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1901

E. L. Hoess (Immenstadt)

Kesseltreiben!

Iagdskizze von Anton Lreiherrn von persall,
mit zwei Zeichnungen von E. C. Doch

„Inter quatrupedes gloria prima lepus,“ schreibt
lllartial —

„Das Thierchen ist zu artig, als daß nicht
Jeder, der es spüren, finden und fangen sollte,
alles, was er liebt, vergaffe!" — Tenoxhon.

Menu ich mich auch der Anficht meiner ver-
ehrten Herren Collegcn nicht rückhaltlos an-
schlicßen kann, so hoffe ich doch damit im Voraus
Ihre verächtlichen Anschauungen über den win-
digen Gesellen einigermaßen zu mildern. Füge
ich noch bei, daß ein römischer Schriftsteller vom
Kaiser Alexander Severus erwähnt, feine Schön-
heit käme vom vielen Hafen-Essen her, so dürfte
diese Hoffnung, wenigstens was die verehrten
Damen betrifft, mich nicht betrügen.

Mas mich an ihm reizt, ist der Fluch des
Schicksales, der geradezu erschütternd auf ihm
lastet, während zugleich sein ewig ängstliches
lvesen, das ihm unter den Naturforschern den
Ehrennamen vepus timidus verschafft hat, jede
tragische Wirkung aufhebt, und so bei der Be-
obadftung seiner vielgestaltigen Leiden die Komik
das Mitleid ablöst, ein Vorgang, auf welchem
die gcmiithbewegende Wirkung eines jeden Lust-
spieles beruht.

Die ganze lebendige Natur scheint gegen ihn
verschworen. Alles pickt, stößt, schlägt, läuft und
beißt nach ihm. Sein arkadisches Heim im saft-
igen Grün der wiesen, im kühlen Dickicht der
Wälder, im klirrenden Schilf, wird jeden Augen-
blick zum Schauplatz des tückischen Mordes, zum
plane endloser Bedrängniß.

lind wenn Schnee und Kälte, alle Unbilden
der Witterung glücklich überwunden, wenn er den
beschwingten Mördern glücklich ent-
wachsen, wenn Hund, Katz' und Fuchs
und Marder alle Schliche vergebens an
ihm verschwendet, dann tritt der Mensch
ihm erst entgegen, das Ebenbild Gottes
verwandelt das Feld seiner Leiden in
einen Spielplatz willkürlicher Lust, wohl-
gefügten Sportes, dessen dunkler Grau-
samkeit er in edft machiavellistilchem
Geiste die liebenswürdigsten, geinüth-
lichsten Lichter der Geselligkeit aufzu-
setzen weiß.

Sehen Sie, das ist mein Fluch, daß td; immer
den dunklen Grund sehe und die Flunkerlichter
des Lebens mid; doch so reizen, die darauf wie
Irrwische spielen. — Nur nicht darnach greifen
wollen, sofort verschwinden sie — der Reflex im
dunklen Grunde sei der lehrreiche Gewinn.-

Die Bahnhofhalle ist nur spärlich beleudftet,
um den geschlossenen Schalter lungern die erste»
Iagdgäste in Joppe, Gamaschen und geschmierten
Stiefeln.

Lin eisiger Morgen, die Hunde an den Leinen
zittern, heben die Pfoten und ziehen den Schwanz
ein. Schwere Stiefeln trippeln auf dem Mosaik-
boden. Alles ist übernächtig, die Bediensteten,
mit den schwankenden Laternen, die vermummten
Milchfrauen an den polternden Karren, die spär-
lichen Reisenden, das Licht, die Luft, die heiseren
Pfiffe der Rangirmaschinen; auf Allem lastet die
(Pual des aus seiner Ruhe aufgestachelten Willens.

„Und die Ersten werden die Letzten sein" —
Junge Uebereifrige, welche die Erwartung des
Tages nicht schlafen ließ, schlichte Veteranen der
Diana, altgewohnte Frühaufsteher, die erste Sorte
mit mißtrauischem Blicke umkreisend.

Die Creme kommt erst kurz, bevor der Schalter
mit matinaler Energie emxorschnellt. Grund-
charakter mtlitärifd;, jenes unausrottbare süd-
deutsche Aroma beigemischt, welches bei dem Pen-
sionisten mit elementarer Gewalt sich wieder durch-
ringend eine gewisse gemllthliche Ritterlichkeit er-
zeugt.

Das eivile Element mischt sich darunter in
den verschiedensten Abstufungen und Typen, eine
förmliche Terrainkarte des Lebenskreises, meldet»
der Iagdherr angehört, feiner Beziehungen, Ver-
pflichtungen, Anschauungen, mit allen Haupt-
straßen und Nebenwegen, oft bis zu den ver-
borgensten Fußsteigen herab. —

(Eilt heimliches Spielchen im Hinterzimmer,
die Erinnerung an eine jetzt verheirathete Jugend-
freundin, die Lifersudft, welche ein Gewissen für
einen Tag unschädlich machen will, eine dunkle
Hoffnung oder Furdft, schafft einen Gast, über
den sich das Gros, die Jugend-, Kneip-, Berufs-
und Hausfreunde, die längste Zeit vergebens den
Kopf zerbrechen.

Die Halle füllt sich mit Bewaffneten. Das
Feld ist groß, die Iagdpadft hoch, die Ernte muß
möglichst intensiv betrieben werden.

Fremde Reisende drücken sich bescheiden, inii
ihrem Köfferchen, durch diese verwetterte Hordc
mit ihren knurrenden, leinenzerrenden Hunden.

Es ist Zeit zum Einsteigen.

In der Halle braut der Nebel um die elek-
trischen Monde.

Raffelnd mit Fluch und Pardon auf der Lippe
wird Platz genommen, — dritter Klaffe. Mau
sitzt heute einmal lieber auf Holz.

„Auf Dornen schlief ich wie auf Flaum",
heißt's im alten Iägerlied.

Erst ein Tohuwabohu von Stimmen — waldl!
Diana! Perdrix! und Lord! bis jeder Gewehr-
kolben und jede Fußzehe ihren schmerzfreien Platz
errungen.

„San's so guat, Herr Graf, grad a bisserl —
so — jetzt geht's schon! — Guusch, Fcldmann,
guusch! — Au, das war ich! — Pardon, Herr
Praktikant! —

wenn's mich vielleicht in's Eckerl! — Bitte,
sitz' ganz gern da. — Fenster auf! Man der-
ftickt ja! — wollen Sie gefällig 'mal da drüben
zumacheu! Ja? Bitte! —

Allmählich wird's stiller, ans den heißerstrebteu
Lckerln tönen Schnarchlaute, die Cigarren glimmen,
die Pfeifen qualmen, wie delphischer Dampf zieht
es herauf uitter den Bänken, löst und bindet
Zungen, läßt Augen ftdj verschleiern
im holden verdämmern, oder aufblitzen
in dithyrambischer Begeisterung. —
„wissen Sie, eigentlich ist mir's gar
nidft um's Schießen, — die Bewegung,
Natur — das ist die Hauptsache." —
„Ein Stück! Enten g'fällig, Herr Vberst?"

„Danke, versehen. Da gehen Sie ein-
mal in's Hochgebirg, — Hirschbrunst,
Gemsjagd. — Da können Sie was er-
leben von Bewegung und Natur, ohne
einen Schuß zu thun. —

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Index
Anton Frh. v. Perfall: Kesseltreiben!
Eugen Ludwig Hoess (Höß, Hoeß): Zeichnungen zum Text "Kesseltreiben!"
 
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