Nr. 4
JUGEND
1901
„Was ist da? nun wieder?" lacht' ich
auf. „Auch ein Aberglaube?"
„Vielleicht," antwortete sie. „Du gibst
mir Dein Wort?"
Sie ließ nicht eher ab zu quälen, bis ich
„Ja" sagte. —
So steckte denn die einsame Zigarette
in der rothen Juchtentasche. Sie bekam täg-
lich Kolleginnen, die täglich neuen Platz
machten. Aber wie bald all' die andern
auch in Asche aufgingen, — Lotte Jürgen-
scns Zigarette blieb auf ihrem alten Platze.
Wir ko' respondirten zuerst ziemlich viel-
Mit der Zeit drängte sich anderes da-
zwischen. Die Briefe von Berlin nach Hol-
stein wurden seltener. Und im Winter lernt'
ich auf einem Balle eine Frau kennen, die
ich sehr geliebt und um die ich viel gelitten
Hab'. Sie verwischte das Bild der kleinen
Jürgensen vollständig.
Wie gesagt, ich litt viel von dieser Frau-
die ich liebte. Eines Nachts saß ich allein
im Cafe. Am Abend hatte sie mich in einer
Gesellschaft so geschnitten, daß ich hätte
aufschreien mögen. Meinen Groll und ge-
knickten Stolz, meine Liebe und Sehnsucht
begrub ich nun im Alkohol — der Teufel
weiß, was ich für Zeug trank. Ich hatte
für nichts Augen. Ich starrte vor mich hin,
rauchte eine Zigarette nach der andern, trank.
Erst als neben mir die Lichter einer Krone aus-
gedreht wurden, schreckt' ich aus all den Grübeleien
ans. Vor mir lag die rothe Juchtentasche — leer.
Ich hatte Lotte Jürgensens Zigarette achtlos auf-
geraucht. Im Aschbecher fand ich den Rest, ich
erkannte ihn an der Staniolumhüllung.
Einen Augenblick war ich fast erschrocken, dann
lachte ich und ließ mir einen Briefbogen geben.
Ich schrieb an Lotte Jürgensen, daß ich aus Ver-
sehen das Verbrechen begangen und ihre Zigarette
zu Asche verwandelt hätte. Sie müsse mir schon
eine neue senden, da mich die leere Ecke in der
Tasche vorwurfsvoll anschaue.
Lange kam keine Antwort. Dann ein dicker
Brief, der Doppelporto kostete. In dem Briefe
stand ungefähr: „Ich Hab cs schon seit voriger
Nacht gewußt, daß Sie mich nicht mehr lieb haben.
Ich sah Sie in meinem Zimmer stehen, aber Ihre
Augen gingen achtlos über mich fort. Leben Sie
wohl und möge Ihr ganzes Leben glücklich sein."
Ihr wohlgetroffenes Bild lag dabei. Auf der
Rückseite las ich die Worte: „Bilder sind Erinner-
ungen. Sie haben erst dann ein Recht, wenn alles
vorbei rnid todt ist. Denken Sie manchmal an
diese „Todte.""
Ans meine späteren Briefe kam keine Antwort.
Ich selbst vergaß Lotte Jürgensen so wie die Zi-
garette. Eben fiel sie mir wieder ein. Denn in
Deinem Etui — damit wandte sich der Erzähler
an mich — steckte die letzte und einzige gerade so
in der Ecke. Das brachte mich ans die Geschichte.
Allons, Kinder — die Flaschen sind leer und das
Bett ist jetzt der beste Freund. Aber es ist toll,
was im Leben alles an einem vorbeikutschirt."
iTarl Buffe
FRITZ,
-DER ,
>SCHWEiNe-
JUNGE
t-Ya? hatte man den großen Spöttern immer ge-
sM sagt. Aber sic wollten nicht hören. Sie wollten
an die Gefährlichkeit der Dummheit nicht glauben.
Die Dummheit wird doch immer noch unter-
schätzt.
Wie gewöhnlich saßen die Spötter auch in der
Sylvcsternacht in der Prachtgondel ihres Luft-
ballons. Sie waren hoch in den Wolken so recht
fidel, denn die Prachtgondcl war natürlich fein
säuberlich mit dicken Glasscheiben auf allen Seiten
zugeschlossen.
Um zwölf Uhr nachts sollte natürlich der Punsch
mit den Kalbskotelettes nach oben geschickt werden.
Fritz, der Schweiucjunge, sollte den Korb hin-
aufschicken.
Der Ballon mit der Prachtgondel war mit
fünf festen, sehr langen Stricken unten angebunden.
Und da es Sylvcsternacht war, schien es ganz
natürlich, den Schweinejungen Fritz mit dem Korbe
bei den fünf Stricken allein zu lassen.
Es schlug halb zwölf und der Fritz sah, daß
ihn kein Mensch beaufsichtigte.
„Jhl" dachte er, „wozu sollen die dummen
Spötter da oben so viel Punsch trinken?"
Und er nahni eine Flasche aus deni Korbe und
trank sie zur Hälfte aus.
„Jh!" dachte er, „die schmeckt ganz gut. Die
andern Flaschen werden nicht schlechter schmecken
— und die Kalbskotelettes?"
Er sann ein bischen nach und machte dann
die Stricke vorsichtig los und ließ den Luftballon
davonfahren. Den Korb versteckte er hinten im
Busch. Und dann rief der dumme Schweinejungc:
„HilfeI Hilfe! Hilfe!"
Und dann kamen die Andern und sahen, daß
der Luftballon fort war — die Andern waren
natürlich nicht ganz nüchtern — denn es war ja
Sylvestcrnacht. Und so schöpfte Keiner Verlacht.
Und Fritz, der Schweinejungc, aß nach
einer kleinen Stunde gemüthlich seine Kalbs-
koteletts und trank seinen feinen Punsch dazu.
Die großen Spötter fuhren durch Schnee
und Regen im Mondenschein durch die herr-
liche Sylvesternacht — hatten aber nichts zu
essen und nichts zu trinken.
„Verfluchte Zucht!" schrien sie im Chore.
Aber das half nichts. Fritz aß und trank
und lachte die Spötter aus.
Ein dummer Schweinejunge ist fast
immer zugleich auch ein verfluchter Schweine-
hund.
Hei! Da schaukelten die Spötter hoch
in der Lust, denn der Luftballon war mit
ihnen durchgegangen. Das kam davon!
Die Spötter wollten dem dummen Schweine-
jungen niemals die Ehre anthun, seine
Schweinewege zu verfolgen.
Da schaukelten sie jetzt oben in der Luft
— ohne Speise und ohne Punsch — daran
labte sich der unverschämte Fritz.
Die Spötter hätten sich gleich um acht
rlhr Abends den Punsch und die Kalbs-
kotelettes hinaufschicken lassen sollen. Dann
wäre das Unglück nicht passirt.
Man sollte sein Nachtessen nie aus den
Augen verlieren — denn Schweinejungen
gibts überall.
Die kunstsinnigen Frösche
Die Frösche, wie ein Jeder weiß,
pflegen die Runst mit Lust und Fleiß.
So saßen sie denn wieder einstmals
Im Sumpfe und quakten aus vollem Hals.
Da flog ein Vöglein über den Weiher
Und rief: „Noch immer die alte Leier?
Ouakquak ist doch längst nicht mehr modern,
Gebildete singen jetzt O.uck, meine Herrn I"
Und die Frösche, voller Bildungsdrang
probirtcn sofort den neuen Sang.
Nicht lange, da kam eine freche tNaus
Und lachte die strebsamen Frösche aus:
„O.uakquak, O.uekquck — heißt das Musik?
wenn ihr singen müßt, singt wenigstens O.uik!"
Und die guten Frösche sangen sogleich
Einstimmig O.uik quik in ihrem Teich.
Und wieder einer kam die Straß',
Ein Ochse war es mit tiefem Baß,
Der schimpfte: „Zum Teufel, was quikt ihr so fein
Geht einem ja durch Mark und Bein!
O.uuk ist dermalen guter Ton,
Ihr Banausen, wißt ihr noch nichts davon?"
Die Frösche schämten sich in der Seele. —
Dann sangen sie aus voller Rchle
Unisono — keiner blieb stumm —
Das neue Evangelium.
Schweigend stand daneben im Rohr
2luf einem Beine Freund Adcbor
Und dachte: „Sind doch ei» rechtes pack
Die poggen dort drüben mit ihrem Gequak;
Blähen sich auf ohne jeglichen Zweck,
Sind inwendig hohl und schmecken nach Dr .."
A. Mo.
54
JUGEND
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„Was ist da? nun wieder?" lacht' ich
auf. „Auch ein Aberglaube?"
„Vielleicht," antwortete sie. „Du gibst
mir Dein Wort?"
Sie ließ nicht eher ab zu quälen, bis ich
„Ja" sagte. —
So steckte denn die einsame Zigarette
in der rothen Juchtentasche. Sie bekam täg-
lich Kolleginnen, die täglich neuen Platz
machten. Aber wie bald all' die andern
auch in Asche aufgingen, — Lotte Jürgen-
scns Zigarette blieb auf ihrem alten Platze.
Wir ko' respondirten zuerst ziemlich viel-
Mit der Zeit drängte sich anderes da-
zwischen. Die Briefe von Berlin nach Hol-
stein wurden seltener. Und im Winter lernt'
ich auf einem Balle eine Frau kennen, die
ich sehr geliebt und um die ich viel gelitten
Hab'. Sie verwischte das Bild der kleinen
Jürgensen vollständig.
Wie gesagt, ich litt viel von dieser Frau-
die ich liebte. Eines Nachts saß ich allein
im Cafe. Am Abend hatte sie mich in einer
Gesellschaft so geschnitten, daß ich hätte
aufschreien mögen. Meinen Groll und ge-
knickten Stolz, meine Liebe und Sehnsucht
begrub ich nun im Alkohol — der Teufel
weiß, was ich für Zeug trank. Ich hatte
für nichts Augen. Ich starrte vor mich hin,
rauchte eine Zigarette nach der andern, trank.
Erst als neben mir die Lichter einer Krone aus-
gedreht wurden, schreckt' ich aus all den Grübeleien
ans. Vor mir lag die rothe Juchtentasche — leer.
Ich hatte Lotte Jürgensens Zigarette achtlos auf-
geraucht. Im Aschbecher fand ich den Rest, ich
erkannte ihn an der Staniolumhüllung.
Einen Augenblick war ich fast erschrocken, dann
lachte ich und ließ mir einen Briefbogen geben.
Ich schrieb an Lotte Jürgensen, daß ich aus Ver-
sehen das Verbrechen begangen und ihre Zigarette
zu Asche verwandelt hätte. Sie müsse mir schon
eine neue senden, da mich die leere Ecke in der
Tasche vorwurfsvoll anschaue.
Lange kam keine Antwort. Dann ein dicker
Brief, der Doppelporto kostete. In dem Briefe
stand ungefähr: „Ich Hab cs schon seit voriger
Nacht gewußt, daß Sie mich nicht mehr lieb haben.
Ich sah Sie in meinem Zimmer stehen, aber Ihre
Augen gingen achtlos über mich fort. Leben Sie
wohl und möge Ihr ganzes Leben glücklich sein."
Ihr wohlgetroffenes Bild lag dabei. Auf der
Rückseite las ich die Worte: „Bilder sind Erinner-
ungen. Sie haben erst dann ein Recht, wenn alles
vorbei rnid todt ist. Denken Sie manchmal an
diese „Todte.""
Ans meine späteren Briefe kam keine Antwort.
Ich selbst vergaß Lotte Jürgensen so wie die Zi-
garette. Eben fiel sie mir wieder ein. Denn in
Deinem Etui — damit wandte sich der Erzähler
an mich — steckte die letzte und einzige gerade so
in der Ecke. Das brachte mich ans die Geschichte.
Allons, Kinder — die Flaschen sind leer und das
Bett ist jetzt der beste Freund. Aber es ist toll,
was im Leben alles an einem vorbeikutschirt."
iTarl Buffe
FRITZ,
-DER ,
>SCHWEiNe-
JUNGE
t-Ya? hatte man den großen Spöttern immer ge-
sM sagt. Aber sic wollten nicht hören. Sie wollten
an die Gefährlichkeit der Dummheit nicht glauben.
Die Dummheit wird doch immer noch unter-
schätzt.
Wie gewöhnlich saßen die Spötter auch in der
Sylvcsternacht in der Prachtgondel ihres Luft-
ballons. Sie waren hoch in den Wolken so recht
fidel, denn die Prachtgondcl war natürlich fein
säuberlich mit dicken Glasscheiben auf allen Seiten
zugeschlossen.
Um zwölf Uhr nachts sollte natürlich der Punsch
mit den Kalbskotelettes nach oben geschickt werden.
Fritz, der Schweiucjunge, sollte den Korb hin-
aufschicken.
Der Ballon mit der Prachtgondel war mit
fünf festen, sehr langen Stricken unten angebunden.
Und da es Sylvcsternacht war, schien es ganz
natürlich, den Schweinejungen Fritz mit dem Korbe
bei den fünf Stricken allein zu lassen.
Es schlug halb zwölf und der Fritz sah, daß
ihn kein Mensch beaufsichtigte.
„Jhl" dachte er, „wozu sollen die dummen
Spötter da oben so viel Punsch trinken?"
Und er nahni eine Flasche aus deni Korbe und
trank sie zur Hälfte aus.
„Jh!" dachte er, „die schmeckt ganz gut. Die
andern Flaschen werden nicht schlechter schmecken
— und die Kalbskotelettes?"
Er sann ein bischen nach und machte dann
die Stricke vorsichtig los und ließ den Luftballon
davonfahren. Den Korb versteckte er hinten im
Busch. Und dann rief der dumme Schweinejungc:
„HilfeI Hilfe! Hilfe!"
Und dann kamen die Andern und sahen, daß
der Luftballon fort war — die Andern waren
natürlich nicht ganz nüchtern — denn es war ja
Sylvestcrnacht. Und so schöpfte Keiner Verlacht.
Und Fritz, der Schweinejungc, aß nach
einer kleinen Stunde gemüthlich seine Kalbs-
koteletts und trank seinen feinen Punsch dazu.
Die großen Spötter fuhren durch Schnee
und Regen im Mondenschein durch die herr-
liche Sylvesternacht — hatten aber nichts zu
essen und nichts zu trinken.
„Verfluchte Zucht!" schrien sie im Chore.
Aber das half nichts. Fritz aß und trank
und lachte die Spötter aus.
Ein dummer Schweinejunge ist fast
immer zugleich auch ein verfluchter Schweine-
hund.
Hei! Da schaukelten die Spötter hoch
in der Lust, denn der Luftballon war mit
ihnen durchgegangen. Das kam davon!
Die Spötter wollten dem dummen Schweine-
jungen niemals die Ehre anthun, seine
Schweinewege zu verfolgen.
Da schaukelten sie jetzt oben in der Luft
— ohne Speise und ohne Punsch — daran
labte sich der unverschämte Fritz.
Die Spötter hätten sich gleich um acht
rlhr Abends den Punsch und die Kalbs-
kotelettes hinaufschicken lassen sollen. Dann
wäre das Unglück nicht passirt.
Man sollte sein Nachtessen nie aus den
Augen verlieren — denn Schweinejungen
gibts überall.
Die kunstsinnigen Frösche
Die Frösche, wie ein Jeder weiß,
pflegen die Runst mit Lust und Fleiß.
So saßen sie denn wieder einstmals
Im Sumpfe und quakten aus vollem Hals.
Da flog ein Vöglein über den Weiher
Und rief: „Noch immer die alte Leier?
Ouakquak ist doch längst nicht mehr modern,
Gebildete singen jetzt O.uck, meine Herrn I"
Und die Frösche, voller Bildungsdrang
probirtcn sofort den neuen Sang.
Nicht lange, da kam eine freche tNaus
Und lachte die strebsamen Frösche aus:
„O.uakquak, O.uekquck — heißt das Musik?
wenn ihr singen müßt, singt wenigstens O.uik!"
Und die guten Frösche sangen sogleich
Einstimmig O.uik quik in ihrem Teich.
Und wieder einer kam die Straß',
Ein Ochse war es mit tiefem Baß,
Der schimpfte: „Zum Teufel, was quikt ihr so fein
Geht einem ja durch Mark und Bein!
O.uuk ist dermalen guter Ton,
Ihr Banausen, wißt ihr noch nichts davon?"
Die Frösche schämten sich in der Seele. —
Dann sangen sie aus voller Rchle
Unisono — keiner blieb stumm —
Das neue Evangelium.
Schweigend stand daneben im Rohr
2luf einem Beine Freund Adcbor
Und dachte: „Sind doch ei» rechtes pack
Die poggen dort drüben mit ihrem Gequak;
Blähen sich auf ohne jeglichen Zweck,
Sind inwendig hohl und schmecken nach Dr .."
A. Mo.
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