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Nr. 3

1901

bic sie ins Gesängniß bringen sollten, war sie weg-
gesprungen in das schwarze Wasser. Eine Diebin!

Wie hungrig waren sie gewesen nach Vaters Tode!
Der Strom hatte sie, der Reihe nach, alle behalten,
keines fand mau mehr, und dasewige, nasse Grab blieb
ihnen. Es würde gewiss auch bald das ihrige sein!

Jahn war damals gegangen und hatte gesagt,
dass er tviederkäme, wenn die Heide grüne.

-Sie blickte auf das moorige Land hinaus,

mit tief gesenktem Kopse. Ein warmer, grünlicher
Ton liegt schon duftig darüber. Wie lange wahrt
eS, und die Heide grünt wirklich?

Ob er dann auch kommt?

Kein Wellchen kräuselt und trübt den Wasser-
spiegel bor ihr. Nun sieht sie sich. Sie schlägt die
Hände pors Gesicht und schleicht weinend über den
elastischen Boden der Hütte zu.-

Die Heide grünt längst, die erste Erika ist schon
verblüht; auch die ältesten haben grüne Blätter und
sehen ans wie seltsame Greisengestallen mit drolligen
Perücken. — Die Sonne brennt heiß, und betäubend
steigt es auf aus der Torferde bei jedem Spaten-
stich. Wie sie vespern gehen will, erzählen es sich
die Arbeiter, — Jahn fei tobt!!

Sie sagen es nicht laut, wispern zusammen und
blicken scheu auf das arme Mädchen, das schwer-
sällig die mächtige Schaufel trägt. Dann aber er-
zählen sie sich's laut und immer lauter int ganzen
Dorf. Sie ist wie erstarrt, gebärdet sich wie eine
Irrsinnige; endlich läuft sie zum Pfarrer.

Der weiß cs auch; sogar durch ein Schreiben.

Jahn ist todt!

In Hamburg — nein in Bremen, — in einer
Schenke, — einer Dirne wegen, — wer weiß nicht
was Neues, Anderes! Und alle sagen es ihr einzeln
und besonders, was sie glauben, denken, vermuten,
und was sie an ihrer Stelle thun würden. Manche
zucken auch blos die Achseln. Wieder andere dehnen
die Augenbrauen, sehen an ihr herunter und haben
„sich gleich so >vas gedacht, und daß noch etwas
Schlimmes kommen müsse."

Hinter der Heide sinkt blutrot die Sonne, und
wie Streifen flüssigen Goldes durchzieht es die blau-
violetten Wolken.

Ein Trupp Arbeiter aus dem Torfstich, Weiber und
Kinder, stehen jammernd am Flußuser. Vom Dorfe
her, kommen sie mit Stangen, Netzen und Stricken.

Wo Jahns Hütte war und der Fluß sich so weit
ausbuchtet, ist das Wasser tief, aber klar.

Man kann weit hinunter sehen, seit die grünen
Algen weggenommen sind, die sich wie ein Kranz
darüber wölbten. Ein dunkler Körper liegt zwischen
den Weidenstrunken.

Kurze Windstöße kräuseln das Wasser, das gur-
gelnd ans User schlägt. Die Leute stoßen sich an
und weisen kreidebleich hinunter.

„Hört ihr, wie es gluckt? Wie es wispert und
grollt? Nun hat er sie alle!"

Die Männer mit den Geräthschasten zum Bergen
der Leiche kommen. Weit öffnen sich die dürren,
schwarzen Arme da unten, — sie sind jetzt leer.

„Gott sei der armen Seele gnädig!"

Aus dem Grund rauscht es aus, von der Ferne
tönt es wie höhnisches Lachen.

Gelbe Butterblumen säumen die moorigen Ufer;
dazwischen schleicht der Strom noch eine Weile dahin,
da und dort reißt er ein Stückchen der nassen, mit
Moos bewachsenen Erdschollen mit. Weiter hinten
hört das Moos endlich auf, Wiesen und Felder
dehnen sich an den Ufern hin. Munterer rauscht
und fließt nun das Wasser, in lustigen, bläulichen
Wellen stürzt es endlich über das Gefälle.

Kleine Kinder spielen an der Brücke und Ivinden
sich Kränze. Lachend ivehren sic den glänzenden
Perlen, die ihnen der Strom ins Gesicht spritzt.

Am Wehr staut sich eine schwarze Masse. — Der
Körper eines WeibcS! — Das lichte Haar steigt
strahlenförmig nach oben, grünlicher Tang hängt
dazwischen. Wirbel auf Wirbel schleudert die Leiche
hin und her, plötzlich verschwindet sie ganz.

Der alte Strom hat auch sic nicht mehr hcrgc-
llkbcn. Max Grad

. J UGEN D .

Die Erfindung des Schüttelreims

von Festes willomitzer t
I. kax. Anch io . . .

Karl, der sich einen Dichter nannte,
Dem imponirte nicht der Dante.

Sr las ihn und erkannte dann:

Das kann ich auch, was Dante kann!

II. kax. Die dicke Helene

Karls Liebchen glich dem reinen Fasse,
war nicht von einer feinen Rasse,

Doch im Besitze holder Gaben,
vor Allein wollt ihr Gold er haben.

III. Kap. Das Auge sieht den tjimmcl offen

von Karl umarmen fachte ließ
Helene sich und lachte süß.

Sr fing wie dürre Bretter Feuer,

Ihr Vater war ein fetter Brauer.

IV. kax. Bange Frage
Die Mitternacht lag schwarz im Meere.
Karl sprach: Das Gold ist zwar Lhimärc,
Doch Eins kann mit dem Schein versöhnen,
wenn wir mit ihm das Sein verschönen.
Daß mir doch Einer sagen wollte,

Bb ich's beim Brauer wagen sollte?

V. Kax. Kraftvoller Lntschluff

Karl stärkt den Muth mit Traubensaft,
Der uns dem Lrden-Staub cntrafft,
Dann zog als strammer Held er »aus,
Hin zu Helenens Elternhaus.

VI. Kax. Die Werbung

Karl sagte, wer er sei; Er frage,
was man zu ihm als Freier sage?

„Sie wollen mich wohl necken?" schrie der
Papa, „mich wirft der Schrecken nieder,
Ich find das unverschämt von Sic,

So'n Haderlump, so'n Kerl, so'n vielt I"

VII Kax. Karl auf Irrwegen
Den Mitgift-Traum verfliegen sicht er,

Und außer Stand zu siegelt, flieht er
Und sucht Erwerb in fernen Ländern,
würd' er was Rechtes lernen, fand er'n.
Die Arbeit kann uns nicht entehren,

Doch Karl wollt sich vom Dichten nähren 1! I

VIII. kax. von Stufe zu Stufe

Aus eine tiefe Stuf' gesunken
Hat Karl zuletzt vom Suss gestunken,
Und wißt Ihr, was er dann ersann?
Den Schüttelreim ersann er dannlll

IX. Kax. Nemesis

von eines Berges Riesenwand
Fiel Karl und starb am Vvicscnrand.

X. Kap. Und Helene?

Helene sprach: „Ich werde Nonne
Und pfeif auf alle Erdenwonnel"

lIeichnungen von A. Schmidhammetj


Register
Arpad Schmidhammer: Illustrationen zum Text "Die Erfindung des Schüttelreims"
Josef Willomitzer: Die Erfindung des Schüttelreims
 
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