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1901

JUGEND

Nr. 3

Empire

/ß?« nibt Feine herzigere Lectüre für den, dee gerne zwischen den Zeilen

liest als uralte Modejostruale. Anderswo bekommt man so viel Er-
habenes und Tiefgehendes, lauter Monumentalposen vorgeschwindelt und
nur selten finden sich die harmlos menschlichen Züge im wahren Zeit-
aewande. In diesen iinverfälschte» Documenten der Gedankenlosigkeit und
naiven Genußsucht hingegen ist alles krystallisirt, was die Oberfläche
kräuselte, das wirkliche peute von damals, es liegt darinnen der ganze
dumme, süße Lharme eleganter Mädchen und Frauen, deren verstand
nur functionirt, wenn es sich um das pübscheste, Feinste, Neueste handelt.
Man hat beim Lesen das Gefühl, als träte man mitten in einen feinen
Klatschzirkel, in ein Theaterparquett jener Zeit; die großen Männer sind
nur der perr posrath, der perr Professor, sie nehmen die rechte pand aus
der linken Brusttasche und reden gemüthlich dummes Zeug, als kämen sie
nie in ein Konversationslexikon. — vor uns liegt das Bertuch'sche Jour-
nal des Luxus und der Moden, um ;8v; herausgegeben zu Weimar. —
Das allein spricht schon Bände. Die Stadt Goethes und des glänzenden
Poflebens! Man versteht förmlich den späteren Goethe und sein elegantes
Milieu besser, wenn man weiß, daß dort zu jener Zeit
ein vornehmes Modeblatt seinen Ursprung nehmen konnte.

Die heutige Mode besitzt schon so viel Berührungs-
punkte mit dem Empire und trachtet danach, sie immer
mehr zu bekommen, weshalb es interessant ist, die (Duelle
unserer neuesten Ideen ein bischen zu durchsuchen. Wie
Alles schon einmal dagewesen ist, zeigt gleich Nummer i
des Jahres ,8vx: Die Redaktion hatte denselben Ein-
fall, wie wir: sie stellt aus ihr Titelbild die Mode-
gegensätze von ; io; und t80l, ergeht sich in Betracht-
singen darüber, und freut sich, wie man es nun so herr-
lich weit gebracht.

5o wie wir heute um hundert Jahre, griff man
damals um zweitausend Jahre zurück, nach der alt-
klassischen Tracht der Griechinnen, deren spaßige Tarri-
katur — mit einer halbellenlangen Straußfeder, kerzen-
gerade über der Stirne in die pöhe stehend als
elegante Dame ans dem Titelkupfcr erscheint; der perr
daneben trägt einen Topfcylinderhut, langbäuchige Knie-
hose, gleich der Dame die Taille unterm Arm, in der
Band einen ganz kurzen, dickknorrig gewundenen Bischofs-
stab, an dessen geradem Ende ein Lorgnon befestigt ist.

Der Pimmel weiß, wie komisch w i r unseren Urenkeln
Vorkommen werden, in unfern vernunftgemäßen Sport-
kleidern. ,

In derselben Nummer finden wir dann ein modisches
Mieder, bestehend aus einem strumpfbandartigen Brust-
g»rt mit Achselträgern, aus rosa Seideuband gefertigt,
und die hübsche Notiz, daß Schmelz außerordentlich be-
liebt sei, so daß sogar Perrücken aus schwarzen Schmelz-
perlen angefertigt werden; ja ein Perr habe erzählt, dast
seine Geinahlin Nachts an ihrer Schlafhaube eine Borte
von Schmelzstickerei trage — dazu einige heute absolut
nicht mehr in guter Gesellschaft wiederzugebende Be-
merkungen. Blaue und grüne große Schleier aus
Linon, geblümter Ziz, weißer Perkal, heute nur mehr
Futterstoffe, werdeu für püte und Travatten als höchst
elegant empfohlen, und das Modebild bringt einm
sehr komischen, aber doch an peute erinnernden -ack-
uberzieher aus wattirtem, schwarzem Tuch in einer
Art perrenfaxon, der über einem decolletirten weißen
Mousselinekleid getragen wird; auch der braune Filz-
Hut hat die viereckige Topfform der Männerhüte, da-

OXinter 190t

j. n. witzri

rauf drei schrecklich unvermittelt hochstehende Straußfedern. Man sieht,
wir brauchen uns auf unsere männlich angehauchte Emancipationstracht
kein Patent zu nehmen. Auch die kurzen, ineist dunkelblauen Tuchspenser
sind perreusaxon und genau Modelle von heute. Dann gibt es seidene
»nd sammtene wattirte „Douilletten," vollständige winterliche Ueberkleider
für die Straße; darunter aber wird stets nur das zum verzweifeln frostige,
weiße Mouffelinekleidchen mit bis zum Brustgurt entblößtem Oberleib »nd
nackten Armen getragen, und unterhalb desselben kein einziger Rock, nur
ein ärmelloses pemd mit einem Volant! Freilich, die Brennholzpreise
waren anders.

Fortwährend spiegeln sich die Zeitereignisse: Napoleons orientalische
Kriegszüge erzeugen einen Fanatismus für egyptische und türkische Moden,
Pyramidenhüte, Turbans, dunkelgelbe lckousseline ä l'Egyptienne, für
„Tigermäntel, viertel groß." Eine vornehme, besonders elegante Dame
wettet mit einer Anzahl perren, daß sie sich verpflichte, im bloßen pemde,
nur modern in ihren orientalischen Mantel drapirt, einen ganzen Abend
in Gesellschaft zu erscheinen, ohne daß es ein Mensch bemerken würde;
thatsächlick besucht sie so gekleidet einen feinen Theezirkel, erscheint dann
aus der Abendpromenade, wo sie von einer Prinzessin angeredet wird, und
gewinnt ihre Wette. Der Modewechsel war etwas so
wichtiges geworden, daß alte perren, die der perrücke,
dem Zopf und dreieckigen put treu geblieben waren, überall
von den Gassenbuben verfolgt wurden. Dagegen tragen
alle Damen Perrücken in antikisirender Form, die als etwas
höchst Zweckmäßiges und Bequemes gepriesen werden, und
darunter kurzgeschorenes paar. Als es den Damen doch
wohl zu heiß wurde, resultirt daraus die Mode der „Titus
köpfe", gegen die Anfangs heftig agitirt wird, indem man
„das Aufkommen des eigenen Paars" für höchst ordinär
erklärt.

Auch hält man sich über die Perrenkleidung ans, „die
höchst widrigen und indecenten Pantalons, die bis über
die perzgrube heraufgehen, so daß sie unter den Armen
halbmondförmig ausgeschnitten werden müssen, und ab-
sichtlich um den Unterleib recht bauschend gemacht werden,
das Gilet nur ein Gürtel mit Armlöchern, Travatten mit
einem Dutzend Stockwerken."

Nach der Kaiserkrönung Napoleons, dessen Ornat genau
gezeichnet und beschrieben ist, und dessen bei dieser Gelegen-
heit getragene Spitzenkrause unter dem Namen „Cherusse“
sofort zu einer epochemachenden Damenmode wird, schreibt
ein Pariser Bericht: „Ein Mann nach der Mode muß den
Rücken rund, die Figur viereckig, das Gesicht niedrig, pände
und Taille kurz und die Beine lang haben; sollte er anders
gebaut fein, so werden ihn die Modekünstler in drei Tagen
dem großen Muster ähnlich machen." — Ein paar
Jahre später, t 8uq heißt es dann, daß für perren fast gar
keine neuen Moden existiren, weil ohnehin geschmackvolle,
reiche Uniformen in allen Aemtern getragen werden. —
Ich glaube, besser läßt sich der Geist einer Zeitepoche mit
wenig Worten gar nicht schildern. — Doch wir kehren
zur Damenmode von ;8o; zurück. Ein Mode
bild zeigt, wie die Tänzerin ihre Schleppe auf
die Schulter des Tänzers zu legen hat; die
„Tadenettes", strähnige, starkgeölte Paarlöckchen,
sallen ihr über die Stirne; der Bequemlichkeit
halber werden diese Perrückenlöckchen bisweilen
gleich an den put genäht. Ungemein lieb sehen
die knappen, weißen oder roiaseidenen Mützen,
genau in Form der garnirten päubchen der Säug -
linge, zu den hochgegürteten, decolletirten, weißen
Kleidchen aus; drollig ist es nur, wenn dazu

Arthur Hirth

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Register
Josef Rudolf Witzel: Zierleiste
Arthur Hirth: Winter 1901
Natalie Bruck-Auffenberg: Empire
 
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