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Nr. 6

JUGEND

1901

NYMPHENBURG

Max Hagen (München)

Winter

Von Friedrich von Dppeln-Bronikorvski

„Im fernen Land, unnahbar Euren Schritten.

Steht eine Burg, die Monfalvat genannt."

Ich ritt mit einem Trupp durch die verschneite
Gegend, froh, der Winterdressur und dem Bahn-
staub einmal entronnen zu sein. Zwar ist eine
Feldübung im Winter etwas Unzeitgemäßes, und
darum ist es ein romantisches Stücklein, im Winter
Felddienst zu üben. Es sieht auch alles so roman-
tisch aus. Die Schneezapfen des Rauhfrostes, die
wie lauter kleine Bärte an den Aesten und Aestchen
sitzen und keines vergessen haben, die leichte luftige
Flockenlast, die auf den Fächern der Tannen ruht
und in kleinen, glitzernden Krystallen herabstäubt, die
wunderlichen weißen Lauben und geheimnißvollen
Bogengänge: das Alles könnte einem weis machen,
man wäre in einem glitzernden Feeenpalaste:
„Im fernen Land, unnahbar Euren
Schritten"...

„Oh, sie paßt zu dieser Winterstimmung, die
Wagner'sche Melodie! Wie der erste fallende
Sammtschnee, der sich weich und schmeichelnd in
die Windseiten der Bäume schmiegt und alles
Erdreich mit seinen leichten Flaumkissen zudeckt,
so wiegt dieses Lied des Schwanenritters die
Seele in Schlummer und schließt müden Augen
die Lider. Es ist ein Schwanenlied der Natur,
ein Abschiedslied voller Schwermuth, aber auch
ein Traumlied voll ewiger, zaubervoller Sehnsucht.
Es ist etwas darin, das weiß nichts von Schlaf
und Tod, etwas wie ein Heransstürzen aus über-
hitztem Festsaal in eiskalte Nachtluft, wie ein ge-
frierendes Feuerwasser ... Ein Tropfen Wahnsinn
ist darin, jenen Wundertropfen gleich, die der

Schwarzkünstler in eine Schaale stillen Wassers
fallen läßt. Nicht, daß sie das Gefäß zum Ueber-
laufen brächten — aber plötzlich entsteht Beweg-
ung darin, Eisnadcln schießen auf, von allen
Seiten wächst es zusammen, und plötzlich ist ein
starres, phantastisches Eisgebilde da... Dieser Ton
des Deliriums erklingt, ein Ton himmelanstreben-
der, übersinnlicher Sinnlichkeit — und plötzlich
wächst und strebt es empor, baut sich auf und
klettert über einander in lebendigen Schnörkeln.
Nach oben strebt es in die klare Kälte, und aus
der Spitze blüht eine erstarrende Eisblume auf
und beschließt die Bewegung...

Ja. meine Traumkraft ist mächtig erregt, zum
Krystallpalast hat sie sich den verschneiten Berg-"
watd umgeschaffen und ist auch damit nicht zu-
frieden. Die schweifende Begierde greift mit tau-
send Fangarmen in die Welt hinaus; weiter und
immer weiter drängt's mich zu reiten, schneller
und schneller, bis an das Ende der Welt, hinaus
über diese Welt, die zu eng ist, höher und höher
— o daß ich Flügel hätte!

„Im fernen Land, unnahbar Euren Schritten,
Steht eine Burg, die Monsalvat genannt"-

Ich summte das Lied vor mich hin, unbeküm-
mert nm die nachtrabenden, schwatzenden Reiter —
was konnten die derben Bauernjungen auch von
-Stimmung, von meiner Stimmung verstehenI
Und sie wuchs immer mehr! Flüchtige Sonnen-
lichter brachen durch die beschneiten, blätterkahlen,
Zweige; hell glitzerten die stäubenden Schneekrystalle,
die irgend ein loser Vogel von droben herabstieß,
oder eine streifende Lanze vom Astwerke ablöste,
daß sie silbern hinter uns herabregneten; und
über den lichten Stellen webte ein wunderlicher
Duft und Dämmer. Fern aus den Dörfern ver-

irrte sich wohl auch ein Klang wie von menschlichen
Stimmen und Schlittengeläut zu uns her und
vermehrte den Zauber der Stunde. Eine grau-
röckige Nebelkrähe stolzirte gravitätisch in einer
Lichtung und flog, als wir näher kamen, mit ver-
ächtlichem Krächzen auf eine knorrige Eiche, die
kahl in den lichten Winterhimmel aufragte. Zu-
weilen lief auch ein Hase in Pudelsprüngen über
den wildspurenreichen Weg und versank auf der
Flucht tief in die verschneiten Chausseegräben.
Am Waldsaume stand ein Reh und ängte uns
mit seinen wehmüthigen Augen neugierig an.
Erst als ein Reiter zum Scherz mit dem Stahl-
schaft zielte, verschwand es mit nachlässigem Galopp
sprung in dem bergenden Unterholz, das stäubend
hinter ihm zusammenschlug. Dann wieder ward
alles still. Nur das Prusten der Pferde, das
Klappern der Kochgeschirre und das Klirren der
Sporen belebte die einsame Schneewüste; und die
ganze Welt überflog es wie ein rosenfarbencr
Hauch von unstofflicher Reinheit. -.

Etwas Sehnsüchtiges, Verheißungsfrohcs kam
über mich, als wäre ich nicht mehr im alten Hessen,
nein, in einem fernen, wunderbaren Lande. Ein
Lied, so spöttisch und sehnsüchtig, so unschuldig
und üppig zugleich, Giftkraut und Lilie zugleich —
„O süße Lilie!" — nahm mich gefangen. Im
heiteren, lachenden Süden des Winters, an er-
wärmten Buchten blauer Mittagsmeere, war es
einst über mich gekommen, und nun zitterte es in
meiner Seele nach, wie der Sonnenzauber über
dem Schnee webt und bebt, ein fremder Glanz
und Zauber... So klang wohl auch Parsifal das
Lied der Blumenmädchen in seine Seele hinein,
fremd und berückend und zauberhaft — und er
stieß sie von sich ...

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Friedrich v. Oppeln-Bronikowski: Winter
Max Hagen: Nymphenburg
 
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