschen Stammes in sich ver-
einend.
1875 im Herbste bat er mich, ihm zu stehen.
Das Bild hängt jetzt in der Berliner National-
gallerie unter dem Titel „der Jäger". Ich wußte,
was mir bevorstand, brachte aber gerne das Opfer.
Er malte am Ufer des Sees, fast bei jedem
Wetter, nur das Bild schützte er durch ein Leiu-
Wie gemein!“ Leo Putz
wanddach, das der Wind unzählige Male entführte.
Er fing in der Gluthhitze des August an und
endete beim Schneetreiben im November. Ich war
sein Modell. Er war unerbittlich. Trotz der äußerst
schwierigen Stellung des Armes, der nach rückwärts
über die Büchse gelegt ist, gewährte er Stunden
lang keine Pause.
„Willst Du stille halten! — Daß Dich der
Teufel!" Mir ging's nicht besser, wie dem Fischer-
volke und ich nahm es gerne hin.
Kamen dann doch die Pausen, hörte er gerne
ein offenes Urtbeil, gab auch nach, wenn er es
richtig fand.
Im Hintergründe steht der berühmte Weiden-
banin mit seinem tausendfältig durchbrochenen,
zarten Geäste, das sich gegen die weiße Fläche des
See's abhebt. Er malte jede Figur, die sich in
der Verworrenheit dieser ungezählten Linien ergab,
jede Masche dieses Zweignetzes mit einem Eigen-
sinne, der schon an Verrücktheit grenzte, und ich
durfte auch da nicht weichen. Da gab es dann
doch oft scharfe Kontroversen.
„Ein Düftler bist', ein verbohrter! ja wohl!"
„Natürlich, Düftler nennt er das —, wenn
man's ehrlich meint."
„Das ist nicht ehrlich, .— das ist kleinlich!"
„Kleinlich!" Er stieß eine helle Lache aus.
„Kleinlich, es gibt nichts Kleinliches in der Natur,
nur machen muß man's können. Dank' Dein'
Herrgott, daß Du mir stehen darfst."
Solche Ausbrüche seines starken Selbstbewnßt-
scins waren nicht selten.
Er malte das ganze Bild per prima. Kein
Kohlenstrich war ans der Leinwand, als er mit
dem Hute begann, mit der obersten Wölbung des
Hutes; dann herunter, jedes Stück fir und fertig,
ohne je zurückzukehren; und nie täuschte er sich
in den Verhältnissen der ganzen Figur. Nur das
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Wenn Zwei lich küften bei Caternenfdjein, — gleich schreit die böle Welt: „Pfui!
Und das Alles war nur Eines, das starke un-
bezwingliche Naturgefühl, das von Leibl ausging,
dieser fast wollüstige Drang, die Natur immer mehr
mit Leib und Seele zu durchdringen, ihr ganz
eigen zu werden.
Daraus entsprang auch seine Freude an dem
eigenen Körper, an seiner physischen Kraft, die
dann und wann auch ausartete.
Das war ein ewiges Muskelspannen, Fässer
und Steine heben, stemmen und werfen und wenn
m Schondorf Leibl'sche Kunst längst vergessen ist, die
Sage von dem Ofen beim oberen Wirth, den er
»üt mir in Trümmer gerannt beim fröhlichen Stcm-
men, wird fortbestehen, in's Ungeheure wachsend.
Dazwischen lagen Wochen rastloser Arbeit. Sie
war bei Leibl auch nichts Anderes als Kraftäußer-
ung, ein Stemmen und Ringen mit der Natur,
in der er jetzt gewissermaßen seine Feindin sah,
die ihm alle erdenklichen Fallstricke legte, unter
den Händen entwischte.
Er stöhnte oft wie unter einer Last, ballte die
Fäuste, runzelte die Stirne, und preßte die Lippen
wie ein Ringer, während sein Blick den Gegen-
nand zu durchdringen suchte und eine seltsame
T'efe gewann. — „Willst Du still halt'», Lud'r.^
»9ch zerbrech' dir die Knochen, wenn du muckst."
Das waren so die Kraftausdrückc, mit denen er
leine Modelle beehrte.
Eines Tages kam eine Kiste. Er wollte sie
iange vor mir nicht öffnen. „Dummes Zeug!"
i-ndlich that er mir den Gefallen. — Es war die
"^^iie" aus seiner Pariser Zeit. Leibl und doch
nicht der Leibl, den ich kannte. Diese Sumpf-
Nllanze französischer Decadence und dieser Mann!
Er betrachtete sie lange schweigend, und ich ihn.
Seltsame Gedanken kamen mir. Wie haben sich
die gefunden? Was waren sie sich? Hat dieses
Verführerische Weib in seinem Innersten gezittert
vor dieser kraftstrotzenden Männlichkeit, oder hat
diese kleine Hand sie doch gezwungen? Diese Hand!
Die zierlichen Finger gespreizt, von dem rothen
Kissen lebensvoll sich hebend, — die ganze Ge-
schichte des Weibes lag in der Hand! —
„Schweinerei!" sagte er plötzlich und schlug den
Deckel auf die Kiste.
Es kam ihm in diesem Augenblicke sichtlich ein
Ekel an vor dem Lebenskreise, ans dem das an
sich stofflich völlig harmlose Bild entnommen.
Leibl besaß eine naive Keuschheit, die Scham°
Hastigkeit eines Mädchens. Er konnte erröthen
über einen frivolen Scherz, haßte alle Anzüglichkeit.
Begeistert von seiner Kunst, das pulsirende
Leben des Fleisches auf die Leinwand zu bringen,
seine feinsten Farbennnancen, redete ich ihm oft
zu, doch einen Akt zu malen, weiblich oder männ-
lich, ein Meisterwerk ersten Ranges müßte ent-
stehen, verwies auf Rubens, für den er eine un-
begrenzte Berehrung hegte, — er wollte nicht daran.
Prüderie war bei Leibl ausgeschlossen; ich bin
überzeugt, es war sein ausgeprägtes Keuschheits-
gefühl, das ihn abhielt, so sonderbar das klingen
mag. Bielleicht trug dazu auch seine ausgesprochene
Abneigung gegen jeden Klassizismus bei, eine selt-
same Scheu vor „schöner Form", als fürchte er
das Weiche, Süßliche, zu dem diese die Größten
schon verführte.
Leibl war eben als Maler durch und durch
Niederländer, alle malerischen Tugenden und Be-
grenztheiten dieses deutschen Stammes in sich ver-
einend.
1875 im Herbste bat er mich, ihm zu stehen.
Das Bild hängt jetzt in der Berliner National-
gallerie unter dem Titel „der Jäger". Ich wußte,
was mir bevorstand, brachte aber gerne das Opfer.
Er malte am Ufer des Sees, fast bei jedem
Wetter, nur das Bild schützte er durch ein Leiu-
Wie gemein!“ Leo Putz
wanddach, das der Wind unzählige Male entführte.
Er fing in der Gluthhitze des August an und
endete beim Schneetreiben im November. Ich war
sein Modell. Er war unerbittlich. Trotz der äußerst
schwierigen Stellung des Armes, der nach rückwärts
über die Büchse gelegt ist, gewährte er Stunden
lang keine Pause.
„Willst Du stille halten! — Daß Dich der
Teufel!" Mir ging's nicht besser, wie dem Fischer-
volke und ich nahm es gerne hin.
Kamen dann doch die Pausen, hörte er gerne
ein offenes Urtbeil, gab auch nach, wenn er es
richtig fand.
Im Hintergründe steht der berühmte Weiden-
banin mit seinem tausendfältig durchbrochenen,
zarten Geäste, das sich gegen die weiße Fläche des
See's abhebt. Er malte jede Figur, die sich in
der Verworrenheit dieser ungezählten Linien ergab,
jede Masche dieses Zweignetzes mit einem Eigen-
sinne, der schon an Verrücktheit grenzte, und ich
durfte auch da nicht weichen. Da gab es dann
doch oft scharfe Kontroversen.
„Ein Düftler bist', ein verbohrter! ja wohl!"
„Natürlich, Düftler nennt er das —, wenn
man's ehrlich meint."
„Das ist nicht ehrlich, .— das ist kleinlich!"
„Kleinlich!" Er stieß eine helle Lache aus.
„Kleinlich, es gibt nichts Kleinliches in der Natur,
nur machen muß man's können. Dank' Dein'
Herrgott, daß Du mir stehen darfst."
Solche Ausbrüche seines starken Selbstbewnßt-
scins waren nicht selten.
Er malte das ganze Bild per prima. Kein
Kohlenstrich war ans der Leinwand, als er mit
dem Hute begann, mit der obersten Wölbung des
Hutes; dann herunter, jedes Stück fir und fertig,
ohne je zurückzukehren; und nie täuschte er sich
in den Verhältnissen der ganzen Figur. Nur das
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