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Nr. 4

eine bleichsüchtige Semmel kauend, auf einer Kiste
saß, sah ihm Knappich tief in die erstaunten Augen,
legte seine Pfote auf die Schulter des Jungen
und flüsterte: „Glückliches Kindl Es genießt die
Gegenwart und kennt die Sorgen noch nicht!"
Das war so im Oktober, und die Leute im Geschäft
wußten, woran sie waren. Seine Sylvesterrede
schloß denn Knappich auch mit den Worten: „Nie-
mand kennt die Zukunft, ich hoffe, uns dnrchzn-
reißen — aber wer weiß! Hoffentlich kann ich
Sie Alle behalten — das wird das Höchste sein,
was ich leisten kann. Mehr nicht! Leider nicht!
So sehr mir das Herz blutet, nicht! — Die Com
cnrrenz ist übermächtig! Guten Abend, meine
Herrn!" —

Dieses Mal hörte Herr Knappich ganz deut-
lich das Wort „Schmierfink," als die Herren
hinansgingen Und der ©roll hierüber gab ihm
denn auch gleich den Plan fürs kommende Jahr
ein. Er combinirte jetzt die geschäftliche Verzweif-
lung mit persönlicher Unliebenswürdigkeit und
Beides wurde ihm doppelt leicht, nicht weil etwa
das Geschäft wirklich schlechter ging, aber weil
doch das Gespenst einer ernsthaften Concurrenz
drohend heranfstieg. Da war ein gewisser Herr
Sally Rosenstern, der ganz in der Nähe einen
großen Laden gemiethet batte und außer Woll-
nnd Tricotagesachen auch noch Kurz- und Schnitt-
waaren führte in idealem Zusammenhang mit
Wäscheconfektion und Galanteriegegenständen. Ro-
senstern zog die Kunden durch Billigkeit a». Was
bei Knappich 3 Mark kostete das kostete bei der
Concurrenz nach den großen Preiszetteln in der
Auslage 2 Mark. Blos stund daneben in ganz
kleiner Schrift noch „98 Pfennige." Den Dienst-
mädchen schenkte der Herr Sally Taschenspiegel
und den Kindern Reklamebildchen — es war
der nnlantere Wettbewerb, wie er im Buche steht!

Aber Bendelmanns sel Wittwe hatte auch ihre
Chancen und nicht die schlechteste davon war die
Tüchtigkeit des wohl eingeschnlten Personals.
Wenn man Rosensterns impertinente, schmierige,
zusammengelesene Ladenschwengel mit den ruhigen,
manierlichen, jungen Kanflenten Knappich's ver-
glich — es war wie Nacht und Tag! Das wußte
Knappich recht wohl, er war aber beschränkt und
schäbig genug, seine Leute nun erst recht zu drücken
und zu quälen. Die üble Laune, die er dabei
zeigte, war ja echt — er brauchte nur hinüberzn-
sehen zu dem Concurrenzladen, i» dessen Thüre
ein fetter kleiner Herr mit einer blitzenden Gold-
kette über dem Bauch stand, dann war er sofort
im Stande, eine einstündige Strafpredigt loszn-
lassen, verbunden mit einem ebenso langen Klage-
lied über den unabwendbaren Ruin der alten
Firma. Im Frühjahr sprach er nur von gesteig-
erter Thätigkeit, im Juli schon von Einschränk-
ungen, im September von möglichen Entlassungen
und am 1. Oktober trommelte er sein ganzes Per-
sonal zusammen und kündigte ihnen eu bloc für
Neujahr. „Allein kann ich mich dann vielleicht
eher durchschlagen!" sagte er. Er dachte, dieses
Mal auch noch eine kleine Gehaltsredukiiou hcr-
auszuschlagen; die Leute würden ja schließlich doch
froh sein, wenn er sie nur bei sich behielt, wie
sie damals froh gewesen waren.

Ter Winter kam, milde und warm, wie noch
nie, und die Leute kauften für Weihnachten alles
Andere lieber, als Wollsachen. Knappich war ewig
düster und spielte den gebrochenen Mann. Merk-
würdiger Weise aber gelang es ihm nicht mehr,
seine Untergebenen in üble Laune zu versetzen.

Sie kicherten und lachten, wenn sie unter sich
waren, lind oft kam cs ihm vor, als wären ihre
Antworten spöttisch und ihre Fragen voll Iro-
nie. Dann sagte er sich aber doch wieder, daß
die Leute in Angst und Bange» schweben müß-
ten und daß ihr Grinsen vielleicht nur das
Grinsen der Verzweiflung sei. Und hin und
wieder machte er eine Ändeutung, er werde
sich am Ende doch wieder erweichen lassen.

Als der Sylvesterabend angebrochen war,
rief der Chef das Personal in sein Contor. Er

» JUGEND .

Vignette der Einladungskarte des Münchner
Journalisten- und Schriftstellervereins

lehnte, das sorgenschwere Haupt auf den Arm
gestützt, an seinem Stehpult, melancholisch wie ein
Leichenstein und kalt wie Eis. So begann er mit
matter Stimme eine ausführliche Klage über den
schlechten Geschäftsgang. „Das Gespenst der Krida
nagt an Bendelmanns fei. Wittwe," sagte er -
Plötzlich wurde er unterbrochen: Der Commis
Meier fing an zn reden, ohne daß er nm's Wort
gebeten hatte, er drückte das Beileid des Personals
mit wunderschönen Redensarten ans und einen
Moment glaubte Knappich an die Ernsthaftigkeit
dieser Suada. Aber cs kam immer kräftiger.
Meier sprach bereits vom bitteren Hungertuch, von
Jammer und Noth, von Obdachlosigkeit und trost-
losem Alter, und je schwärzer seine Farben wur-
den, desto fröhlicher grinsten die Andern. Es
war aber unverkennbar das Grinsen boshafter
Schadenfreude. Schließlich nahm Meier seinen
Hut und mit den Worten „wir wollen wenigstens
ein Schärflein zur Linderung der ersten Noth bei-
tragen!" sammelte er bei den Collegen ein; Kupfer-
geld, Nickel, sogar ein Fünszigpfennigstück flog in
de» Hut, auch der Lehrling spendete einen Fünfer.
Meier aber leerte den Hut auf Knappichs Schreib-
tisch ans und sagte noch: „Mehr haben wir selber
nicht, Sie wissen, wie man in diesem Hans be-
zahlt wird!"

1901

Der Chef wurde abwechselnd puterroth und
wieder bleich. Er war wohl ein unverschämter
Schwätzer, aber um schlagfertig zu sein, dazu war er
doch zu dumm. Und indeß er in seiner Wnth nach
Worten rang, ergriff Meier auf's Nene das Wort:
„Und nun Herr Prinzipal, unser herzliches
Lebewohl und unsere besten Wünsche für die
Zukunft —"

„Da wir ja gekündigt sind und heute ans
Ihrem Dienst scheiden!"

„Seien Sie ohne Sorge um uns! Wir sind
in der gleichen Branche gut nntergekommenl"

„Bei Sally Rosenstern gegenüber!"

Ein Wnthschrei I Knappich ergriff ein eisernes
Lineal, als wollte er Meier damit erdolchen und
schnappte immer noch nach einem artikniirten Aus-
druck seiner Meinung. Aber weg waren sie!
Und auf dem Gange pfiff der Lehrling den Ra-
detzkymarsch. —

Stöhnend saß der Chef der Firma noch eine
Viertelstunde vor seinem Schreibtisch, mechanisch
die Münzen der Meier'schen Collekte zusammen-
streichend — 78 Pfennige und ein Messingknopf.
Den warf er in die Ecke.

Und wie geistesabwesend, steckte er schließlich
die Geldstücke in die rechte Westentasche, wo er das
Kleingeld für die Pferdebahn zu verwahren pflegte!

Fritz von Ostiiii

Stimmungsbild

Ein deutscher Soldat sitzt einsam
In der Rhakiuniform
Im deutschen Lager bei Taku,

Ihn fröstelt und hungert enorm.

Ihm träumt von seiner pauline,

Die dient beim Lommerzienrath,

Die seiner gedenkt noch in Liebe —

Und füttert nen andren Soldat.

ii. \v.

Honny soit, qui mal y pense!

Lord Roberts hat das Hsscnband,

Der Fcldmarschällc perle;

Und obenein macht hohe Hand
Ihn ungesäumt zum Earls,
wer will ein bcsircs Siegcspfand?

Lord Roberts har das Hsscnband I

Lord Roberts hat das Hosenband —
Und lächelt vornehm heiter;

In Afrika herrscht Mord und Brand,

Der Rricg geht ruhig weiter.

Höchst fraglich blcibt's, wer überwand
Doch Roberts hat das Hsscnband!

Lord Roberts hat das Hosenband:
wer darf noch schmähn und spotten,

Daß Albion's Heer im Burenland
Gehaust wie Sanskulottcn?!

Beweist ja doch der Tharbestand:

Lord Roberts hat das Hsscnband!

Helene Itüll'

Tolstois neuestes Drama „Die Leiche" ist
in München zur Aufführung angenommen
worden.

Die Gespräche über das also betitelte Stück
werden sich jedenfalls sehr erfreulich gestalten,
Z. B.:

„Waren Sie schon in der .Leiche'?"

„Die .Leiche' ist täglich ansverkanft."

„Ich habe mich gestern bei der .Leiche'
großartig unterhalten."

„Die .Leiche' muß man sehen" «. s. w.
Hoffentlich folgt der „Leiche" nicht alsbald
das Begräbnißl
Register
M. W.: Stimmungsbild
Arpad Schmidhammer: Schüttelreime
Paul Rieth: Vignette der Einladungskarte zum Dienstbotenball 1901
Helene Raff: Honny soit qui mal y pense!
[nicht signierter Beitrag]: Tolstois neuestes Drama...
 
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