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Jugend: Münchner illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben — 6.1901, Band 1 (Nr. 1-26)

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Nr. 4
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1901

. JUGEND .

Nr. 4

• Die Neujahrsgelder

einrid) Bendelmanns fei. Wittwe, Wollsachen
und Tricotagen, hatte die Schmutzerei auf
me Höhe einer Wissenschaft erhoben. Heinrich
tiendelnmnns fei. Wittwe war eigentlich Dieser
lengm Wittwe seliger Wittwer aus deren zweiter
und vordem Prokurist, Disponent, Buchhalter
und Stuli für Alles des Herrn Heinrich Bendel-
>nann selber gewesen. Aus kleinen Anfängen
war das Geschäft zur Blüthe gediehen, nicht ei-
gentlich durch die Intelligenz der Besitzer, sondern
einfach, weil es an der verkehrsreichsten Ecke des
Marktes lag und der Bedarf an Wollsachen und
Trico.tagen mit dem Umfang der Stadt von selber
wuchs. , War schon Heinrich Bendelmann selig
eine Krämerseele von bornirtester Kleinlichkeit ge-
wesen: Herr Eusebius Knappich, sein Nachfolger
in Ehe und Geschäft, war noch ärger, ein wahres
Musterexemplar jener kurzsichtigen Gcschäftsmen-
schen, die durchs Knausern, nicht durchs Verdienen
in die Höhe kommen wollen. Und er kam auch
in die Höhe; die Firma war alt und ihre Waaren -
von jener ehrbaren Geschmacklosigkeit, welche die
gute deutsche Hausfrau für den sichersten Beweis
von Qualität anzunehmen, pflegt. Die Concurrerz
wagte sich nicht in die Nabe itnd so gedieh die
Firma ins Ungemessene. Eines Tages konnte
Heinrich Bendelmanns sel. Wittwe, nuiiinehrige
Knappich, nicht mehr in den engen Verschlag der
Kassa hinein — cs wurde ein Kassierer, daun ein
Buchhalter ängestellt, ein Schwarni von zwei Com-
mis und einem Lehrling durchflog den Laden —
der Großbetrieb war fertig. Als' man die hun-
dertfünfzig Kilo der Frau Knappich in kühle Erde
gebettet Hatte, begann ihr seliger Wittwer eigentlich
erst, sich zu fühlen. Er schaffte sich einen langen
Gehrock und. einen imposanten schwarzen Horn-
kneifer an, sprach hochdeutsch und posirte als
Handelsherr. Mit Vorliebe erzog er an seinen
Untergebenen herum, und es verging selten ein
Tag, an dem er sein Personal nicht durch irgend
eine kleine Ansprache erfreute. Das bescheidene
Gehalt, das er den Leuten bezahlte, würgte er
zum Ersten des Monats stets unter schweren
Wehen aus seiner Kasse heraus, und er entschädigte
lein wundes Gemüth bei der Auszahlung stets
Mch spitzige Redensarten über das schreiende
Mißverhältniß von Leistung und Salär.

Am meisten war er empört über den Unfug,
an die Angestellten Neujahrsgratifikationen bejah-
en zu sollen. In den ersten Jahren des Groß-
betriebs that er einfach, als dächte er nicht daran.
Schließlich begannen sie, ihn im Dezember sanft
aufmerksam zu machen — er hörte nicht. Im
nächsten Jahre wurden sie deutlich. Er runzelte
die Stirn und versprach, sich die Sache zu über-
legen. Um Neujahr aber rief ihn plötzlich eine
dringende Geschäftsreise in die Nachbarstadt, wo
er bei seinem mnthmaßlichen Erbneffen Kost und
Ouartier erhielt ä conro der Erbschaft. Am 3. Ja-
nuar kani er zurück; man erinnerte ihn wieder;
er bedauerte, die Sache für diesesmal im Drange
der Geschäfte versäumt zu
haben — aber zum näch-
sten Jahre gewiß!

Und von nun ab ent-
wickelte er im Umgehen der
gefürchtete» Ausgabe all-
jährlich ein Genie, das ihn,
auf sein Geschäft richtig an-
gewendet , zum Millionär
gemacht hätte; er wurde
zum Schauspieler ersten
Ranges und bereitete in
leinen täglichen Ansprachen
den Schlag schon Monate
vor. Im Oktober begann
er. mit den Leistungen des
Personals täglich unzn-
kriedener zu werden. Er-
spielte den Mann, der durch
die Unzuverlässigkeit seiner

Leute in seiner Existenz bedroht wird. Scharfer
Tadel wechselte mit mildem, schmerzlichem Zureden,
verzweifelte Resignation mit drohender Warner-
stimme und der Hoffnung auf Besserung. Als
schließlich Neujahr herannahte und der Wollsachen-
Gewaltige ein Wort fallen ließ von „diesmaliger
Sistirung der Neujahrsgeschenke", wagte Niemand
die bescheidenste Erwiderung. Schmunzelnd zählte
sich am Splvesterabend Herr Knappich die schlau
ersparten Goldstücke auf den Tisch — und ge-
nehmigte sich seinen langgewünschten Biberpelz da-
für. Denn ein Pelzmantel verleiht unbedingt dem
Träger Würde und Autorität.

Er halte jetzt bemerkt, was sich seine Leute um
des lieben Brodes willen gefallen ließen und ge-
dachte, die Neujahrsgeschenke auch fürderhin zu
sparen — im nächsten Jahre auf die gleiche, nnr
wenig veränderte, oder besser gesteigerte Weise!
Die Miene des wuthschnaubendcn Löwen steckte er
schon zu Ostern auf. Seine Leute arbeiteten wie
Galeoten, und wie Galeoten bekamen sie die Peit-
sche, wenn er gleich mit innerlichem Schmunzeln
wahrnahm, daß ihm seine zwei Commis vier er-
setzten. Neben der Angst vor den Neujahrsgcldern
halte er nun auch noch die, die Leutchen möchten
eine Aufbesserung verlangen. Um so rabiater führte
sich nun H. Bendelmanns sel. Wittwe auf. Um
ein zerrissenes Stückchen Einwickelpapier konnte er
eine Stunde reden, um einen verlegten Kinder-
strumpf zweie — auch wenn sich das Objekt nach
zehn Minuten wiederfand. Er wußte es so einzu-
richten, daß jeder Einzelne seiner Sklaven die Ueber-
zeugung hatte, auf ihn sei's ganz besonders abge-
sehen. Mit gutem Grund: Denn mit jedem Ein-
zelnen hatte er im Laufe des Sommers und Herbstes
Streit gesucht, bis der Wurm denn doch anfing,
sich zu krümmen. Dann holte ihn Knappich aber
flugs in sein Privatkontor, wo der Gedemüthigte
etwa Folgendes zu hören bekam: „Der Krug geht
solange zum Brunnen, bis er bricht. Auch meine
Lammsgeduld reißt endlich. Zu Neujahr können
Sie gehen, wenn sich nicht Alles totaliter ver-
ändert! Adieu!" Wie ein begossener Pudel ging
dann der Arme hinaus und arbeitete fürder wie
zwei Galeoten.

Am Sylvesterabend, nach Ladenschluß, ver-
sammelte Knappich seine Schaar, die zitternd der
Dinge harrte, die kommen sollten. Der Chef hielt
eine Ansprache voll väterlicher Milde, constatirte
eine leichte Besserung in den Leistungen seiner
Sklaven und ließ sich erweichen, sie auch fürder-
hin in der Firma Heinrich Bendelmanns sel.
Wittwe zu beschäftigen. Von einem Ncujahrs-
geld war nicht die Rede; die armen Teufel hatten
Heuer auch nicht entfernt daran gedacht.

Herr Knappich aber war nicht schmutzig, wie
andere Leute schmutzig sind, er war es mit Meister-
schaft und mit Genuß. Für das gesparte Geld
kaufte er sich eine goldene Repetiruhr. Eine solche
verleiht dem Geschäftsmann unbedingt das An- -
sehen solider Wohlhabenheit und ist fast soviel
werth, wie ein Orden.

Mit dem Poltern und Drohen ging es nun

im folgenden Jahre doch nicht mehr. „Versuchen
wir es mit dem Gegentheil!" dachte Herr Knappich
und war von nun ab gegen sein „gebessertes"
Personal zuckersüß, schmalzgut, butterweich! Für
das, was er früher knurrend befohlen, dankte er
jetzt mit zudringlicher Freundlichkeit. „Schonen
Sie sich! Arbeiten Sie nicht so angestrengt I'
sagte er jeden Tag zu den Leuten, die er allabend-
lich dennoch um eine Stunde länger im Geschäfte
hielt, als die Concurrenz! „Sie sollten an die
Riviera!" sagte er im Frühjahr, als der Commis
Meier ein wenig hustete. Er sprach von Einlad-
ungen , Sommerfesten, die sie zusammen veran-
stalten wollten, machte aber natürlich niemals
Miene, diese üppigen Pläne zu verwirklichen.
„Thun Sie was für Ihre Bildung," sagte er zu
dem Lehrling, der monatlich zehn Mark Salair
öekam und dessen Vater ein kranker Schneider-
geselle war, „gehen Sie in die Oper, bewegen
Sie sich in Gesellschaft! Ich lasse Sie gerne
mal eine halbe Stunde früher aus dem Geschäft!"
So hatte er für Jeden ein freundliches, väterliches
Wort. „Er stinkt vor Wohlwollen!" sagte der
Commis Müller, „was er wohl ausbrütet?" —
„Jedenfalls ist es so besser, als anders," meinte
der Commis Meier, „und über die Neujahrsgelder
kann er Heuer doch nicht weg!" — „Abwarten
uud Thee trinken!" brummte der Kassier, „ich
kenne den Alten besser."

. Recht hatte der Kassier I Ain Sylvesterabend
lammelte Knappich seine Getreuen im Kontor
und dankte ihnen für ihre aufopfernden Leistungen
nu verflossenen Jahre. Es war eine herrliche
Rede, Rührung erstickte seine Stimme, und seine
Augen waren feucht, mächtiges Schnauben unter-
brach ihn mehr als einmal und er produzirte,
ungebildet und geschwätzig, wie er war, geradezu
großartigen Unsinn. Endlich kam er zum Schlüsse:
„Meine Herrn, diese Aufopferung, Pflichttreue,
und dieses Standesbewußtsein ist in den Annalen
ohne Gleichen. Ditto meine Dankbarkeit, Ich weiß,
daß ich Sie durch jede materielle Belohnung für
solche Leistungen blos beleidigen würde So was
thut ein feinfühliger Mensch nicht. Blos meine
Freundschaft kann ich Ihnen offeriren und Sie
bitten: Betrachten Sie mich künftig nicht als
Chef — nein, als Bruder!" Er schluchzte laut —
„und noch einmal, meine Herren, Dant! Dank!
Dank!" Von Rührung übermannt, schüttelte er
jedem die Hand, daß sie knackte, den Lehrling
küßte er aus die Stirn und legte ihm segnend die
Hand auf den für diese Gelegenheit festlich geölten
Scheitel. Dann ging er mit großen Schritten ab,
mit seinem gelben Schnupftuch die Augen reibend!

„Schwein!" zischte ihm der Commis Meier nach,
als Knappich außer Hörweite >var. Dieser aber
kaufte sich einen hübschen Brillantring, den er am
Zeigefinger trug. Das giebt einem so was Lebe-
männisches — und Brillanten behalten ihren Werth!

Für Herrn Knappich war das Einsparen der
Neujahrsgelder ein Sport geworden, der ihm an
sich schon Freude machte, wie einem englischen
Roßmenschen ein gewonnenes Derby. Es war
vielleicht die einzige Gelegen-
heit seines Lebens, bei der-
er eine Art von Intelligenz
entwickelte. Der Plan für's
nächste Jahr war schon zu
Weihnachten reif. Bendel-
manns sel. Wittwe posirte
jetzt mit geschäftlichen Sor-
gen. Aus Dank und Rühr-
ung wurde mürrische Ver-
drossenheit. Ewige Wolken
hingen an seiner stupiden,
von lächerlichen kleinen Fal-
ten durchzogenen Stirne.
Worte wie „Unterbilanz,
Konjunkturen, Krisis, Con-
kurrenz, Weltinarkl" kehrte»
immer häufiger in seinen
täglichen Standreden wieder.
Als der Lehrling einmal,

57
Register
Fritz Frh. v. Ostini: Die Neujahrsgelder
Julius Diez: Herzlichen Glückwunsch
 
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