-
Nr. 6
. JUGEND .
1901
€)
Tannen
ueberm Meer aus wirrer Wildniß
Tauchen dunkle Riesentannen,
Wie von altem Trotz ein Bildniß
Hier begrabener Rormannen.
Ihre schweren Wipfel rauschen
In dem Sturm der späten Iahre;
Wenn sie fernen Donnern lauschen,
Schütteln sie die schwarzen Haare.
Schütteln wild sie ihre Spitzen,
Die, mit junger Frucht beladen,
Sie in kühlem Sonnenblitzen
Wie in Meer und Freiheit baden;
Und ein übermüthig' Leben
Schwellt die alten, rauhen Glieder:
Wer dem Gott sich nie ergeben,
Fand in sich die Gottheit wieder.
So im Herbst verwehter Blätter
Dauern ihre Kraftgestalten;
Und ich lausche durch das Wetter
schweigend diesen großen Alten.
Julius havemann
Rom San Giovanni 1900
Die letzte Sichel des verfallnen Mondes
Am Himmel Roms, in der Iohannisnacht
Hab ich erlebt und früher nicht geruht,
Bis ich für mich den Sinn erdeuten konnte.
Ich habe neue Menschen liebgewonnen,
Und silbern zum Gedenken steht nun da
Die letzte Sichel des verfallnen Mondes
Am Himmel Roms in der Iohannisnacht.
Mein Leben denk ich auch. Ls ruht der Blick
Auf den Gesimsen schweigender Paläste.
Da wird die Marcussäule morgenroth —
Die Schwalben werden wach und schon ver-
blaßt
Die letzte Sichel des verfallnen Mondes.
Otto Erleb Hsrtlebcn
Vas Mort cles §cbab
Von El Seycl
ein neues Ulort des Schah! Das Uolk erstaunt,
Ulie stolz der hohe Herr, wie kühn gelaunt!
Türwahr, dem Prägstock seines Geists entrollt
gemünzter Ulcisheit echtes, lautres Sold. —
Die ihr euch nach des Herrschers 6abe bückt,
Don ihrem Irischen Prägeglanz entzückt,
6 s gl ei sst — bedenkt dies, ehe Dank ihr zollt -
6ln neuer Pfennig mehr, als altes Sold.
Wiegenlied
Alle haben uns verlassen,
Du und ich, wir find allein.
In die engen, stillen Gassen
Hängt der bleiche Mondenfchein.
Lächle nur! Sind mir die Lider
Auch von heißen Dhränen schwer,
2llle Sterne sänken nieder,
Hätt' ich Dich, ach Dich nicht mehr.
Rind der Sünde, Rind der Schmerzen,
Meines Lebens kleines Licht
Aus dem tiefgequälren Herzen
Rissen sic die Liebe nicht. —
Durch der Vkächte dunkles Schweigen
Streift der Engel Rleiderfaum;
Von der Sterne Silbcrrcigen
Bringen sic Dir leisen Traum.
Und will meine Stimme brechen,
wen» der wind am Fenster geht,
Holde Lippen werden sprechen
Ucber Dir ein Vlachrgebct.
frsnz Langbeinricb
Reiterblut
Ueber die Halde schwül und schwer
Brütet die Mittagsgluth.
Kommt ein Trupp Soldaten daher,
Lustiges Reiterblut.
War just zur Manöverzeit, —
Staub vertrocknet die Kehle, —
Wandert die Flasche von Hand zu Hand.
Stärkend Leib und Seele.
„Heda! Mädel! Schlaf nicht so fest!
wart! ich komm, Dich zu wecken!
Will eine schöne Rose roth
An den Busen Dir stecken!"
Und das Mädel am Wiesenrain
Reckt verschlafen die Glieder,
Glättet Röckchen und Busentuch,
Schließt erröthend das Mieder.
Langsam ziehen die Reiter vorbei,
Kichernd, mit Recken und Iohlen;
Aber die Kleine, schon hurtig im Heu,
Lächelt nur ganz verstohlen.
Lrst als alle vorüber sind,
wagt sie es, aufzublicken; —
Dreht sich grade der Letzte um,
Lächelnd ihr zuzunicken.
1
Heinrich Goltz (Dresden)
82
Nr. 6
. JUGEND .
1901
€)
Tannen
ueberm Meer aus wirrer Wildniß
Tauchen dunkle Riesentannen,
Wie von altem Trotz ein Bildniß
Hier begrabener Rormannen.
Ihre schweren Wipfel rauschen
In dem Sturm der späten Iahre;
Wenn sie fernen Donnern lauschen,
Schütteln sie die schwarzen Haare.
Schütteln wild sie ihre Spitzen,
Die, mit junger Frucht beladen,
Sie in kühlem Sonnenblitzen
Wie in Meer und Freiheit baden;
Und ein übermüthig' Leben
Schwellt die alten, rauhen Glieder:
Wer dem Gott sich nie ergeben,
Fand in sich die Gottheit wieder.
So im Herbst verwehter Blätter
Dauern ihre Kraftgestalten;
Und ich lausche durch das Wetter
schweigend diesen großen Alten.
Julius havemann
Rom San Giovanni 1900
Die letzte Sichel des verfallnen Mondes
Am Himmel Roms, in der Iohannisnacht
Hab ich erlebt und früher nicht geruht,
Bis ich für mich den Sinn erdeuten konnte.
Ich habe neue Menschen liebgewonnen,
Und silbern zum Gedenken steht nun da
Die letzte Sichel des verfallnen Mondes
Am Himmel Roms in der Iohannisnacht.
Mein Leben denk ich auch. Ls ruht der Blick
Auf den Gesimsen schweigender Paläste.
Da wird die Marcussäule morgenroth —
Die Schwalben werden wach und schon ver-
blaßt
Die letzte Sichel des verfallnen Mondes.
Otto Erleb Hsrtlebcn
Vas Mort cles §cbab
Von El Seycl
ein neues Ulort des Schah! Das Uolk erstaunt,
Ulie stolz der hohe Herr, wie kühn gelaunt!
Türwahr, dem Prägstock seines Geists entrollt
gemünzter Ulcisheit echtes, lautres Sold. —
Die ihr euch nach des Herrschers 6abe bückt,
Don ihrem Irischen Prägeglanz entzückt,
6 s gl ei sst — bedenkt dies, ehe Dank ihr zollt -
6ln neuer Pfennig mehr, als altes Sold.
Wiegenlied
Alle haben uns verlassen,
Du und ich, wir find allein.
In die engen, stillen Gassen
Hängt der bleiche Mondenfchein.
Lächle nur! Sind mir die Lider
Auch von heißen Dhränen schwer,
2llle Sterne sänken nieder,
Hätt' ich Dich, ach Dich nicht mehr.
Rind der Sünde, Rind der Schmerzen,
Meines Lebens kleines Licht
Aus dem tiefgequälren Herzen
Rissen sic die Liebe nicht. —
Durch der Vkächte dunkles Schweigen
Streift der Engel Rleiderfaum;
Von der Sterne Silbcrrcigen
Bringen sic Dir leisen Traum.
Und will meine Stimme brechen,
wen» der wind am Fenster geht,
Holde Lippen werden sprechen
Ucber Dir ein Vlachrgebct.
frsnz Langbeinricb
Reiterblut
Ueber die Halde schwül und schwer
Brütet die Mittagsgluth.
Kommt ein Trupp Soldaten daher,
Lustiges Reiterblut.
War just zur Manöverzeit, —
Staub vertrocknet die Kehle, —
Wandert die Flasche von Hand zu Hand.
Stärkend Leib und Seele.
„Heda! Mädel! Schlaf nicht so fest!
wart! ich komm, Dich zu wecken!
Will eine schöne Rose roth
An den Busen Dir stecken!"
Und das Mädel am Wiesenrain
Reckt verschlafen die Glieder,
Glättet Röckchen und Busentuch,
Schließt erröthend das Mieder.
Langsam ziehen die Reiter vorbei,
Kichernd, mit Recken und Iohlen;
Aber die Kleine, schon hurtig im Heu,
Lächelt nur ganz verstohlen.
Lrst als alle vorüber sind,
wagt sie es, aufzublicken; —
Dreht sich grade der Letzte um,
Lächelnd ihr zuzunicken.
1
Heinrich Goltz (Dresden)
82