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1901

JUGEND •

-, plötzlich lichtete sich der Wald. Beim Verlassen des Randes tbat
Jch eine Helle, lachende, sonncnüberströnite Schneclandschast auf; nur die
Schatten hatten eine herbe, stahlblaue Farbe. Und da lag sie auch
wirklich vor mir — die Burg — trotzig und halb verfallen, im blenden-
den Schneelicht. In scharfen Linien hob sie sich vom Horizont ab, und
die Sonne vergoldete ihre Zinnen. Aber ein breiter Bach- und Wiesenstreifen,
dm trügerisches Eis bedeckte, hielt sie von uns getrennt, weit jenseits
unserer Straße. Ich machte unwillkürlich Halt — und alles hinter mir.

Aber ich merkte cs nicht, ich hörte nur noch das Lied, ich sah nur noch
die Burg, „unnahbar Euren Schritten"...

Wie mochte sie wohl in diesen Zustand gekommen sein? Durch
Zerstörung und Vandalismus? Oder waren ihre Herren auch zum Kreuz-
Zug ausgezogen und verschollen, und die Veste war dann sacht in Trümmer
zerbröckelt? Das wußte ich wenigstens von manchem andren Rittersitz —
warum sollte ich es nicht auch diesem Gemäuer andichten? Es hatte ja
nichts mit Geschichte zu thun. Ich sah sie ja ausreiten die Recken,
und die Weiber ihnen weinend nachblicken — laug«, lange mögen sie so
geblickt und geweint haben, bis sie starben ... Aber vorher — da waren
dort hohe Zeiten, da wurde der Humpen geschwungen und geliebt und
gescherzt, und die helle Wintersonne brach sich in den Schanmperlen des
Weines und küßte das Goldhaar dez Schönen.. Ein leichtes, loses Glück,
vom herben Leben leis abthaucnd, wie Märzschnee abthaut, ein zitternder
siimmernder Sonnenhauch — wo ließe sich das lieben und genießen,
wenn nicht in Deutschland! Wo anders könnte man cs verstehen, wie
anders Wagner verstehen ...

„Im fernen Land, unnahbar Euren Schritten,

Steht eine Burg, die Monsalvat genannt," —

Ein leichter, kalter Lusthauch blies .mir fühllos in meine Tränine
hinein. Wie! fuhr ich auf. Was zauderst du hier? Trab! — Schneidend
schlug u»s im Trabe der kalte Wind in's Gesicht; er gab mir meine kalte
Wintcrbesinnungwieder. Und ich lachte über das Liebäugeln mit dem alten
Gemäuer. Mir fielen die Spottverse Horazens ein, in denen er eine alte,
verwelkte Geliebte verhöhnt:

„Gelt, Du klagst, daß Jugend am Grün de? Epheus
Rach wie vor sich freut und an dunklen Myrthen,

Dürre Blätter aber dem Freund des Winters
Widmet, dem Oste ..."

Ich blickte kaum mehr herüber nach dem fernen Raubnest; jetzt bog sich auri
der Weg, und das Panorama war unfern Blicken entschwunden. Schon gut! Besse
Nacht und Kälte, als dies verzückte Dämmern! Sie wehten ja auch schon umher
die unheimlichen Geschwister! Frost fraß gierig an Gesicht und Gliedern, und di
Finger verklammten am Zügel. Die letzten Sonnenlichter verhuschten sterbensmatt
länger und dunkler wurden die Schatten, härter und herber die Farben, alles wider
sprach sich im Zwielicht. Bald war die Welt in Schatten getaucht und in de
Ferne kämpften kleine Lichter mühsam gegen die Finsterniß an — ein ungleicher
langer Kampf!

Die ganze Trostlosigkeit unseres nordischen Winters kam mir zu Sinnen
und die düstere Hilflosigkeit des Menschen gegen ihn trat vo mich. In dieser Schnee
wüste allein - in Feindes Land - der sternklaren Winiernacht preisgegeben -
keinen Weg und Steg zu sehen — keine Leuchte als das Irrlicht des Mondes, und
am Tag keine andere Begleitung, als den krächzenden Flug der Raben . ■ • Ich dachte
an die retraits de Moscou — und ich brauchte nicht nur daran zu denken Ich
hatte sie ja um mich, die wüste verschneite, verwehte Landschaft. Die Straße führte
durch einen Hohlweg voll mannshohen Schnees; wir mußten aufs ^'lachtcld reite».
Aber auch hier war alles unsicher. Trügende glatte Flächen breiteten sich aus; ab-
g-weht schienen sie; bald aber brachen wir bis über den Latte, ein, daß me Pferde
s'ch nur stöhnend und zitternd hocharbeiten konnten - jetzt wieder.-Keinen Augen-
blick ohne Furcht, ob dem Einbrechen nicht ein Gelenkbreaien m unsichtbaren
ken folgte. Und die bittere Kälte, die wie mit Mesteru schnitt, ime mit Radel.,
"ach! Der eisige Tod, der ruhig vom Himmel herabblmkte! Und das bleiche Tobten-
licht des Monds, das auf den Feldern lag, wie auf einem Bahrtuche. . . . Ä
durchschauerte mich da wieder die Melodie, wie ganz anders als vordem: ..Uw
lernen Land, unnahbar Euren Schritten, Sieht eme Burg, die Monsalvat ge-
nannt." ...

Ja. sie stand vor nieinen Augen, die Burg, gleich ein« Fat» Morgana,
umwoben von Luft. Glück, Wärme - und cs war doch ,o rettungslos kalt umher , - -.
l at» Morgana — »un erst begriff ich die ganze fröstelnde Sehnsucht, die ganze fuße,
kränkliche Wehmuth des Liedes:

»Im fernen Land, unnahbar Euren Schritten . . .

Du glaubst, dah Du die £oa kennst,
Di« Dir den JTpfel reicht?

Den einen, den Tie Dir kredenzt,
Den siehst Du kreilich leicht.

H. Wirsing (München)

Doch mit dem zweiten sähet sie schon
lndeh Dich hinters Licht:

Die Loa, oh DuRdamsSohn,
Kennft Du noch lange nicht!

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Heinrich Wirsing: "Eva" (Statuette)
 
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