Nr. 6
1901
. JUGEND
B. Pankok
Eine „gegründete" Ehe
von
Alfred af vedenstjerna
LR alte Stadtkämmerer wilander
war gestorben und begraben. Alle
Blätter hatten ihn in die andere
bessere Welt als einen „Ehrenmann
von altem Schrot und Korn," be-
fördert, eine Gattung, die
in diesem Lande gar nicht
auszusterben scheint.
Als aber der Doktor und
all die Andern das Ihrige
bekommen hatten, zeigte sich,
daß nicht nur absolut keiner-
lei Erbschaft da war, sondern
seine Kinder, soweit sie etwas
hatten, noch zusammenschie-
ßen mußten, damit es nur
für die Ausgaben reichte.
Das war schlimm für sie,
denn sie hätten alle eher selber
was brauchen können.
Der älteste Sohn Gustav
war in einem Geschäft und
hatte nur 2000 Kronen Ge-
halt, aber sieben Kinder, eine kranke Frau und da-
her Schulden und trug mangelhafte Kleidung. Die
Tochter Louise war mit einem Stationsassistenten
verheirathct, hatte eine zu versorgende Schwieger-
mutter und fünf kleine Kinderchen, sowie einen
Mann, der den Lognak liebte, und in ihrem Pause
gab es so selten Fleisch, daß die ganze Fainilie
sich beim Begräbnißschmaus krank gegessen hatte,
weil es diesmal auf Generalunkosten ging. Der
zweite Sohn permann war Pilfspastor, Ein
schmalbrüstiger Mensch mit siebentausend Kronen
Schulden ans seinen Studentenjahren. Das ist
alles, was von ihm zu sagen ist. Dann waren
noch vier, schon vor Vaters Tod aus dem Lltcrn-
hause ausgeflogene Kinder in ähnlichen Geschäfts-
und Lebensstellungen, die alle zusammen keine
tausend Kronen als Löscgeld hätten anfbringen
können, wenn ihre Großmutter von griechischen
Räubern gefangen worden wäre.
Man kan» sich denken, wie schwer es diesen
Leutchen fiel, soviel zusammen zu bringen, daß
der Name ihres Vaters in den Blättern als der
eines Ehrenmannes stehen konnte, und nicht über
die Erbschaft der Loncurs eröffnet wurde. Aber
keines von ihnen stieß Vorwürfe gegen den ver-
storbenen ans, sondern einige von den Töchtern
fragten nur verwundert, wie der paushalt in den
letzten Jahren geführt worden sein müßte, und
dabei warfen sie fragende oder recht mißbilligende
Blicke auf Schwester Georgine.
Diese war das achte Kind wilanders, zwei-
nndzwanzig Jahre alt, unvermählt, und hatte in
der letzten Zeit den paushalt des Alten
geführt. Ihr Antlitz war so schön, so
schön, daß ich es nicht beschreiben kann,
aber es besaß all die Anmuth und
weiblichen Reize, die je in Romanen und
Märchen geschildert worden sind. Line
Figur hatte sie, daß sich die Venus und
die schöne Galathee begraben lassen
konnte». Aber das half ihr bei ihren
Schwestern nichts; sie sahen sie doch
vorwurfsvoll an und fragten, „wie viel
sie den» im Monat verbraucht hätte?"
Georgine antwortete mit Thränen
in den Augen, wodurch sie wohl
noch schöner wurde, aber ihr wirth-
schaftstalent in keinem besseren Lichte
erschien.
Vlötzlich fuhr Bernhard lvilander,
der Grossist war, das heißt für drei alte
Fräuleins reiste, die wollene Unterröcke
mit Maschinenstickerei und ähnliche
Sache» arbeiten ließen, in die pöhe und
sah aus, als wenn ihm ein Einfall gekommen
wäre.
„Geschwister, könnt Ihr vierhundert Kronen
zusammenschrapen, so sind wir gerettet!"
Alle sechs schwuren, daß sie es nicht könnten.
Georgine weinte noch immer, sie hatte eine Ahn-
ung davon, daß es ihr gut stand, und ärgerte sich
nur, daß es kein Unbetheiligter sah.
„Das ist verdammt, denn sonst hätten wir
Georgine auf Aktien gegründet!" erklärte Bern-
hard.
Pastor lvilander hoffte, daß sein lieber Bru-
der Bernhard sich keinen frivolen Scherz über
seine eigene Schwester erlaubte. Die Uebrigen
gafften nur verblüfft.
„Ich meine," sagte der Grossist, „wir sollten
zusammenschießen und das Mädcl in einen Bade-
ort schicken. Kommt sic nur in die lvelt hinaus,
fängt sie mit ihrem Gesicht (heul'nicht, Georgine!)
jeden Kerl, den sie haben will. Der Teufel soll
sie holen, wenn sie sich nicht den Reichsten fischt,
und dann ... Dividcndcnvertheilung, Ihr ver
steht! (Setz' Dich aufrecht hin und benimm Dich
wie ein erwachsener Mensch, Georgine!)"
Anfangs schenkte keiner dem Vorschlag Auf-
merksamkeit; aber je mehr sie aufhörten, das
Schwesterchen mit geschwisterlicher Gleichgiltigkeit
zu betrachten und sie geschäftsmäßig anzusehen,
desto mehr wurden sie von der gewaltigen Macht
ihrer Schönheit überzeugt. Und als sie dann
nachrechneten, fanden all' die sieben Glieder der
Familie lvilander, daß sie unter äußerster Er-
schöpfung ihrer finanziellen Kräfte, möglicher
lveise für Tage 256 Kronen anfbringen konn-
ten, und dann den Rest von ;so Kronen Geor-
gine später nachschickeli würden.
„willst Du, Georgine?" fragte Louise.
„Ich will Alles, was Ihr wollt!" schluchzte
das arme Mädchen.
„Und Du verpflichtest Dich, »ns 500 Prozent
Dividende auf das Aktienkapital oder 2000 Kronen
zu zahlen?" fragte Bernhard.
„Jährlich!" schlug der Pilfspastor vor.
„Schäm' Dich, Pfaffe! Du glaubst doch auch
nicht, daß sie sich gleich einen Millionär kapert.
Einmal für alle, meine ich! Na, Georgine?"
fragte Bruder Bernhard.
„Ja, ja.... Ihr sollt Alles haben, was Ihr
wollt," sagte Georgine fügsam.
„Aber wenn da nun keiner anbcißt?" fragte
der Eisenbahnassistent.
„Ach, sie müssen! Nenne mir übrigens ein
Geschäft mit ziemlich sicherer Aussicht ans 500%
Gewinn ohne jedes Risiko?" erwiderte ihm der
Grossist.
Schwester Elisabeth, die man mit neunzehn
Jahren gezwungen hatte, einen fllnfundvierzig-
jährigen rheumatischen perrengarderobier zu hei-
raten, obwohl sie einen Ackerbanschul-Eleven im
Perzen getragen, wandte schüchtern ein, ob nicht
doch etwas Unrechtes bei dem Ganzen wäre.
Richard Pfeiffer (München)
Aber der Pilfspastor erklärte, wenn er seinen
Segen dazu gäbe, könnte wohl nichts Unrechtes
dabei sein, daß sich ein Mädchen einen Mann
nähme, der „sie und die Ihrigen versorgte". — —
Georgine war noch niemals aus ihrer Vater-
stadt herausgekommen. Als sie nun aber nach
Salzstrand kam, in den berühmten Badeort, ver-
drehte sie sofort allen Männern die Köpfe. Der
Badkommissär stellte ihr ein Zimmer für acht
Kronen die lvoche, für fünfundzwanzig Kronen
für die ganzen sechs Wochen zur Verfügung und
bot ihr seine Frau als „Anstandsdame" an. Der
Doktor bethenerte hoch und heilig, elternlose Mäd-
chen brauchten während des Trauerjahres kein
Arzthonorar zu zahlen und nur eine Krone fünf-
undzwanzig für Bäder in der ersten Klasse. Der
Sohn des pütclmirths, der Kandidat der Philo-
sophie war, mit Aesthetik als Pauptstudium, sagte,
wenn Papa mehr als eine Krone fünfzig pro Tag
von Fräulein lvilander nähme, wäre es eine
reine Gemeinheit, und der pötelwirth selbst bat
mit einer höflichen Verbeugung, daß sic an der
theuersten Tafel speisen möchte, da „das Fräulein
ja wie ein kleines Vögelchen äße".
Lin Leutnant und ein Fabrikingenieur lagen
schon in der ersten lvoche ihr zu Füßen; aber da
sie sich nicht in solchen Verhältnissen befanden,
daß sic das Aktienkapital mit entsprechenden Ren-
ten zurückerstatten konnten, wurden sie „abgeblitzt".
Nach dieser ersten lvoche begannen alle sieben
Geschwister regelmäßig brieflich anzufragen, wie
cs ginge.
Brndcr Bernhard schrieb auf dem Briefpapier
der Firma mit deren lvaarenstempel: einem
langen Strumpf in einer Ecke: „Sind bis dato
keine acceptablen Mfferten eingelaufen? palte feste
Notirung! Pole prima Referenzen ei» und die
Ansicht der Aktionäre vor definitivem Abschluß."
Der Pilfspastor schrieb der Lrsparniß wegen
auf einer Postkarte: „lvill denn der Pöchstc noch
nicht unser Bemühen um das Glück unserer
Schwester mit Seiner überschwänglichen Gnade
krönen? Sei fest in der poffnung!" heißt es.
„Gott versorgt selbst die Schafe! Alles hat seine
Zeit. Gnade und Friede sei mit Dir!"
Georgine ging einfach gekleidet in ihrem
schwarzen Trauerkleide und hatte ein zurückhal-
tendes lvcsen: aber das machte nichts: ihre Schön-
heilt strahlte siegreich aus diesem einfachen schwar-
zen Zeug, der Meter zu zwei Kronen, he. vor, und
es schien, als ob sie mit jedem Tage lieblicher
geworden wäre, an den» sie ihren herrlichen Kör-
per in den frischen lvogen am Salzstrande badete.
Ende der zweiten lvoche wollte ein Kanzleirath,
ein Wittwer, für sie sterben, und ein furchtbar
dicker Fabrikbesitzer für sie leben, und ihr selbst
gefiel dies lustige Treiben und die herrliche Musik
ganz vortrefflich; denn in diesem Jahr gab cs
eine besonders gute Kapelle in Salzstrand.
In der dritten lvoche kam ei» Großgrundbe-
sitzer an, der noch im pochsommer des Lebens
stand und auf dessen Besitzung nichts
fehlte, als Pypothekenschulden und eine
Frau. In vier Tagen war sein ganzes
lvesen so von Liebe erfüllt, wie eine
alte Tabakspfeife von Nikotin, und er
lud Georgine zu Lhampagnerfesten in
feiner Gesellschaft ein und holte sie
dazu in seinem eigenen wagen ab. So
verliebt war er in sie, daß seine Augen
sie fast auffraßen.
Und Georgine lebte wie eine Prin-
zessin und genoß die puldigungen, die
Sonne, die Bäder, die Sommerwärme
und vortrefflichen Leistungen der fa-
moscn Kapelle, besonders des Ks-Kor-
nettbläscrs, eines schönen jungen
Mannes, mit Augen, so tief und
bla» wie das Meer, mit paaren,
so üppig wie Waldesdickicht und so
schwarz wie die Nacht, und einem
Tageseinkommen von zwei Kronen
fünfzig.
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B. Pankok
Eine „gegründete" Ehe
von
Alfred af vedenstjerna
LR alte Stadtkämmerer wilander
war gestorben und begraben. Alle
Blätter hatten ihn in die andere
bessere Welt als einen „Ehrenmann
von altem Schrot und Korn," be-
fördert, eine Gattung, die
in diesem Lande gar nicht
auszusterben scheint.
Als aber der Doktor und
all die Andern das Ihrige
bekommen hatten, zeigte sich,
daß nicht nur absolut keiner-
lei Erbschaft da war, sondern
seine Kinder, soweit sie etwas
hatten, noch zusammenschie-
ßen mußten, damit es nur
für die Ausgaben reichte.
Das war schlimm für sie,
denn sie hätten alle eher selber
was brauchen können.
Der älteste Sohn Gustav
war in einem Geschäft und
hatte nur 2000 Kronen Ge-
halt, aber sieben Kinder, eine kranke Frau und da-
her Schulden und trug mangelhafte Kleidung. Die
Tochter Louise war mit einem Stationsassistenten
verheirathct, hatte eine zu versorgende Schwieger-
mutter und fünf kleine Kinderchen, sowie einen
Mann, der den Lognak liebte, und in ihrem Pause
gab es so selten Fleisch, daß die ganze Fainilie
sich beim Begräbnißschmaus krank gegessen hatte,
weil es diesmal auf Generalunkosten ging. Der
zweite Sohn permann war Pilfspastor, Ein
schmalbrüstiger Mensch mit siebentausend Kronen
Schulden ans seinen Studentenjahren. Das ist
alles, was von ihm zu sagen ist. Dann waren
noch vier, schon vor Vaters Tod aus dem Lltcrn-
hause ausgeflogene Kinder in ähnlichen Geschäfts-
und Lebensstellungen, die alle zusammen keine
tausend Kronen als Löscgeld hätten anfbringen
können, wenn ihre Großmutter von griechischen
Räubern gefangen worden wäre.
Man kan» sich denken, wie schwer es diesen
Leutchen fiel, soviel zusammen zu bringen, daß
der Name ihres Vaters in den Blättern als der
eines Ehrenmannes stehen konnte, und nicht über
die Erbschaft der Loncurs eröffnet wurde. Aber
keines von ihnen stieß Vorwürfe gegen den ver-
storbenen ans, sondern einige von den Töchtern
fragten nur verwundert, wie der paushalt in den
letzten Jahren geführt worden sein müßte, und
dabei warfen sie fragende oder recht mißbilligende
Blicke auf Schwester Georgine.
Diese war das achte Kind wilanders, zwei-
nndzwanzig Jahre alt, unvermählt, und hatte in
der letzten Zeit den paushalt des Alten
geführt. Ihr Antlitz war so schön, so
schön, daß ich es nicht beschreiben kann,
aber es besaß all die Anmuth und
weiblichen Reize, die je in Romanen und
Märchen geschildert worden sind. Line
Figur hatte sie, daß sich die Venus und
die schöne Galathee begraben lassen
konnte». Aber das half ihr bei ihren
Schwestern nichts; sie sahen sie doch
vorwurfsvoll an und fragten, „wie viel
sie den» im Monat verbraucht hätte?"
Georgine antwortete mit Thränen
in den Augen, wodurch sie wohl
noch schöner wurde, aber ihr wirth-
schaftstalent in keinem besseren Lichte
erschien.
Vlötzlich fuhr Bernhard lvilander,
der Grossist war, das heißt für drei alte
Fräuleins reiste, die wollene Unterröcke
mit Maschinenstickerei und ähnliche
Sache» arbeiten ließen, in die pöhe und
sah aus, als wenn ihm ein Einfall gekommen
wäre.
„Geschwister, könnt Ihr vierhundert Kronen
zusammenschrapen, so sind wir gerettet!"
Alle sechs schwuren, daß sie es nicht könnten.
Georgine weinte noch immer, sie hatte eine Ahn-
ung davon, daß es ihr gut stand, und ärgerte sich
nur, daß es kein Unbetheiligter sah.
„Das ist verdammt, denn sonst hätten wir
Georgine auf Aktien gegründet!" erklärte Bern-
hard.
Pastor lvilander hoffte, daß sein lieber Bru-
der Bernhard sich keinen frivolen Scherz über
seine eigene Schwester erlaubte. Die Uebrigen
gafften nur verblüfft.
„Ich meine," sagte der Grossist, „wir sollten
zusammenschießen und das Mädcl in einen Bade-
ort schicken. Kommt sic nur in die lvelt hinaus,
fängt sie mit ihrem Gesicht (heul'nicht, Georgine!)
jeden Kerl, den sie haben will. Der Teufel soll
sie holen, wenn sie sich nicht den Reichsten fischt,
und dann ... Dividcndcnvertheilung, Ihr ver
steht! (Setz' Dich aufrecht hin und benimm Dich
wie ein erwachsener Mensch, Georgine!)"
Anfangs schenkte keiner dem Vorschlag Auf-
merksamkeit; aber je mehr sie aufhörten, das
Schwesterchen mit geschwisterlicher Gleichgiltigkeit
zu betrachten und sie geschäftsmäßig anzusehen,
desto mehr wurden sie von der gewaltigen Macht
ihrer Schönheit überzeugt. Und als sie dann
nachrechneten, fanden all' die sieben Glieder der
Familie lvilander, daß sie unter äußerster Er-
schöpfung ihrer finanziellen Kräfte, möglicher
lveise für Tage 256 Kronen anfbringen konn-
ten, und dann den Rest von ;so Kronen Geor-
gine später nachschickeli würden.
„willst Du, Georgine?" fragte Louise.
„Ich will Alles, was Ihr wollt!" schluchzte
das arme Mädchen.
„Und Du verpflichtest Dich, »ns 500 Prozent
Dividende auf das Aktienkapital oder 2000 Kronen
zu zahlen?" fragte Bernhard.
„Jährlich!" schlug der Pilfspastor vor.
„Schäm' Dich, Pfaffe! Du glaubst doch auch
nicht, daß sie sich gleich einen Millionär kapert.
Einmal für alle, meine ich! Na, Georgine?"
fragte Bruder Bernhard.
„Ja, ja.... Ihr sollt Alles haben, was Ihr
wollt," sagte Georgine fügsam.
„Aber wenn da nun keiner anbcißt?" fragte
der Eisenbahnassistent.
„Ach, sie müssen! Nenne mir übrigens ein
Geschäft mit ziemlich sicherer Aussicht ans 500%
Gewinn ohne jedes Risiko?" erwiderte ihm der
Grossist.
Schwester Elisabeth, die man mit neunzehn
Jahren gezwungen hatte, einen fllnfundvierzig-
jährigen rheumatischen perrengarderobier zu hei-
raten, obwohl sie einen Ackerbanschul-Eleven im
Perzen getragen, wandte schüchtern ein, ob nicht
doch etwas Unrechtes bei dem Ganzen wäre.
Richard Pfeiffer (München)
Aber der Pilfspastor erklärte, wenn er seinen
Segen dazu gäbe, könnte wohl nichts Unrechtes
dabei sein, daß sich ein Mädchen einen Mann
nähme, der „sie und die Ihrigen versorgte". — —
Georgine war noch niemals aus ihrer Vater-
stadt herausgekommen. Als sie nun aber nach
Salzstrand kam, in den berühmten Badeort, ver-
drehte sie sofort allen Männern die Köpfe. Der
Badkommissär stellte ihr ein Zimmer für acht
Kronen die lvoche, für fünfundzwanzig Kronen
für die ganzen sechs Wochen zur Verfügung und
bot ihr seine Frau als „Anstandsdame" an. Der
Doktor bethenerte hoch und heilig, elternlose Mäd-
chen brauchten während des Trauerjahres kein
Arzthonorar zu zahlen und nur eine Krone fünf-
undzwanzig für Bäder in der ersten Klasse. Der
Sohn des pütclmirths, der Kandidat der Philo-
sophie war, mit Aesthetik als Pauptstudium, sagte,
wenn Papa mehr als eine Krone fünfzig pro Tag
von Fräulein lvilander nähme, wäre es eine
reine Gemeinheit, und der pötelwirth selbst bat
mit einer höflichen Verbeugung, daß sic an der
theuersten Tafel speisen möchte, da „das Fräulein
ja wie ein kleines Vögelchen äße".
Lin Leutnant und ein Fabrikingenieur lagen
schon in der ersten lvoche ihr zu Füßen; aber da
sie sich nicht in solchen Verhältnissen befanden,
daß sic das Aktienkapital mit entsprechenden Ren-
ten zurückerstatten konnten, wurden sie „abgeblitzt".
Nach dieser ersten lvoche begannen alle sieben
Geschwister regelmäßig brieflich anzufragen, wie
cs ginge.
Brndcr Bernhard schrieb auf dem Briefpapier
der Firma mit deren lvaarenstempel: einem
langen Strumpf in einer Ecke: „Sind bis dato
keine acceptablen Mfferten eingelaufen? palte feste
Notirung! Pole prima Referenzen ei» und die
Ansicht der Aktionäre vor definitivem Abschluß."
Der Pilfspastor schrieb der Lrsparniß wegen
auf einer Postkarte: „lvill denn der Pöchstc noch
nicht unser Bemühen um das Glück unserer
Schwester mit Seiner überschwänglichen Gnade
krönen? Sei fest in der poffnung!" heißt es.
„Gott versorgt selbst die Schafe! Alles hat seine
Zeit. Gnade und Friede sei mit Dir!"
Georgine ging einfach gekleidet in ihrem
schwarzen Trauerkleide und hatte ein zurückhal-
tendes lvcsen: aber das machte nichts: ihre Schön-
heilt strahlte siegreich aus diesem einfachen schwar-
zen Zeug, der Meter zu zwei Kronen, he. vor, und
es schien, als ob sie mit jedem Tage lieblicher
geworden wäre, an den» sie ihren herrlichen Kör-
per in den frischen lvogen am Salzstrande badete.
Ende der zweiten lvoche wollte ein Kanzleirath,
ein Wittwer, für sie sterben, und ein furchtbar
dicker Fabrikbesitzer für sie leben, und ihr selbst
gefiel dies lustige Treiben und die herrliche Musik
ganz vortrefflich; denn in diesem Jahr gab cs
eine besonders gute Kapelle in Salzstrand.
In der dritten lvoche kam ei» Großgrundbe-
sitzer an, der noch im pochsommer des Lebens
stand und auf dessen Besitzung nichts
fehlte, als Pypothekenschulden und eine
Frau. In vier Tagen war sein ganzes
lvesen so von Liebe erfüllt, wie eine
alte Tabakspfeife von Nikotin, und er
lud Georgine zu Lhampagnerfesten in
feiner Gesellschaft ein und holte sie
dazu in seinem eigenen wagen ab. So
verliebt war er in sie, daß seine Augen
sie fast auffraßen.
Und Georgine lebte wie eine Prin-
zessin und genoß die puldigungen, die
Sonne, die Bäder, die Sommerwärme
und vortrefflichen Leistungen der fa-
moscn Kapelle, besonders des Ks-Kor-
nettbläscrs, eines schönen jungen
Mannes, mit Augen, so tief und
bla» wie das Meer, mit paaren,
so üppig wie Waldesdickicht und so
schwarz wie die Nacht, und einem
Tageseinkommen von zwei Kronen
fünfzig.
86