Nr. 5
JUGEND
1901
Lin zweites Signal dient als Zeichen,
daß von nun an nicht mehr in den Kessel,
nur mehr nach außen geschossen werden darf.
Jeder Schütze ist jetzt kennbar in seiner
Schwäche und Größe. —
Der „ksitzige" mit dem rastlosen Schnell-
feuer auf alle Distanzen, — der „Zwazler",
der nimmer zum Drücken kommt, — der
„Neidige" — und der „Großmütlsige", der
ausgemachte „Batzer", und der kalte, feld-
geübte Schütze in seiner unerschütterlichen
Indianerruhe, während im Innern des
Kreises sich die Bühne des Todes immer
mehr verengt und Sceuen bietet, die dem
lvaidmanu und dem Menschen die Freude
an dem Ganzen vergällen.
Die Angeschosseneu tragen das Lutsehen
in die Reihen der bisher Geretteten. Lin
toller kopfloser Wirrwarr entsteht, von allen
Seiten dampft und donnert der Tod.
Die Feigheit wird heroisch, ganze Klum-
pen stürzen sich in's Feuer, was fällt, das
fällt, hinter der schmalen Linie liegt die
Freiheit, das Leben.
Endlich schließt der Kreis sich völlig, der
Iagdherr bläst Schluß. — Treiber strecken
die Beute, — in Reih' und Glied' 80 Stück.
Man erzählt sich die kleinen Abenteuer
der Furche. Greise erglühen vor Erregung,
Bescheidene werden Renommisten, Renom-
misten zu ausschweifenden Dichtern.
Vorwärts, der zweite Kessel winkt! Line
kleine waldparcelle in der Mitte gelegen
macht ihn noch pikanter, — vielleicht ein
Rehbock, oder gar ein Fuchs! Die Sonne
hat jetzt den Sieg errungen. Milliarden
Strahlen zucken über das glitzernde Feld.
Das Wäldchen bat sein Versprechen ge-
halten, ein Rothschwanz liegt auf der
Strecke mitten unter seinen Lieblingen, —
vor dem Menschen sind Alle gleich.
Zu einem Knödelbogen, von dem alte
Zeiten rührend erzählen, läßt man sich in
den Zeiten des Motoren betriebes nicht her-
bei. Das Ganze ist Geschäft, dessen Saldo
stimmen muß. Die Atzung wird womöglich
im Gehen genommen, während sich der
letzte Kessel aufrollt, wieder dasselbe Stück,
mit ganz spärlichen Varianten. Der Rest ist,
daß man des Mordens satt. Kein Anklang
an das Kraftgefühl, die waidmannslust
vor heißerstrittener edler Beute.
Blutroth sinkt der Sonnenball, hinter
dem schwarzen Geäst der Ulmen, in das
Nebelmeer. In düsterem weiß liegt das
Schlachtfeld. Aufgelöst, ermüdet, nicht er-
quickt zieht -sich die Truppe zurück, dem
Bahnhofe zu. Knarzend folgt der schwer
mit Beute beladene wagen. Der Letzte
kommt gerade noch recht zum Zug. —
Lingcpackt, Thüren zngeworfcn, — ab! —
Der Dberst hat zwanzig Stück gestreckt und
erzählt plastischer als je die Geschichte von
dem st eperischen Zwölfer.
Der Bergwald rauscht, die Firnen er-
glänzen im Abendroth. Der Brunftschrei
hallt durch die Thäler.
Andächtige Stille herrscht, ein Ahnen
zieht durch jedes Iägerherz, — das ist ein
ander Iverk!
Der Geweihte ist eben erst gestürzt, so
ausführlich erzählt der Dberst, — da donnert
der Zug schon in die Halle. — Bayerischer
Hof — Jahreszeiten — Stachus — Rother
Hahn! — Neueste Nachrichten — Figaro —
Frankfurter — Gbacht! Aufg'schautl Sil«
leten! Droschken g'fällig! —
„Ah, fjerr Doctor, den ganzen Tag
möcht' ich Sie schon sprechen, — aber un-
möglich bei der Hetz' —"
„Entschuldigen Sie vielmals, aber ich
muß noch die elektrische-Gute Nacht 1"
Dahin ist er. —
von Neuem beginnt das Kesseltreiben.
ORRLlSLfiE Ulcrtbe können
nicht einfach ein- und abge-
setzt werden, diktatorisch) sie
werden nicht gemacht, sondern
sie wachsen) sie sind organ-
ische formen unsrer Gefühls-
welt, epochalenUmgestaltungen
unterworfen, wie die baut (und
was darunter Ist) unsres Pla-
neten (und was um ihn ist),
und jede Phase hat in ihrer
Daturgeschichte ihr gewalt-
iges Recht. Und es ist gut so, und wenn ich etwas griisse
in der Hielt, so ist es dieser um jede starre Meinung unbe-
kümmerte freie Wandel der Seele.
Das Heben ist schwer — ein Grund mehr, es auf die leichte
Schulter zu nehmen.
Seit Goethe die Bescheidenheit so in Misskredit gebracht
hat, spielt sich die frechheit als Crumpf aus.
Die fürchterlichste Mitgift, die jeder Cheil in die Eht mit-
bringt, ist die beiderseitige Verwandtschaft. Bei feinerer Ron-
stitution mag es recht ein Chehinderniss werden. — Da habt
ihr mit der höchsten Seelenarbeit die reinste Zuchtwahl geübt,
und wollt euch eben selig in die Arme sinken und jubilieren)
ganz mein — ganz dein — unser allein! — da legen sich
plumpe Bände vertraulich auf eure Schultern, und Mäuler drängen
sich zum Russe heran, Mäuler und Bände, die ihr in eurem
Leben nie berührt hättet-die Verwandtschaft nennt es sich.
Glne Sünde, die mich weckt, Ist besser als eine Lugend-
an der ich einschlafe.
•
In jedem Ziel liegt täuschung) bis wir dahin gelangen, ist
es verändert oder wir. Untrüglich ist nur unser Strebeni er-
reicht es auch kein Ziel, so baut es doch uns ltlus kein, zum
Streben.
Schlummerndes nicht wecken. Erwachendes nicht aufschrecken,
süss austräumen lassen, das Erwachte In Pflege, Zucht und
Schule nehmen — das ist ein wen.g Rindergärtnerei.
Zeno
Der Dichter
Hebet verschleiern
Dir Meg und Ziel —
Hun lausche dem eignen
Saitenspiel.
Nun spinne das Het|,
Das die goldene CQelt,
Die gleitende Beute,
Ergreift und hält...
fiermann Ubell
Gesundes Begehren
Ich liebe die rothwangige Gesundheit,
Die schlichte Wahrheit schell ich nie gemein,
Des raschen Lebens farbenfrohe Luntheit
verklärt die Welt mir wie ein Heiligenschein.
Lin klarer See, die Glieder drin zu kühlen,
Lin grüner Wald und eine Vlumenan —
Und soll ich ganz und gar mich selig fühlen —
Jn meinen Armen eine holde Frau —
Der soll voll Zweiunddreißig blanken Zähnen,
Lin weißer Zaun, der süße Schnabel stehn,
Dahinter will beim Lachen ich und Gähnen
Lin rothdornfarbnes spitzes Zünglein sehn —
Das soll beim Küssen wie ein Schlänglein
schlüpfen,
3um Schwätzen darf fle's brauchen allenfalls -
Doch wenn sie schweigt, soll sie die Arme knüpfen
wie eine Schlinge fest um meinen Vals.
Ernst von Molzogen
Lin nächtlicher Freier
Von Arthur Vandel-Vamer
Sohn Bloom war der einzige Sohn eines
, Laneashirefarniers. Er war ein stäm-
miger Bursche, sechs Fust hoch, mit breitem,
rolhem Gesicht, das nicht eben Viel Haar-
schmuck aufzuweiscn hatte. Seine großen,
blauen Augen blickten sehr harmlos in die
Welt. Er hätte sich gern nach einer eigenen
Farn: umgesehen, aber erst mußte er eine
Frau haben, und am Abend, wenn er in
aller Beschaulichkeit, an die Mauer, die das
Väterliche Gehöft umgab, gelehnt, seine Pfeife
rauchte, dachte er: „Warum denn nicht?"
Das dachte er, seitdem er Dreißig geworden,
und nun zählte er Dreiunddreißig.
Und noch zwei andere Menschen dachten
dasselbe.
Diese zwei anderen Menschen waren ztvei
Frauen, die eine war John's Mutter, die
andere war Bets» Gee. Aber diese Beiden
dachten es etwas ungeduldiger, dieses:
Warum denn nicht?
Betsh Gee war die einzige Tochter von Thi-
motheus Gee, Pächter und nächstem Nachbar
der Blooms.
Betsh war ein gutes Mädchen, hübsch und
kräftig gebaut. Sie hatte runde, feste Arme
und war breit um die Hüften. Ihr Gesicht
war länglich, die Stirne breit und niedrig,
ihre Haare und die scharf gezeichneten Augen-
brauen hatten dieFarbe von braunem Kandis-
zucker, ihre Augen waren hell und klug, ihre
Haut weiß, wie der Nebel, der im Thalgrunde
liegt, und rosig, wie ein Gänseblümchen, mit
einem leichten, goldigen Schimmer, wie das
Ei von einem ihrer Hühner. Hhre Aähne
JUGEND
1901
Lin zweites Signal dient als Zeichen,
daß von nun an nicht mehr in den Kessel,
nur mehr nach außen geschossen werden darf.
Jeder Schütze ist jetzt kennbar in seiner
Schwäche und Größe. —
Der „ksitzige" mit dem rastlosen Schnell-
feuer auf alle Distanzen, — der „Zwazler",
der nimmer zum Drücken kommt, — der
„Neidige" — und der „Großmütlsige", der
ausgemachte „Batzer", und der kalte, feld-
geübte Schütze in seiner unerschütterlichen
Indianerruhe, während im Innern des
Kreises sich die Bühne des Todes immer
mehr verengt und Sceuen bietet, die dem
lvaidmanu und dem Menschen die Freude
an dem Ganzen vergällen.
Die Angeschosseneu tragen das Lutsehen
in die Reihen der bisher Geretteten. Lin
toller kopfloser Wirrwarr entsteht, von allen
Seiten dampft und donnert der Tod.
Die Feigheit wird heroisch, ganze Klum-
pen stürzen sich in's Feuer, was fällt, das
fällt, hinter der schmalen Linie liegt die
Freiheit, das Leben.
Endlich schließt der Kreis sich völlig, der
Iagdherr bläst Schluß. — Treiber strecken
die Beute, — in Reih' und Glied' 80 Stück.
Man erzählt sich die kleinen Abenteuer
der Furche. Greise erglühen vor Erregung,
Bescheidene werden Renommisten, Renom-
misten zu ausschweifenden Dichtern.
Vorwärts, der zweite Kessel winkt! Line
kleine waldparcelle in der Mitte gelegen
macht ihn noch pikanter, — vielleicht ein
Rehbock, oder gar ein Fuchs! Die Sonne
hat jetzt den Sieg errungen. Milliarden
Strahlen zucken über das glitzernde Feld.
Das Wäldchen bat sein Versprechen ge-
halten, ein Rothschwanz liegt auf der
Strecke mitten unter seinen Lieblingen, —
vor dem Menschen sind Alle gleich.
Zu einem Knödelbogen, von dem alte
Zeiten rührend erzählen, läßt man sich in
den Zeiten des Motoren betriebes nicht her-
bei. Das Ganze ist Geschäft, dessen Saldo
stimmen muß. Die Atzung wird womöglich
im Gehen genommen, während sich der
letzte Kessel aufrollt, wieder dasselbe Stück,
mit ganz spärlichen Varianten. Der Rest ist,
daß man des Mordens satt. Kein Anklang
an das Kraftgefühl, die waidmannslust
vor heißerstrittener edler Beute.
Blutroth sinkt der Sonnenball, hinter
dem schwarzen Geäst der Ulmen, in das
Nebelmeer. In düsterem weiß liegt das
Schlachtfeld. Aufgelöst, ermüdet, nicht er-
quickt zieht -sich die Truppe zurück, dem
Bahnhofe zu. Knarzend folgt der schwer
mit Beute beladene wagen. Der Letzte
kommt gerade noch recht zum Zug. —
Lingcpackt, Thüren zngeworfcn, — ab! —
Der Dberst hat zwanzig Stück gestreckt und
erzählt plastischer als je die Geschichte von
dem st eperischen Zwölfer.
Der Bergwald rauscht, die Firnen er-
glänzen im Abendroth. Der Brunftschrei
hallt durch die Thäler.
Andächtige Stille herrscht, ein Ahnen
zieht durch jedes Iägerherz, — das ist ein
ander Iverk!
Der Geweihte ist eben erst gestürzt, so
ausführlich erzählt der Dberst, — da donnert
der Zug schon in die Halle. — Bayerischer
Hof — Jahreszeiten — Stachus — Rother
Hahn! — Neueste Nachrichten — Figaro —
Frankfurter — Gbacht! Aufg'schautl Sil«
leten! Droschken g'fällig! —
„Ah, fjerr Doctor, den ganzen Tag
möcht' ich Sie schon sprechen, — aber un-
möglich bei der Hetz' —"
„Entschuldigen Sie vielmals, aber ich
muß noch die elektrische-Gute Nacht 1"
Dahin ist er. —
von Neuem beginnt das Kesseltreiben.
ORRLlSLfiE Ulcrtbe können
nicht einfach ein- und abge-
setzt werden, diktatorisch) sie
werden nicht gemacht, sondern
sie wachsen) sie sind organ-
ische formen unsrer Gefühls-
welt, epochalenUmgestaltungen
unterworfen, wie die baut (und
was darunter Ist) unsres Pla-
neten (und was um ihn ist),
und jede Phase hat in ihrer
Daturgeschichte ihr gewalt-
iges Recht. Und es ist gut so, und wenn ich etwas griisse
in der Hielt, so ist es dieser um jede starre Meinung unbe-
kümmerte freie Wandel der Seele.
Das Heben ist schwer — ein Grund mehr, es auf die leichte
Schulter zu nehmen.
Seit Goethe die Bescheidenheit so in Misskredit gebracht
hat, spielt sich die frechheit als Crumpf aus.
Die fürchterlichste Mitgift, die jeder Cheil in die Eht mit-
bringt, ist die beiderseitige Verwandtschaft. Bei feinerer Ron-
stitution mag es recht ein Chehinderniss werden. — Da habt
ihr mit der höchsten Seelenarbeit die reinste Zuchtwahl geübt,
und wollt euch eben selig in die Arme sinken und jubilieren)
ganz mein — ganz dein — unser allein! — da legen sich
plumpe Bände vertraulich auf eure Schultern, und Mäuler drängen
sich zum Russe heran, Mäuler und Bände, die ihr in eurem
Leben nie berührt hättet-die Verwandtschaft nennt es sich.
Glne Sünde, die mich weckt, Ist besser als eine Lugend-
an der ich einschlafe.
•
In jedem Ziel liegt täuschung) bis wir dahin gelangen, ist
es verändert oder wir. Untrüglich ist nur unser Strebeni er-
reicht es auch kein Ziel, so baut es doch uns ltlus kein, zum
Streben.
Schlummerndes nicht wecken. Erwachendes nicht aufschrecken,
süss austräumen lassen, das Erwachte In Pflege, Zucht und
Schule nehmen — das ist ein wen.g Rindergärtnerei.
Zeno
Der Dichter
Hebet verschleiern
Dir Meg und Ziel —
Hun lausche dem eignen
Saitenspiel.
Nun spinne das Het|,
Das die goldene CQelt,
Die gleitende Beute,
Ergreift und hält...
fiermann Ubell
Gesundes Begehren
Ich liebe die rothwangige Gesundheit,
Die schlichte Wahrheit schell ich nie gemein,
Des raschen Lebens farbenfrohe Luntheit
verklärt die Welt mir wie ein Heiligenschein.
Lin klarer See, die Glieder drin zu kühlen,
Lin grüner Wald und eine Vlumenan —
Und soll ich ganz und gar mich selig fühlen —
Jn meinen Armen eine holde Frau —
Der soll voll Zweiunddreißig blanken Zähnen,
Lin weißer Zaun, der süße Schnabel stehn,
Dahinter will beim Lachen ich und Gähnen
Lin rothdornfarbnes spitzes Zünglein sehn —
Das soll beim Küssen wie ein Schlänglein
schlüpfen,
3um Schwätzen darf fle's brauchen allenfalls -
Doch wenn sie schweigt, soll sie die Arme knüpfen
wie eine Schlinge fest um meinen Vals.
Ernst von Molzogen
Lin nächtlicher Freier
Von Arthur Vandel-Vamer
Sohn Bloom war der einzige Sohn eines
, Laneashirefarniers. Er war ein stäm-
miger Bursche, sechs Fust hoch, mit breitem,
rolhem Gesicht, das nicht eben Viel Haar-
schmuck aufzuweiscn hatte. Seine großen,
blauen Augen blickten sehr harmlos in die
Welt. Er hätte sich gern nach einer eigenen
Farn: umgesehen, aber erst mußte er eine
Frau haben, und am Abend, wenn er in
aller Beschaulichkeit, an die Mauer, die das
Väterliche Gehöft umgab, gelehnt, seine Pfeife
rauchte, dachte er: „Warum denn nicht?"
Das dachte er, seitdem er Dreißig geworden,
und nun zählte er Dreiunddreißig.
Und noch zwei andere Menschen dachten
dasselbe.
Diese zwei anderen Menschen waren ztvei
Frauen, die eine war John's Mutter, die
andere war Bets» Gee. Aber diese Beiden
dachten es etwas ungeduldiger, dieses:
Warum denn nicht?
Betsh Gee war die einzige Tochter von Thi-
motheus Gee, Pächter und nächstem Nachbar
der Blooms.
Betsh war ein gutes Mädchen, hübsch und
kräftig gebaut. Sie hatte runde, feste Arme
und war breit um die Hüften. Ihr Gesicht
war länglich, die Stirne breit und niedrig,
ihre Haare und die scharf gezeichneten Augen-
brauen hatten dieFarbe von braunem Kandis-
zucker, ihre Augen waren hell und klug, ihre
Haut weiß, wie der Nebel, der im Thalgrunde
liegt, und rosig, wie ein Gänseblümchen, mit
einem leichten, goldigen Schimmer, wie das
Ei von einem ihrer Hühner. Hhre Aähne