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Nr. 7

JUGEND

1901

Line Straußfeier

„Am Himmel" heißt eine sehr schöne Gegend
eine Stunde von Wien, wo ans einer mäßigen
Anhöhe, unter hohen Buchen halb versteckt, ein
ländliches Gasthaus zunr Bleiben lädt. Hier hatte
sich an diesem Sommerabend eine recht gemischte
Gesellschaft zusammcngefunden.

Zunächst hatte die erste Classc einer Müdcheu-
bürgerschule an diesem Tage unter Anführung
des Classenvorstandcs und eines jüngeren Fräu-
leins einen Ausflug unternommeu und war, nach-
dem sie iu einem weiten Bogen, von Heiligenstadt
ausgehend, über die „Wildgrube" und das „Krapfcn-
waldl" gezogen war, gegen Abend ein wenig er-
müdet iu der Restauration am Himmel gelandet,
woselbst das vorsorglich vorausbestellte unschuldige
Abendessen die weißgekleideten und sehr hungrigen
Mägdlein erwartete. An drei aneinander ge-
stoßenen Tischen saßen sie, dem Aufgang zum
Tanzsaal gegenüber, sangen von Zeit zu Zeit ein
unverfängliches Kinderlieb wie „Nachtigall, Nach-
tigall, warum singst Du nicht mehr?" aus helle»
Kehlen und zwitscherten in den Pausen wie die
Schwalben.

Au einem Tische, der wohl mit Absicht stark
in den nächtlichen Schatten der Bäume gerückt
war, saß beim trüben Scheine eines einzigen
Gartenleuchters, den Nachtfalter und leichtsinniges
Mückenvolk umschwärmten, eng aneinander ge-
drückt ein Liebespärchcn aus der Stadt. Es war
ein Student mit seinem Mädel. Ihr leichter Fuß
ruhte int Schatten des Tisches, gemeinen Augen
unsichtbar, auf dem seinen, ihre Hand hielt spie-
lend die seine umklammert, und wenn sie sich
ihm zuneigte, um ihm lächelnd etwas in's Ohr
zu flüstern, — sie flüsterten alles — so streifte ihr
blondes Stirnhaar die magere und bleiche Wange
des Studenten, die sich daun auf einige Augen-
blicke röther färbte. Vor ihnen stand ein großes
Glas mit Bier, aus dem sie abwechselnd tranken.

Ein Fiaker mit einem aus Kärnten stammen-
den Dienstmädchen bildete das Gegenstück. Sie
hieß Anna, er nannte sie bereits „Aunerl", und
heute war ihr Namenstag. Da sie sich trotz einer
schon sechs Wochen alten Bekanntschaft, noch im-
>ner, wenn auch mit schwindender Kraft, gegen
seine Liebe wehrte, so hatte er sich heute einen
freien Tag gemacht, ihr zu Ehren, um sie zu ver-
führen. Sie hatten am Kahlenberg eine Jause

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genommen, Gugelhupf und eine „Melange" mit
Schlagobers, was das arme Bauernkind völlig
um den Verstand brachte. Nun saß sie, die ge-
steiften Röcke sorglich auseinander gebreitet, um
sie zu schonen, die rothen Hände symmetrisch auf
die Kniee gestemmt, die Blicke züchtig gesenkt, wie
es die Jungfrauen in Friesach thun, mit hochrothem
Kopf und ließ sich die Zärtlichkeiten des Fiakers
gefalle», die immer dringlicher wurden- Nur noch
von Zeit zu Zeit brachte sie, ganz schwach, mit einenr
verlegenen Lächeln ein „Gehn's weg!" zu Stande.

Plötzlich fuhr unten, auf der Chaussee, eine
herrschaftliche Equipage vor. Zwei Damen und ein
Herr stiegen aus. Die beiden Damen, anscheinend
Mutter und Tochter, trugen Seidenkleider und lang-
stielige, bernsteingelbe Lorgnons. Der Herr, der
sehr leidend aussah und sehr vorgebeugt ging, war
der Gatte der jüngeren Dause, die eine Gräfin war.

Als der Wirth, der wie ein Faß zwischen den
Tischen umher rollte, Seidenkleider und Lorgnons
erblickte, befahl er dein Kellner, ein weißes Tisch-
tuch herbeizuschafsen. Aber die capriciöse Gräfin
bestand auf eincin rothen. Sie bestellte ein Krügel
Bier für sich und Mama und einen Syphon für
den leidenden Gatten. Dann erlustigte sie sich
mit ihrer Gesellschaft über die großen Allüren
des Fiakers. Mit einemmale bemerkte sic au
einem Nebentisch einen elegant gekleideten, ein-
samen jungen Mann, der sich bemühte, ihre Auf-
merksamkeit auf sich zu lenken. Als er sich um-
wandte, um eine Bestellung zu machen, betrachtete
sie ihn genauer. Er war hübsch.

Zum Schlüsse kamen nach zwei Herren. Der
eine war ein Berliner, im Reiseanzug, den erbsen-
gelben Paletot über dem Arm, rasirt, den Schnurr-
bart in zwei unternehmenden Spitzen nach aufwärts
gedreht. Beim Sprechen hielt er fortwährend eine
lange, dicke, rcichsdeutsche Cigarre mitten im Munde,
die, während er sprach, hin und her baumelte, in be-
ständiger Gefahr, herabzufallen- Sein Begleiter war
ein Wiener, der ihn augenscheinlich Hergeführt hatte.

Der Berliner rief den Wirth, der dienstfertig
herangerollt kam, und fragte sehr laut, sehr heiter:

„Sagen Sie 'mal, warum heißt das Etablisse-
ment eigentlich „Der Himmel?""

„Wahrscheinlich, wcil's so schön is," entgegnete
voll Stolz der Wirth.

„Oder weil's so hoch ist," schnarrte der Ber-
liner, bemüht einen Witz zu »rachen und begann
ein frostiges Lachen. Dabei ging die Cigarre
auf und nieder wie ein Entenschwanz. Dann
nahm er Platz, und bemühte sich, während das
Backhuhn seiner Vollendung eutgcgenging, seineni
Begleiter den Unterschied zwischen Wien und
Berlin klar zu machen. „Wien ist nur'n Dorf",
sagte er und erklärte dem Wiener, warum Wien


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ein Dorf sei. Der Wiener, der diese Ausführ-
ungen bereits zu kennen schien, hörte geistesab-
wesend mit einem höflichen Lächeln zu. Er hatte
sich so gedreht, daß er, das Restaurationsgebäude
im Rücken, zwischen einer Lichtung der hohen
Bäume die nächtliche Aussicht genoß. Da dehnte
sich, zu seinen Füßen, ein schwarzer Riesenteppich,
mit unzähligen Brillanten besäet. Das war Wien.

Plötzlich erhob sich der Fiaker,, der sich an-
schickte, seinen letzten Trumpf auszuspielen, griff
aus der wagrecht geschnittenen Tasche seines car-
rirtcn Beinkleides einen Gulden heraus, drehte
ihn dreimal im Lampenschein, um Aufsehen zu
erregen, und schritt sodann mit dem leichtschwan-
kenden Gang des gut genährten Fiakers die Stufen
zum Tanzsaal hinan, wo der einäugige Clavier-
spicler am offenen Claviere eingeschlafen war und,
die Stirn gegen das kahle Notenpult gepreßt, von
den märchenhaften Erfolgen seiner Coinpositionen
träumte. Der Fiaker warf den harten Gulden in
die kleine Blechschüssel auf dem Claviere, so daß
der eiugeschlafene Musikant erschreckt empor fuhr.
Hierauf befahl er dem Erwachten, „An der schönen
blauen Donau" zu spielen. „Aber schönI" fügte
er drohend hinzu, indem er das Gilet glatt zog.

Dann holte er die schmucke Kärntnerin, die
sehr verschämt that, in den Saal, den ein ein-
facher Bretterbodeu deckte und eine einzige Petro-
leumlampe — ein sogenannter Sonnenbrenncr —
nicht allzu hell beleuchtete.

Der Walzer begann.

Das Liebespaar hörte plötzlich zu flüstern auf,
die Mädchenklasse surrte leiser, die Gräfin setzte
das Lorgnon ab und zog die feinen Augenbrauen
teicht lächelnd in die Höhe. Der Berliner schimpfte
über das Backhuhn.

„Ein Walzer!" hauchte die Geliebte des Stu-
denten. „Komm' tanzen!"

Sie standen auf, und, beide Arme in seinem
Ellbogen verknüpft, schritt sie hüpfend mit ihm
die Stufe» zum Tanzsaal empor, wo der Fiaker
mit der Kärntnerin sich bereits in enger Umschlin-
gung drehte.

„Ein Walzer!" sagte die junge Gräfin, indem
sie das superbe Köpfchen wiegte, und fügte, mit
blitzenden Augen und aufeinandergebissenenZähnen
hinzu: „Ich will tanzen!"

„Ja — aber!" sagte der leidende Gatte.

„Um Himmelswillen!" rief die alte Gräfin,
„Adalbert darf nicht tanzen."

„brüblinxsstimmen"

(Facsimile der Oiiginalhamlsehril'l)

Robert Engels (München)
Register
Raoul Auernheimer: Eine Straußfeier
Robert Engels: Frühlingsstimmen
 
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